Hektor und die Entdeckung der Zeit

Von Literaturkabinett
Dies ist meine schwierigste Buchzusammenfassung bisher. Obwohl ich eigentlich genug Zeit hatte, das Buch über die Zeit zu lesen (nachdem ich vor einiger Zeit schon ein anderes Buch über Hektor und seine Suche nach dem Glück las, dessen Rezension Ihr hier bald finden werden könnt), schwirrten am Ende meine Gedanken nur so und ich gebe zu, dass ich fast froh war, das Buch schliessen zu können um mir leichtere Kost vorzunehmen.
Klasse geschrieben ist das Buch allemal, Francois Lelord hat wirklich eine wunderbare Sprache gefunden, die wichtigsten Fragen unserer Zeit in Romanform anzugehen. Aber in seiner Suche nach dem Glück gelang es ihm anscheinend besser, Antworten für Suchende zu finden. Vielleicht ist ja auch das Thema "Glück" einfacher anzugehen als die "Zeit"???
Berichtet wird von verschiedenen Patienten und Freunden des Psychaters Hektor, die alle so ihre Probleme oder aber auch schon gewisse Antworten auf die Fragen der Zeit und deren Verstreichen haben. Einer mißt seine verbleibende Lebenszeit in Hundeleben, manchen vergeht sie zu schnell, anderen zu langsam. Es wird diskutiert (wie es schon so viele Philosophen getan haben, mit äußerst unterschiedlichen Ergebnissen), ob es überhaupt Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gibt. Denn die Vergangenheit ist genauso wie die Zukunft JETZT gerade nicht existent, also exisitert sie wohl nicht? Aber die Gegenwart ist doch in dem Moment, in dem wir darüber nachdenken, bereits Vergangenheit, also gibt es im Grunde keine Gegenwart? Für Tiere hingegen gibt es weder Vergangenheit noch Zukunft, sie leben nur im Hier und Jetzt. Aber wollen wir das überhaupt? Schön in diesem Zusammenhang ist der Vergleich mit Musik. Diese ist ja nur in Erwartung der (nahen) Zukunft sowie im Erinnern an die (eben erst gewesene) Vergangenheit wirklich schön. Ein einzelner Moment, aus einem Musikstück herausgeschnitten, wäre ja nicht wirklich Musik. Verhält es mit unserem Leben nicht vielleicht ähnlich? Oder gibt es gar Parallelwelten, in denen unser Leben zur gleichen Zeit ganz anders verläuft? Ist unser Leben nur der Traum eines Träumenden? Dass die Zeit für verschiedenen Menschen (und auch für die gleichen Menschen zu unterschiedlichen Zeiten) ganz unterschiedlich lange dauert, haben wir sicher alle schon erahnt oder erfahren. Dass sie aber ganz obektiv an unterschiedlichen Orten mit anderer Geschwindigkeit verläuft, das sagen uns die Physiker (Stichwort Relativitätstheorie). Deren Ideen sind anhand von Experimenten überprüfbar, die Ideen der vielen Philisophen sind es nicht.
Dass Hektors kleine Weltreisen (auf der Suche nach einem sehr alten, verschwundenen buddistischen Mönch, von dem er die Antworten auf seine Fragen erwartete) und Erlebnisse teilweise ein wenig ins mystische abdriften und an mancher Stelle nicht immer logisch erscheinen kann man hinnehmen. Ich sehe es eher darin begründet, dass ein zweites Buch zu einem ähnlichen Thema mit sehr ähnlichen stilistischen Mitteln schnell ein Abklatsch seines Vorgängers wird. Ein wenig schade zwar aber doch kein Grund, dieses Buch nicht zu empfehlen.
Die vielen Fragen und Denkanstöße, die dem Leser mitgegeben werden, führe ich an dieser Stelle nicht alle auf. Einzig diese Aufforderung, deren Befolgung uns allen gut zu Gesicht stehen würde, möchte ich notieren:
Wenn Sie eine betagte Person sehen, sollten sie sich immer vorstellen, wie sie einmal als junger Mensch gewesen sein mochte.
Gut gefällt mir auch die Ansicht eines neuen Bekannten von Hektor, der sagte: Um das Verinnen der Zeit gut zu verkraften, muß man das Glück haben, die Lust an bestimmten Dingen genau dann zu verlieren, in der man auch die Fähigkeit zu ihrer Ausführung verliert.
Und noch ein schöner Satz, der eine für uns alle so wichtige Wahrheit in wenige Worte fasst: In der Liebe ist alles eine Übereinstimmung der Zeiten.
Aber die allerwichtigste Quintessens für mich, zumindest jetzt, direkt nach Abschluß der Lektüre, lautet (wie ich schon seit einiger Zeit ahne um sie nun wiederum bestätigt zu finden): Um einen Augenblick wirklich auszukosten, muss man sich ganz von ihm erfüllen lassen und darf sich nicht wegen anderer Dinge den Kopf zerbrechen. Na das ist doch schon mal was - und vielleicht auch nicht ganz so schwierig wie die vielen philosophischen Fragen nach der Zeit und deren Verinnen.