Heinrich Böll – Als der Krieg zu Ende war. Eine Erzählung, die kennen sollte, wer sich für Seife interessiert.

Heinrich Böll – Als der Krieg zu Ende war. Eine Erzählung, die kennen sollte, wer sich für Seife interessiert.

Alle trieben Handel. Es war das eizige, was sie ernsthaft interessierte. Für zweitausend Mark und eine verschlissene Uniform bekam jemand einen Zivilanzug, Tausch und Umziehen wurden irgendwo vollzogen in der wartenden Menge, und ich hörte plötzlich jemanden schreien: “Die Unterhose gehört dazu, das ist doch klar. Auch die Krawatte.” Jemand verkaufte seine Armbanduhr für dreitausend Mark. Der Haupthandels-gegenstand war Seife. Die in amerikanischen Lagern gewesen waren, hatten viel Seife, manche zwanzig Stück, denn es hatte jede Woche Seife gegeben, aber nie Wasser zum Waschen, und die in englischen Lagern gewesen waren, hatten überhaupt keine Seife. Die grünen und roten Seifenstücke gingen hin und her. Manche hatten an der Seife ihren bildnerischen Ehrgeiz entdeckt, Hündchen, Kätzchen, Gartenzwerge daraus gemacht, und jetzt stellte sich heraus, daß der bildnerische Ehrgeiz den Handelswert herabgemindert hatte: ungeformte Seife stand höher im Kurs als geformte, bei der Gewichtsverlust zu befürchten war.

Es ist nur eine kurze Erzählung, kaum dreißig Seiten und wenn in meiner alten Inselbuch-Ausgabe von 1962 nicht noch eine weitere Geschichte abgedruckt worden wäre, dann könnte man von einem Heftchen sprechen. Doch die Geschichte, welche der Ich-Erzähler zu berichten hat, könnte eindrucksvoller nicht sein und unübersehbar sind die biographischen Parallelen zu Heinrich Böll. Beide, der Ich-Erzähler und auch der Autor, kommen aus Brüssel ins zerbombte Deutschland zurück, der Ich-Erzähler nach Köln (Böll kam aus Waterloo in der Nähe von Brüssel aus engl. Kriegsgefangenschaft und fuhr sofort zu seiner Frau ins Bergische Land. 1942 hatte er seine Ehefrau AnnemarieCech in Köln geheiratet). Fast schon lapidar, irgendwie beiläufig, schildert Böll die Nachkriegsverhältnisse; die Schuldzuweisungen, die antisemitischen Bemerkungen der Kriegskameraden auf Juden und Antifaschisten und die Lebensverhältnisse zwischen den Trümmern.

Vor dem Stacheldrahtgatter, durch das wir endgültig entlassen wurden, stand ein Mann zwischen zwei großen Waschkörben; in dem einen Waschkorb hatte er sehr viele Äpfel, in dem anderen ein paar Stücke Seife; er rief: “Vitamine, Kameraden, ein Apfel – ein Stück Seife.” Und ich spürte, wie mir das Wasser im Mund zusammenlief; ich hatte gar nicht mehr gewußt, wie Äpfel aussehen; ich gab ihm ein Stück Seife, bekam einen Apfel und biß sofort hinein; ich blieb stehen und sah zu, wie die anderen herauskamen; er brauchte gar nichts mehr zu rufen: es war ein stummer Handel; er nahm einen Apfel aus dem Korb, bekam ein Stück Seife und warf das Stück Seife in den leeren Korb: es klang dumpf und hart, wenn die Seife aufschlug; nicht alle nahmen Äpfel, nicht alle hatten Seife.

Seife war im Nachkriegsdeutschland ein wertvolles Gut. Gezielt hatten alliierte Truppen auch die chemische Industrie – zu der Seifenfabrikation gehörte – bombardiert und so war Seife zwischen all den Trümmern, dem Dreck und Schutt zu einem wertvollen Gut geworden.

(…) und fragte Sie, ob es vielleicht irgendeine Möglichkeit gäbe, ein Stück Seife zu verkaufen; ich bräuchte Geld, Fahrgeld, und besäße keinen Pfennig. “Seife,” sagte  Sie, “zeigen Sie her.” Ich suchte ein Stück aus meiner Manteltasche heraus, und sie riß es mir aus der Hand, roch daran und sagte: “Mein Gott, echte Palmolive – die kostet, kostet – ich gebe Ihnen fünfig Mark dafür.” Ich blickte sie erstaunt an sagte: “Ja, ich weiß, sie geben bis zu achzig dafür, aber ich kann mir das nicht leisten.”

Achzig Mark für ein Stück Seife waren bestimmt keine Seltenheit und wer zu uns ins Geschäft kommt und sich auch die Ausstellung anschaut – unsere private Seifensammlung – der wird dort einige Stücke entdecken, von denen wir sicher wissen, daß sie 1947 von einem Hufschmied als Gegenleistung für das Beschlagen der Pferde angenommen wurden.

Es waren die Gerüche: alle Leute rochen schlecht, und in allen Räumen roch es schlecht, und ich verstand, wie verrückt das Mädchen auf die Seife gewesen war.

Wer sich für die Erzählung interessiert, der muß bei Heinrich Böll, Romane und Erzählungen Band 3, 1961-1971, nachschauen. Die Werkausgabe wurde von Bernd Balzer herausgegeben und bei Kiepenheuer in Köln 1977 verlegt. Das kleine Inselbüchlein ist nur noch antiquarisch erhältlich.

Sekundärliteratur: Christina Brede “Das Instrument der Sauberkeit – Die Entwicklung der Massenproduktion von Feinseifen in Deutschland 1850 bis 2000″, in Cottbuser Studien zur Geschichte von Technik, Arbeit und Umwelt, Band 26, WAXMANN, Münster, New York, München, Berlin, 2005



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