Heimat ist was für Angsthasen

Foto: Kung Shing - Mein deutsches Ich in seinem Heimathafen.

Foto: Kung Shing - Mein deutsches Ich in seinem Heimathafen.

Der Urlaub war zu Ende. „Ich wünsche ihnen eine gute Heimfahrt!“, sagte der Schaffner und gab mir mein Ticket zurück. Er schloss die Abteiltür und der Zug schunkelte meine Gedanken durcheinander. Die Worte „Heimfahrt“ und „Heimat“ verhakten sich in meinen Kopf. Ich ließ sie noch ein wenig zappeln und beschloss zu lesen. Heimat war mir dann doch egal.

Etliche Tunnel weiter, meldet sich mein deutsches Ich bei mir. Es ist ein grüblerisches, ernstes, melancholisches, skeptisches bisweilen überaus humorloses Ich. Der Heimatgedanke hatte es geweckt. Das deutsche Ich erklärte mir, dass Heimat als Sehnsuchtsort und für die Identität wichtig sei. “Der Mensch muss doch wissen vorher er kommt und was ihn verbindet“, referierte es. Ich stimmte dem deutschen Ich zu. Ich dachte an die Zeit zurück, als ich in München gearbeitet hatte. Wenn es im Job spät wurde, ging ich zum Münchner Hauptbahnhof, um dort einzukaufen. Dort stand häufig der letzte ICE nach Hamburg Altona. Ich bekam dann immer so eine Sehnsucht. Ich wollte zurück in meine Stadt, wo es vernünftige 24 Stunden Kioske gab und wo ich noch nach 21 Uhr einen Döner essen konnte. „Siehst du der Mensch braucht Wurzeln, denn ohne Herkunft, weiß er nicht, wer er ist.“, stellte das deutsche Ich zufrieden fest.

Plötzlich hörte ich ein lautes Lachen, mein chinesisches Ich war plötzlich da. Es muss bei Kassel zugestiegen sein. Es erscheint stets zur selben Zeit, wenn mein deutsches Ich mich auf Trab hält. Manchmal ist es auch umgekehrt. Das ist ein recht albernes, pragmatisches, gelassenes, ausgleichendes, zähes und lautes Ich. Und es legte auch gleich los: „Ach komm Knuth, du bist damals zwischen München und Hamburg immer hin und her gependelt. So schlimm war das nicht.“ Dann erklärte mir das chinesische Ich, dass es nicht so wichtig sei, woher ich stamme. Wichtig sei es, dass ich im Hier und Jetzt glücklich bin, dann könnte meine Heimat überall sein. Ich müsste nur darauf achten, die Gesetze und die Traditionen zu respektieren. Das würde überall auf der Welt funktionieren. „Nimm dir ein Beispiel an deinen Vater. Hatte er jemals Heimweh?“, fragte mich das chinesische Ich. Ich hatte meinen Vater mal gefragt, ob er Hong Kong vermissen würde? Damals antwortete er mir, dass er in Hamburg ganz zufrieden sei. Seine Heimat fehlte ihm nicht, beteuerte er, denn wo er war, war Hong Kong. Für meinen Vater war das praktisch vom Gefühl her überall auf der Welt. Das stimmte.

Foto: Kung Shing - Hinter  dem Horizont, vielleicht ist da meine Heimat?

Foto: Kung Shing - Hinter  dem Horizont, vielleicht ist da meine Heimat?

Die beiden Ichs verschwanden plötzlich wieder. So ist das mit den Ichs, sie kommen und gehen.

Ich war an diesen Tag mit dem Zug von Trento in Italien bis nach Hamburg gefahren. Als ich in Hamburg ankam, hatte ich immer noch keine Heimatgefühle, selbst dann nicht, als ich über die Elbrücken fuhr. Ich glaube, ich habe für diese Stadt auch nie wirklich welche entwickelt. Vielleicht liegt es auch daran, dass Heimat, ob als Ort, als Idee, Gefühl oder Biologie mich immer irritieren.

An diesen Abend beschloss ich, dass Heimat etwas für Angsthasen ist. Meine beiden Ichs, gehören auch dazu. Sie sind wie Schiffe, die sich davor fürchten ihren Hafen zu verlassen. Ich dagegen liebe das weite Meer. Ist nicht immer einfach, mit so einem Durcheinander.

Ich ging zu Bett. Es war still. Ich schlief ein und fing an zu träumen, endlich war ich zu Hause.


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