Heilt die "österreichische" Kur unser angeblich "krankes Geld"?


Nachfolgend meine Mail (mit kleineren Korrekturen) an einen "österreichisch"-libertären Facebookfreund (zugleich AfD-Parteifreund).
Guten Tag XXX,
und danke für die Übersendung des Artikels "
Krankes Geld" von Peter Krieg, den ich nun endlich auch gelesen habe.

Mit dem "libertär-österreichischen" Wirtschaftsdenken hatte ich mich früher in zahlreichen (meist heftigen, aber immer gegenseitig respektvollen) Debatten bei Facebook auseinandergesetzt. Auch in meinem Blog habe ich mich bereits des Öfteren kritisch (und teilweise sehr detailliert) mit Positionen aus diesem Lager beschäftigt:

Und in jüngster Zeit ganz besonders intensiv:   
  • Mensch, Mayer: Was für ein Schwindelgeld wollen Sie uns denn andrehen? (10.10.2014)
  • "Die Neue Ordnung des Geldes" oder: Warum wir Thomas Mayers Geldreform NICHT brauchen, und warum er die volkswirtschaftliche Ratio des Kreditgeldes nicht rafft (14.10.2014)
  • Deflation des Deflationswissens: Warum mir die unterkomplexe Deflatiologie von Professor Philipp Bagus spanisch vorkommt (17.11.2014)
Wie Sie aus meinen Einträgen und Kommentaren bei Facebook wissen, bin ich durchaus ein überzeugter Anhänger eines möglichst freien Marktes. Aber ebenso bin ich ein entschiedener Gegner des libertären Marktradikalismus der "österreichischen" Schule der Wirtschaftswissenschaften ("Austrians").
Die Lektüre des Aufsatzes von Peter Krieg bestätigt wieder einmal meinen allgemeinen Eindruck, dass die österreichisch-libertäre Ideologie ein ziemlich genauer Gegenentwurf zur marxistischen Ideologie ist:

  • Beide bieten relativ einfach Welterklärungen und liefern Schuldige für Missstände (für die Kommunisten der Kapitalist, für die Libertären der Staat). Und beide versprechen, sozusagen mit dem Umlegen eines einzigen Hebels eine Art Paradies (oder zumindest eine bessere Welt) herbeizuführen:
    • Der Marxismus, indem er das Privateigentum an Produktionsmitteln abschaffen will,
    • während die Libertären das Eigentum zu einem sakrosankten Prinzip (das metaphysisch letztendlich nur auf die Annahme einer göttlichen Setzung gegründet, also nur religiös fundiert werden kann) erklären.
Im Sozialismus soll das Gemeineigentum (auf den ersten Blick durchaus überzeugend) ein optimales Wirtschaftsergebnis hervorbringen, weil dann alles allen gehört, also jeder nicht mehr für den kapitalistischen "Ausbeuter" schafft, sondern für sich selber.
Die Realität freilich ist eine Zentralverwaltungswirtschaft, die mit der Steuerung hoffnungslos überfordert war, und selbst heute im Computerzeitalter überfordert wäre.
Ein weiteres Problem ist der fehlende Rückkoppelungsmechanismus: Das eigene Arbeitsergebnis geht (wie natürlich auch im Kapitalismus) in einen großen Topf. Bei dem, was der Einzelne aus dem Topf herausnehmen darf, ist ein Zusammenhang zur eigenen Leistung nicht mehr erkennbar, und somit natürlich auch keine Motivation zu maximaler Leistungserbringung. Wenn Leistung sich nicht mehr (sichtbar) lohnt, dann wird sie zwar nicht ganz verschwinden; komplexer als ein pawlowscher Hund ist der Mensch ja doch. Aber natürlich werden sich bei fehlender materieller Belohnung nur wenige in gleicher Weise "krumm legen", wie das viele tun, wenn man ihnen die Wurst direkt vor die Nase hält.
Bei den Libertären, und diesen Aspekt betont Peter Krieg besonders, soll das beste Ergebnis für die Gesamtwirtschaft dadurch erzielt werden, dass jeder sich für seine Aktivitäten verantwortlich fühlt. Und diese Verantwortung soll sich automatisch daraus ergeben, dass jeder die Folgen seines Handelns (und wohl auch seines Unterlassens) direkt zu spüren bekommt:
"Markt schafft außer Vertrauen auch Verantwortung: Das Vertrauen der Marktteilnehmer stabilisiert sich nur, wenn alle Beteiligten Verantwortung übernehmen: der Hersteller für sein Produkt, der Kreditnehmer für die Tilgung, der Banker für die Solidität seines Geldes, der Konsument für die Bezahlung des Erworbenen. Da alle Teilnehmer existentielles Interesse an der Stabilität des Marktes haben und die Folgen eines Fehlverhaltens selbst tragen, braucht es keinen Zwang, um zumindest tendenziell Vertrauen und Verantwortung als nachhaltige Grundwerte zu etablieren"
erklärt Krieg den Zusammenhang.
Das ist freilich in doppelter Hinsicht weder zwingend, noch überhaupt nur der Regelfall:
  
  • Der Produzent kann beispielsweise Kosten "externalisieren": Wenn er die Luft verschmutzt, trifft ihn das vielleicht gar nicht, weil er woanders wohnt. Sein Anteil an der Luftverschmutzung ist wahrscheinlich ohnehin nur gering: Es würde der Umwelt nicht helfen, wenn er alleine Filter einbauen würde. Tut er es doch, hat er einen Konkurrenznachteil gegenüber den Wettbewerbern. Selbst wenn er es überhaupt als sein Interesse wahrnimmt, die Umwelt sauber zu halten, und eine freiwillige Vereinbarung mit anderen Unternehmern abschließen würde, würden zweifellos andere ausscheren ("Allmendeproblem"). Die "Guten" hätten das Nachsehen: Ihre Produkte würden, weil teurer, nicht mehr nachgefragt. Und die "Bösen" würden triumphieren: Weil die reinen Marktkräfte eben die Umweltverschmutzer begünstigen.
  • Ist es schon bei der Umweltverschmutzung fraglich, was überhaupt sein "wahres" Interesse ist (denken Sie an den sehr umstrittenen CO2-Ausstoß; aber selbst bei DDT wurde ja die Schädlichkeit geleugnet), kann man in anderen Zusammenhängen davon ausgehen, dass sein (längerfristiges) Interesse gar nicht erkennbar für ihn ist. Und wenn dann eine staatliche Maßnahme kommt, die seinem "wohlverstandenen Interesse" entspricht, dann kann sie aus ganz anderen Zusammenhängen eingeführt worden sein. Als konkretes Beispiel habe ich hier das "Regulativ über die Beschäftigung jugendlicher Arbeiter" ("Preußisches Regulativ") von 1839 im Auge, mit dem die damals übliche Kinderarbeit eingeschränkt wurde. [Vgl. allgemein zum Thema auch das Wikipedia-Stichwort "Kinderarbeit".] Dem Staat ging es dabei weder um das Wohl der Kinder, noch hatte er Unternehmerinteressen im Auge: Der wollte lediglich brauchbares Kanonenfutter. Das war knapp geworden, weil die Kinder sich bereits durch Arbeitsensätze kaputtgeschafft hatten. Die Unternehmer haben sich heftig gegen diese Maßnahme gewehrt (was die Einführung des Gesetzes immerhin jahrelang verzögert hat). Objektiv hatten aber sie selber das allergrößte Interesse daran. Denn auf diese Weise blieb die Arbeitskraft länger erhalten, und konnte auch der Bildungsstand gehoben werden. Und mit zunehmender Entwicklung der industriellen Revolution wurde die Ausbildung des Humankapitals immer wichtiger gegenüber der bloßen Körperkraft. Das hat der Staat (zumindest ursprünglich) nicht gesehen und auch "nicht gewollt". Und die Unternehmer noch weniger. Aber objektiv entsprach es den längerfristigen Interessen (auch) der Kapitalbesitzer. Man kann hier auch einen weiteren Effekt vermuten, der auch aufgrund von Lohnforderungen der Gewerkschaften wirksam wird: Die "Produktivitätspeitsche". Genau wie die Abschaffung der Sklavenarbeit in den Südstaaten der USA die Rationalisierung durch Einsatz von Maschinen gefördert hat (oder umgekehrt die Entwicklung von Ernte- usw. Maschinen "erzwungen" und damit viele weitere positive Folgeeffekte ausgelöst hat), könnte auch die Abschaffung der billigen Kinderarbeit Rationalisierungen bewirkt haben.
Bei Monopolen und Kartellen wird ebenfalls sichtbar, dass eine von staatlichen Interventionen freie Wirtschaft ein für die Verbraucher optimales Ergebnis zeitigen würde. Warum soll der Unternehmer seinen Gewinn nicht steigern, und das Insolvenzrisiko minimieren, indem er den Markt einvernehmlich mit der Konkurrenz aufteilt, und die Preise (möglichst hoch) festsetzt? In der Märchenwelt der "Austrians" kommt dann immer ein schlauer Konkurrent und stört das Spiel, das Libertäre üblicher Weise überhaupt als Folge staatlicher Eingriffe erklären.
Aber kein Staat der Welt hat das Glühbirnenkartell geschaffen, bei dem die Firmen sich auf eine Begrenzung der Lebensdauer geeinigt hatten, die weit unterhalb der technischen Möglichkeiten lag.
Und was nützt es mir, wenn in 10 oder 20 Jahren irgend jemand das Quasi-Monopol des Microsoft-Betriebssysteme durchbricht? Bis dahin habe ich den Schaden und mich dumm und dämlich gezahlt.
Das sind alles sehr konstruierte Argumente, welche die Anhänger der libertär-österreichischen Ideologie gegen solche Einwände vorbringen.

Überhaupt ist es eine Illusion, wenn Peter Krieg meint, der Staat könnte sich aus der Wirtsschaft heraushalten. Er tritt ja als Nachfrager auf, und kauft eben entweder Bauleistungen - oder Kanonen. Schon damit gibt er eine Wirtschaftsstruktur vor.
Und natürlich greift der Staat durch Besteuerung steuernd in die Wirtschaft ein, selbst wenn er das gar nicht wollte. Und durch Ausbildung ... usw.
Die Kinderarbeit würde auch nicht von selber, aufgrund besserer Einsicht der Unternehmer, verschwinden: Da hilft nur ein rigoroses Verbot. Das kann man ablehnen, oder man kann den Sachverhalt zugestehen, aber als Ausnahme behandeln, wo der Staat eingreifen müsse oder dürfe. Dann wird freilich sehr schnell die Frage auftauchen, wo solche Ausnahmen anfangen - und vor allem, wo sie aufhören.

Logisch wäre also (wie das radikale Libertäre ja auch tun), den Staat insgesamt abzulehnen.
Sicherlich hat der Staat klobige Finger, wenn er sich an Regulierung versucht. Mir fiel neulich in meinem Bücherschrank ein Buch wieder in die Hände, wo ein "geniales" Beispiel dafür berichtet wird: Im Vorwort schreibt der Autor, dass der Staat (anscheinend der NS-Staat) Preiserhöhungen bei Neuauflagen von Büchern verboten hatte. Da aber der Verlag der Erstauflage das Werk nicht mehr zum alten Preis kalkulieren konnte, hat der Verfasser einfach den Verlag gewechselt.

Aber staatliche Regulierung ist ja keineswegs immer kontraproduktiv (s. o. zur Kinderarbeit).
Und beispielsweise alles auszuhandeln, würde die Welt noch weitaus komplexer machen, als es unsere Paragraphen-Welt ist. Die Menschen wären nur noch mit der Lektüre von AGBs beschäftigt, und kämen gar nicht mehr zum Arbeiten.
Außerdem müsste eine staats-lose libertäre (anarchistische) Gesellschaft daran scheitern, dass niemand Leben und Eigentum schützt, die doch die höchsten Werte einer solchen Welt wären. Zwar könnte jeder zum defensiven Eigentumsschutz private Wachdienste organisieren; aber wer klärt einen Mord auf? Konkurrierende Polizeiorganisationen? Ohne Einwohnermeldeamt, Führerschein, Kfz-Kennzeichen, Datenbank bekannter Verbrecher usw.?
Und natürlich könnte man sich private Gerichte vorstellen; aber auf welcher allgemein gültigen Basis entscheiden die dann, ob das Windrad 100m oder 2 km Abstand halten muss? Zur Grundstücksgrenze oder zum Wohnhaus? Oder zur Gemeindegrenze B, wenn das Bauwerk in A genehmigt wird?

Krieg hat Recht, wenn er den "Mathematisierungswahn" der Wirtschaftswissenschaften kritisiert. Seinen Satz "Die Verwechslung von qualitativen Modellen zur besseren Verständlichkeit eines komplexen Systems mit quantitativen Modellen zur Vorhersage ist kein auf die Ökonomie beschränkter Denkfehler" verstehe ich zugleich als eine Forderung, das wirtschaftswissenschaftliches Denken bestmögliche qualitative Modelle aufstellen sollte. Aber gerade die liefert der Autor selber nicht, und was ich bisher an Modellen der Austrians (und ebenso an Bezugnahmen auf die Wirtschaftsgeschichte) gesehen habe, ist durchweg nicht zur kritischen (nicht zuletzt auch selbstkritischen!) Analyse von Hypothesen bestimmt. Das sind meist sehr roh gezimmerte intellektuelle Lattenverschläge, um die Richtigkeit der eigenen Behauptungen scheinbar zu stützen. (Beispiele dafür aus dem Bagus'schen Deflations-Verharmlosungs-Papier habe ich in meinem einschlägigen Blott zerlegt.) Solche Methoden enthüllen den Ideologiecharakter der "österreichischen" Wissenschaft, jedenfalls wie sie sich heute darstellt. (Wenn man an die großen Namen der Vergangenheit denkt muss man die heutigen Austrians - in Analogie zu den "Vulgärkeynesianern" - wohl  als "Vulgäraustrians" bezeichnen.)
Schauen wir uns aber nun konkret den Text an. Schon die Schilderung der historischen Entwicklung ist schief (S. 1, "Staatliche Regulierungen", 1. Abs.).
Der Hoheitsanspruch des Staates über die Ökonomie ist sehr viel älter als der Marxismus oder gar der Keynesianismus. Vor den (zeitweisen, teils später eingeschränkten, teils noch heute wirksamen) Deregulierungen des 19. Jahrhunderts gingen Eingriffe des Staates oder von staatlich privilegierten Organisationen (Zünfte!) u. U. sehr viel weiter. Andererseits sind die Wirtschaftsstrukturen einer Agrargesellschaft ohnehin nicht mit denjenigen einer Industriegesellschaft vergleichbar. Die Industrialisierung führt zu einer höheren Komplexität (Beispiele: Umweltschutz, Kinderarbeit, Gewerkschaften ...). Die schafft aus sich selbst heraus Regulierungsbedarf, wo es früher keinen gab. Und natürlich läuft wirtschaftliche notwendig auch mit politischer Zentralisierung einher. Welche Folgen es hat, wenn die Besteuerung von Großkonzernen nicht zentral geregelt werden kann, sehen wir aktuell an Beispielen, wo Schmarotzerstaaten wie Luxemburg den Großunternehmen geholfen haben, sich jedweder Besteuerung weitgehend zu entziehen.

Ein Märchen ist es auch, dass die Gesellschaft "immer gewaltsamer und gewaltbereiter" würde (S. 2); genau das Gegenteil ist der Fall, jedenfalls auf der staatlichen Ebene. Wann hätte es jemals in Europa 70 Friedensjahre hintereinander gegeben? (Einige lokale Konflikte, wie in Jugoslawien, fallen im historischen Vergleich nicht ins Gewicht.)
Eine bei den Austrians beliebte Heiligenikone auf Goldglanzhintergrund ist die Behauptung, dass die Währungen heute "ungedeckt" wären (S. 2, "Geld durch Dekret"). Zwar trifft der Satz zu, wonach "Geld ... nicht mehr durch ein handelbares Medium mit eigenem Marktwert abgesichert [ist]". Aber das ist nicht dasselbe wie "ungedeckt".
Es hat sich leider noch nicht bis zu den Austrians herumgesprochen, dass "Fiatgeld" auf zwei sehr unterschiedlichen Wegen geschöpft werden kann:

  • Durch Kreditvergabe ("Kreditgeld") und
  • Durch "Drucken und Ausgeben" (von Privaten als Falschgeld im juristischen Sinne; vom Staat als sog. "Willkürgeld").
Und nur das "Willkürgeld" (Beispiel: Deutschland 1923), dass sich der Staat einfach selber "druckt" (heute natürlich hauptsächlich nur noch elektronisch bucht) und mit dem er dann einkaufen geht, ist tatsächlich ungedeckt. Nur DIESE Geldschöpfungsart kann im ökonomischen Sinne als "Falschgeld" bezeichnet werden.
Kreditgeld dagegen ist ökonomisch, und häufig auch betriebswirtschaftlich, sehr wohl gedeckt:
  • bankwirtschaftlich (betriebswirtschaftlich) häufig durch Sicherheitenübereignung seitens des Kreditnehmers; wichtiger ist aber die
  • volkswirtschaftliche Deckung (die dafür sorgt, dass man mit dem Geld überhaupt etwas kaufen kann).
Kreditgeld ist also keineswegs auf das bloße Vertrauen der Menschen angewiesen. Die kreditäre Geldschöpfung enthält vielmehr ihren eigenen Mechanismus (kybernetisch darf man das wohl als "Regelkreis" bezeichnen), mit dem sie ein Warenangebot am Markt erzwingt. Das Zusammenspiel von Geldwirtschaft und Realwirtschaft im Regime der kreditären Geldschöpfung kann man sich im Modell wie folgt vorstellen:
  1. "Die Volkswirtschaft" erteilt dem Bankensystem "den Auftrag", Gutscheine für die am Markt angebotenen Waren zu erstellen.
  2. Die Banken geben diese Gutscheine an Kreditnehmer weiter; der verpflichtet sich, den Gutschein, plus Zinsen, später wieder an die Bank zurück zu geben.
  3. Indem er der Bank die Rückzahlung des Geldes versprochen hatte (= finanzwirtschaftliche Dimension), hat er automatisch in der realwirtschaftlichen Dimension "der Volkswirtschaft" zugesichert, später ein Äquivalent (etwas Gleichwertiges - Zinsen zur Vereinfachung weggedacht) für die entnommene Ware in den Topf einzulegen.
  4. An dieser Stelle halten wir kurz ein und fragen uns, ob die Kreditnehmer jetzt reicher sind als vorher? Hier stoßen wir wieder auf einen Sachverhalt, der für unser Alltagsverständnis ebenfalls nicht einfach zu schlucken ist: Der Kreditnehmer hat jetzt mehr Geld als vorher - und  trotzdem ist er nicht reicher! Denn schließlich hat er nunmehr ja auch entsprechende Schulden (bzw. einschließlich Zinsen und evtl. Gebühren sogar mehr Schulden, als er selbst ausgezahlt bekommen hat). Was hier auf der finanzwirtschaftlichen (oder bilanziellen) Seite als Schulden erscheint, entspricht in der realwirtschaftlichen Dimension letztendlich seiner Verpflichtung, "etwas in den Topf zurückzutun"
  5. Die Kreditnehmer gehen mit dem "Gutschein" (Geld) einkaufen, und zwar zunächst ohne irgend eine eigene Leistung erbracht zu haben. Realwirtschaftlich betrachtet, entnimmt er dem Marktangebot also einen Vorschuss.
  6. Zur Vereinfachung lassen wir Ratenkredite mal weg und nehmen an, nach einem Jahr müsste unser "Erstgeldempfänger" seinen Kredit tilgen, also das Geld (auch Zinsen blenden wir vereinfachend aus) an die Bank zurück zahlen. Er braucht also selber Geld und das bekommt er im Prinzip nur dadurch, dass er selber am Markt etwas anbietet. (Übrigens muss das nicht unbedingt im Verkaufswege erfolgen. Er könnte z. B. auch etwas vermieten. Auch damit hätte er etwas "in den Topf zurückgegeben".)
  7. Um auf möglichst einfache Weise zu zeigen, wie der "Gutschein" (das Geld) wieder vernichtet wird, wenn er bei der Bank eingeht, denken wir uns die Zusammenhänge wie folgt:
    • K (Kreditnehmer, Erstgeldempfänger) hat bei S (Sparer) für 1.000,- (beliebiger Währung) etwas gekauft. S. soll ein Konto bei derselben Bank wie K haben, und die Bezahlung soll durch Überweisung von K an S erfolgt sein. Konto von K steht damit 1.000,- im Soll; Konto von S. weist nunmehr 1.000,- Guthaben auf. (Nicht die Bank ist also durch diese Geldschöpfung aus dem Nichts reicher geworden, sondern S. Dem gehört das Geld tatsächlich, er schuldet niemandem was. Aber natürlich hat sich sein realwirtschaftlicher Gütervorrat jetzt um 1.000,- verringert. Also ist auch er nicht wirklich reicher.)
    • Bei Kreditfälligkeit kauft umgekehrt S für 1.000,- etwas von K, und überweist es auf sein Konto. Damit sinkt der Kontostand des S von 1.000,- auf Null und steigt der Kontostand des K von ./. 1.000,- auf Null. Fazit: Die Bank hat den von ihr ausgestellten "Gutschein" wieder einkassiert - und geschreddert. Der Gutschein - das Geld - wurde tatsächlich vernichtet.
Vor allem aber war der Käufer gezwungen, seinerseits (wenn auch später) selber etwas am Markt anzubieten. Das konnte der vorletzte Inhaber des Geldscheins, denn der Kreditnehmer ursprünglich in Umlauf gebracht hatte, kaufen, d. h. er hat einen angemessenen Gegenwert erhalten (in diesem fingierten Beispiel sogar unmittelbar vom Kreditnehmer; in der Realität läuft das natürlich über tausend Ecken). DARIN, dass den vorletzten Geldinhaber (vor Rücklauf an die Bank, wo es vernichtet wird) nicht die Hunde beißen, sondern dass er (genauso wie alle vorherigen Besitzer dieses Geldscheins) am Markt ein Warenangebot vorfindet, liegt die volkswirtschaftliche Deckung von Kreditgeld. Die funktioniert halt anders als beim Warengeld (Goldgeld); vom Grundsatz her ist sie aber mindestens genauso wirksam.
Es scheint allerdings Mechanismen - insbesondere die "Ponzi-Finanzierung" - zu geben, mit denen sich dieser Deckungszusammenang aushebeln lässt, und tatsächlich heute eventuell teilweise ausgehebelt wird. Aber das bedürfte einer eigenständigen Analyse und rechtfertigt es jedenfalls nicht, Kreditgeld pauschal als "ungedeckt" zu bezeichnen.
Ein wesentliches Problem in der Gelddebatte (vermutlich auch allgemein in den Wirtschaftswissenschaften und überhaupt den Geisteswissenschaften) ist die mangelhafte Bereitschaft, Sachverhalte mit größter Geduld wirklich Schrittchen für Schrittchen zu durchdenken.
Da wird kurzerhand ein Begriff ("ungedeckt") in den Raum gestellt, und gedankenlos Scheinwissen durch Generationen hindurch weitergeschleppt wie bei den alten Scholastikern.
Denn, noch einmal, bei genauerem Hinsehen ist das einfach falsch: Kreditgeld ist nicht ungedeckt, sondern lediglich auf eine andere Weise gedeckt als Goldgeld (mittelbar durch eine zukünftige Leistung statt unmittelbar durch einen eigenen Warenwert) .
Johann Wolfgang von Goethe hatte bereits vor 200 Jahren die Neigung (nicht nur!) der Austrians antizipiert, sich mit Geschwätz um eine saubere Analyse herumzudrücken, als er im "Faust" formulierte:

Denn eben wo Begriffe fehlen,
da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein.
Mit Worten läßt sich trefflich streiten,
mit Worten ein System bereiten,
an Worte läßt sich trefflich glauben,
von einem Wort läßt sich kein Iota rauben.

Vom heutigen wirklichen Geldsystem fehlt den Austrians in der Tat jeglicher Begriff: Sie begreifen einfach nicht die volkswirtschaftliche Ratio der kreditären Geldschöpfung, den Kreditnehmer zu Wertschöpfung zu zwingen.

Wer mit Goldgeld einkaufen geht, tauscht direkt Ware gegen Ware (auch wenn die eine Ware eine Doppelnatur als Ware und Geld hat). (Da er sich vorher das Gold erst durch den Verkauf einer anderen Ware - oder Dienstleistung - verschaffen musste, kann man freilich auch von einem indirekten Tausch sprechen: Das ist lediglich eine Frage des Blickwinkels.)
Wer mit modernem Kreditgeld einkauft, praktiziert einen indirekten und zeitverzögerten Tausch.
Und was immer die Austrians Lieschen Müller erzählen wollen: Am Anfang war NICHT das Geld i. S. von Münzen usw. Am Anfang war der Kredit. (Selber kenne ich das Buch nicht, aber mehr darüber erfährt man vermutlich in "Schulden: Die ersten 5000 Jahre" von David Graeber. Und das ist nicht etwa eine neue Erkenntnis, sondern ein alter Hut, den beispielsweise Alfred Mitchell Innes bereits vor 100 Jahren ausführlich beschrieben hat (vgl. meinen Blott "Einen Kredit gibt es nicht. 100 Jahre "Kredittheorie des Geldes" (Credit Theory of Money) von Alfred Mitchell Innes").
Den Aufsätzen von Mitchell Innes lässt sich weiterhin entnehmen, dass auch im Mittelalter und in der frühen Neuzeit parallel zum Warengeld der Kredit schon immer eine bedeutende Rolle gespielt hat. Es ist naiv zu glauben, dass früher Goldmünzen (oder Silbermünzen oder überhaupt Münzen) die einzige Geldart gewesen wären; schon damals gab es Buchgeld.
Zum Kreditgeld bei den Handelshäusern des Mittelalters vgl. etwa die Diplomarbeit "VOM WARENGELD ZUM KREDITGELD. DER BEITRAG DES FERNHANDELS ZUR ENTWICKLUNG DES GELDES" von Eva Christina Weigl (2003).
Auf der Ebene der Alltagsgeschäfte gab es die sog. Kerbhölzer (engl. talley sticks), auf denen Kredite bzw. Zahlungsverpflichtungen "verbucht" wurden.
(Für Mitchell Innes ist überhaupt jedes Geld Kredit. Ganz so weit würde ich nicht gehen wollen. Obwohl man auch Gold mit guten Gründen als kreditgeschöpftes Geld ansehen kann: Bevor das Zeug aus der Erde geholt wird, muss der Minenbesitzer ja zunächst die Arbeitnehmer bezahlen, die sonst verhungern würden.)


Den von den Austrians imaginierten Goldstandard hat es in Reinform zu keiner Zeit gegeben, auch nicht in der Zeit um 1900. Denn schon damals waren die Banknoten nur zum Teil (habe irgendwo von 40% gelesen) durch Goldvorräte der Zentralbanken gedeckt. Und ich vermute mal, dass die kreditäre Geldschöpfung von Buchgeld auch darüber weit hinaus ging. [Zum Goldstandard der Belle Epoque vgl. den recht ausführlichen Fazit-Blogeintrag "Gold gab ich für Eisen" von Gerald Braunberger (01.08.2014).]
Wie wir oben gesehen haben, kann Fiatgeld auch in der Form von Falschgeld hergestellt werden. Das geschieht aber nur dann, wenn es sich um "Willkürgeld" handelt; Kreditgeld ist (entgegen S. 3) gedecktes Geld.
Überhaupt ist das Teilreservebankensystem eine private Erfindung findiger Geschäftsleute. In London konnten die Edelmetallbesitzer ihr Gold bei Goldschmieden deponieren. Die erstellten dafür Banknoten, mit denen man größere Transaktionen bequemer bezahlen konnte. Allerdings gaben sie auf das gleiche Gold Banknoten auch im Kreditwege aus, so dass beispielsweise aus 100 deponierten Gold-Geldeinheiten 1.000 umlaufende Geldeinheiten (Banknoten) werden konnten (bei einer - freilich ungewöhnlich niedrigen - Deckung von 10%). (Vgl. das Arbeitspapier "How Modern Bank Originated: The London Goldsmith-Bankers’ Institutionalization of Trust" von Jungchul Kim, 2011.)
Richtig ist natürlich, dass die Geldschöpfungsmöglichkeiten der Zentralbanken heute jedenfalls technisch unbegrenzt sind. Das hat es so in der Geschichte wohl noch nicht gegeben.
Andererseits muss man anerkennen, dass das Geldsystem seit dem 2. Weltkrieg etwa 60 Jahre lang relativ stabil war. Das gilt insbesondere im historischen Vergleich mit dem 19. Jahrhundert (das den Austrians wohl als historisches Monetärparadies vorschwebt). Damals gab es jede Menge Krisen, und ganz besonders in den bis 1913 zentralbanklosen Vereinigten Staaten. Wenn man die Horror-Stories der Austrians über unser Geldsystem liest, bleibt die lange - relative - Stabilität ein Rätsel.
Ein Märchen, das ideologischen US-Müll aus dem Dunstkreis der Teaparty kolportiert, ist auch die Unterstellung, dass unmittelbar mit der Gründung der Fed 1913 eine neue Geld-Welt in die Welt gekommen sei. Tatsächlich war die Geldschöpfung noch bis zur Weltwirtschaftskrise an die Goldbestände gebunden (wenn auch der Zusammenhang gegenüber der Zeit vor dem 1. Weltkrieg gelockert worden sein mag). Nicht umsonst trägt ein [kostenpflichtiger] Fachaufsatz von Ben Bernanke über die Great Depression (also die Weltwirtschaftskrise von 1929 ff.) den Titel "The world on a cross of gold: A review of ‘golden fetters: The gold standard and the great depression, 1919–1939’ ": die Welt(wirtschaft) ans Kreuz des Goldes genagelt, darf man das wohl (interpretierend) übersetzen.


Dass sich mit der Gründung ihrer Fed das Weltfinanzsystem zum Schlechteren verändert habe, bilden sich die Amis ein. Tatsächlich haben die um 1900 finanztechnisch noch auf den Bäumen gehaust. Denn in Europa gab es damals schon längst Zentralbanken (in früheren Zeiten sogar in den USA; die waren jedoch wieder abgeschafft worden). Die Amerikaner mussten damals erst eine Studienreise nach Europa unternehmen, um sich (übrigens ausgerechnet in Deutschland!) von den systemstabilisierenden Vorteilen einer solchen Einrichtung zu überzeugen. (Über die Geschichte der - jetzigen - amerikanischen Zentralbank informiert ausführlich der Eintrag "History of the Federal Reserve System"  in der englischsprachigen Wikipedia; zur Geschichte auch der Vorgänger-Zentralbanken siehe das Stichwort "History of central banking in the United States".)
Blanker Unsinn ist natürlich auch die Behauptung (S. 2), das Federal Reserve System sei "bei Nacht und Nebel" installiert worden. Tatsächlich war darüber seit einer großen Finanzkrise 1907 ausführlich diskutiert worden.
Derivate (S. 3) sind übrigens keine Anteile an Anteilen an Kreditverpflichtungen, sondern "gegenseitige Verträge, die ihren wirtschaftlichen Wert vom beizulegenden Zeitwert einer marktbezogenen Referenzgröße ableiten" (Wikipedia).
"Durch die planmäßige Inkaufnahme einer stetigen und 'tolerablen' Inflationsrate (in Europa derzeit zwei bis drei Prozent) wird die Geldmenge jedoch nur scheinbar linear ausgedehnt. Tatsächlich bewirkt eine lineare Prozentzahl wie jede Zinseszinsrate letztlich exponentielles Wachstum; auf längere Sicht ist ein solches System nicht nachhaltig, weil es auf eine 'Singularität' zuläuft." (S. 3)
Schön wär's, wenn die Notenbanken die Geldmenge nur um die Preissteigerungsrate (plus den Zuwachs der Realwirtschaft) ausweiten würden. Tatsächlich ist die Geldmenge stärker gewachsen als die Realwirtschaft. (Daten s. z. B. Wikipedia-Einträge "Geldmenge" und, ausführlicher, "Money supply"; s. a. "Geldmenge und Geldpolitik – Kritische Anmerkungen zu den gängigen Interpretationen – erweiterte Version 2012" von Prof. Thomas von der Vring.) Ginge es nach den Austrians, müsste sich der bereits seit einigen Jahrzehnten überschießende Geldmengezuwachs (bereits diesen Sachverhalt bezeichnen die "Österreicher" als "Inflation") längst in einer (in österreichischer Terminologie: ) "Preisinflation" niedergeschlagen haben.


Warum ist das nicht der Fall; wohin ist das ganze Geld verschwunden? In der Realwirtschaft ist es offenbar nicht gelandet. Was ist passiert, wieso konnte das Finanzsystem einen gigantischen Geldmengenzuwachs quasi stillschweigend absorbieren?
DAS sind die Fragen, die Menschen mit Erkenntnisinteresse (Wissenschaftler wie Laien) sich stellen. Den Austrians aber fällt das offenbar nicht einmal als Merkwürdigkeit auf; die käuen stur ihre alten Geschichten wieder und haben sich mental erfolgreich gegen jegliche störenden Wahrnehmungen aus der wirklichen Wirtschafts-Welt abgeschottet. (Darüber wunderte sich am 07.09.2012 auch ein David Gerginov in seinem Artikel "Inflation: Steigende Geldmengen allein führen nicht dazu".)
Diese und eine Reihe weiterer Fragen hatte ich selber sozusagen als ein "Forschungsprogramm" in meinem Blott "Es ist nicht gut, dass der Mensch allein denke!" bereits am 28.02.2010 skiziert. Überhaupt unterscheide ich mich darin von den "Austrians", dass ich mich nicht als Verkünder göttlicher Wahrheiten fühle, sondern als jemand, der noch auf der Suche ist - aber durchaus mit einigen Arbeitshypothesen unterwegs.
Allerdings weiß ich nicht nur, dass ich selber nichts weiß: Ich weiß darüber hinaus, dass auch die anderen (Austrians wie Mainstream-Volkswirtschaftler) nichts wissen. Folgerichtig habe ich ein groß angelegtes Forschungsprojekt gefordert: " 'Manhattan Project' für die Wirtschaftswissenschaften! " (01.03.2013).

Eine wesentliche Frage ist natürlich die nach dem Grund für eine derart starke Ausweitung der Geldmenge. Wobei zunächst zu berücksichtigen ist, dass die große Masse des Geldes (der oben zitierte Prof. v. d. Vring nennt einen Wert von ca. 90%) eben nicht von den Zentralbanken "hergestellt" wird (wie es die Austrians, wenn nicht behaupten, dann jedenfalls erscheinen lassen). Sondern von den Geschäftsbanken.
Richtig ist allerdings, dass diese auf eine gewisse Menge von Zentralbankgeld angewiesen sind, um die Menge an Bankengeld ausweiten zu können. Dabei ist generell (zumindest für die Zeit von der Finanzkrise 2007 ff.) fraglich, ob die Zentralbanken die Menge an Basisgeld (Zentralbankgeld; engl. high powered money, weil die Geschäftsbanken daraus ein Mehrfaches an Bankengeld machen können) überhaupt von sich aus tun, oder ob sie sozusagen von den Geschäftsbanken dazu "gezwungen" werden. Die - für mich überzeugende - Hypothese, dass
die Nachfrage über die Höhe der Geldschöpfung entscheidet, nennt man das Konzept der endogenen Geldschöpfung. Vgl. z. B. Mark Dittli unter "Wie entsteht eigentlich Geld?" im Blog des Schweizer Tagesanzeiger vom 19.07.2013.)
Eine steuernde Funktion üben die Zinssätze der Zentralbank aber wohl schon aus; mit Zinssenkungen hat Alan Greenspan wohl ziemlich erfolgreich für längere Zeit die amerikanische Konjunktur befeuert. (Allerdings - streitig - auch die US-Immobilienkrise verursacht.)

Meine Hypothese ist, dass die Kapitalbesitzer das ihnen aus Gewinnen, Zinsen, Mieten usw. zufließende Geld nicht in die Realwirtschaft zurückpumpen, sondern dass es in einem weitgehend eigenständigen Sphäre der "reinen Finanzmärkte" verbleibt. Und dass die Zentralbanken alles daransetzen (und aus realwirtschaftlicher Sicht daransetzen müssen), um die "veruntreuten" Gelder wieder nachzupumpen. (Was freilich auf Dauer in der Tat nicht funktionieren kann, denn durch den ständigen Abfluss an die Kapitalbesitzer fehlt in der Realwirtschaft eigener Verdienst der Wirtschaftssubjekte, mit dem sie ihre Schulden tilgen könnten.)
"Gemeinsam ist beiden Fraktionen [Neoliberalen und Keynesianern] die Überzeugung, daß die freie Dynamik des ökonomischen Systems von sich aus keine Stabilität hervorbringen kann, sondern ohne staatlichen Eingriff zyklische Krisen und Zusammenbrüche produziert. Daß weder die keynesianischen noch die neoliberalen oder monetaristischen Eingriffe bislang je zum dauerhaften Erfolg führten, hindert jedoch weder Ökonomen noch Politiker daran, es immer wieder neu zu versuchen …".
Was heißt "dauerhaft"? Im 19. Jahrhundert gab es andauernd Krisen; die Weltwirtschaftskrise von 1929 ff. war, auf dem Weg über Hitlers Machtübernahme in Deutschland, ein Teil jener Kausalkette, die zum 2. Weltkrieg - und zum Holocaust - geführt hat. Das Geldmanagement seit dem 2. Weltkrieg hat uns bis ins 3. Jahrtausend ca. 60 Jahre lang eine relativ stabile Wirtschaftsentwicklung beschwert (natürlich mit Geldentwertung, aber ohne massive Krisenerscheinungen in der Realwirtschaft. Und DARAUF kommt es zuallererst an, denn das Geld sollte eine dienende Funktion haben.). Vor diesem Hintergrund ist es einigermaßen abenteuerlich, der Geldpolitik nach dem 2. Weltkrieg einen dauerhaften Erfolg abzusprechen.
Die Forderung nach Etablierung einer Goldwährung (S. 7) kann man heutzutage nur als suizidal bezeichnen. Der Autor (und andere seines Schlages) übersieht dabei geflissentlich, das Goldgeld ein Warengeld ist, und Waren ihren Preis haben.
Auch Kreditgeld hat seinen Preis: Den Zins. Aber wenn man mit der vorhandenen Goldmenge (die außerdem durch Verwendung als Schmuck oder in der Industrie jederzeit in ihrem Umfang schwinden kann!) die heutige Transaktionsmenge bezahlen wollte, würde der Goldpreis ins Unendliche steigen. Gut für die Goldbesitzer; schlecht für diejenigen, die (Gold-)Geld benötigen.


Sogar der "Austrian" Murray Rothbard hatte in seinem Plädoyer für die Einführung einer Goldwährung - "The Case for a 100 Percent Gold Dollar", ursprünglich erschienen 1962 - diesen Sachverhalt als Problem identifiziert (meine Hervorhebung):
"Depending on how we define the money supply — and I would define it very broadly as all claims to dollars at fixed par value — a rise in the gold price sufficient to bring the gold stock to 100 percent of total dollars would require a ten- to twentyfold increase, This of course would bring an enormous windfall gain to the gold miners [und ebenso für die Goldbesitzer!], but this does not concern us. I do not believe that we should refuse an offer of a mass entry into Heaven simply because the manufacturers of harps and angels’ wings would enjoy a windfall gain. But certainly a matter for genuine concern would be the enormous impetus such a change would give for several years to the mining of gold, as well as the disruption it would cause in the pattern of international trade. Which course we take, or which particular blend of the two, is a matter for detailed study by economists. Obviously little or none of this needed study has been undertaken. I therefore do not propose here a detailed blueprint. I would like to see all of those who have become convinced of the need for a 100 percent gold standard join in such a study of the best path to take toward such a goal under present conditions."
Rothbard hatte immerhin noch genügend intellektuelle Integrität um zuzugeben, dass man noch Forschungen anstellen müsse, bevor man über die Einführung einer Goldwährung entscheiden könne.
Seine heutigen vulgärösterreichischen Widergänger sind dagegen nur noch Wiederkäuer von vermeintlichen Glaubensgewissheiten: Männer mit einem Goldhelm, der sie vor jeglichem Kontakt mit den harten Realitäten bewahrt.
Die Forderung, dass Banken Kredite nur noch mit 100% Deckungsreserve vergeben dürfen, entspricht den Vollgeld-Vorstellungen von Prof. Joseph Huber (vgl. meinen Blott
Ein Professor der vom Schlagschatz träumt: Wie Joseph Huber uns Willkürgeld als Vollgeld" andrehen will) und von Thomas Mayer, ehem. Chefvolkswirt der Deutschen Bank, der sich ebenfalls den "Austrians" zurechnet (dazu Blotts "Mensch, Mayer: Was für ein Schwindelgeld wollen Sie uns denn andrehen?, 10.10.2014 und "Die Neue Ordnung des Geldes" oder: Warum wir Thomas Mayers Geldreform NICHT brauchen, und warum er die volkswirtschaftliche Ratio des Kreditgeldes nicht rafft - 14.10.2014).
Vergleiche zu diesem ganzen Komplex auch meinen Blott "Irrige Grundannahmen in der Gelddebatte" vom 09.09.2014.
ceterum censeoZerschlagt den €-Gulagund den offensichtlich rechtswidrigen Schlundfunk der GEZ-Gebühren-Gier-Ganoven!
Textstand vom 19.11.2014.Für Paperblog-Leser: Die Original-Artikel in meinem Blog werden im Laufe der Zeit teilweise aktualisiert bzw. geändert.


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