Die Nachricht kam vor knapp drei Monaten: Das durch den G8-Gipfel 2007 weltberühmt gewordene, altehrwürdige Grand Hotel in Heiligendamm ist pleite. Genauer gesagt: der Immobilienfonds, dem das Hotel gehörte. Beinahe 2.000 Anleger, die gutgläubig ihr Erspartes in den Fonds investiert hatten, müssen den Totalverlust fürchten. Mehr als 130 Millionen Euro dürften futsch sein. Doch Anleger und Insolvenzverwalter wollen sich damit nicht abfinden.
Wolken tauchen den Ostseestrand in dunkles Grau, es nieselt, die Frühsommerwärme drückt. Heiligendamm, Anfang Mai. Das Wahrzeichen hier ist das Grand Hotel. Direkt am Wasser gelegen strahlt es weiß und großzügig mit seinen klassizistischen Bauten. Doch dieser Glanz aus anderen Zeiten kann nicht mehr über die Tatsache hinweg täuschen, dass das Hotel insolvent ist.
Der neue Chef des Hauses ist Jörg Zumbaum, der Insolvenz-Verwalter. Mit dem Hotelgelände hat er sich in der Zwischenzeit bestens vertraut gemacht – und auch mit den Hintergründen der Pleite: “Das Problem ist, dass das Hotel von Anfang an nicht ausgelastet war, nie Gewinn gemacht hat. Man hat zu hohe Erwartungen an die Besucherfrequenz gehabt. Und seit 2003 hat man es nicht geschafft, diese Erwartungen auch nur annähernd zu realisieren.”
Glanz von 2007 ist längst verblasst
Das Luxushotel sollte eine Ruheoase für die Schönen und Reichen werden, idyllisch gelegen an der Ostseeküste Mecklenburg-Vorpommerns. Grandiose Werbung im Großformat bekam es im Jahr 2007: Während des G8-Gipfels logierten und tagten hier die mächtigsten Politiker. Die Bilder von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und den anderen Staats- und Regierungschefs des Bündnisses im übergroßen Strandkorb gingen um die Welt.
Warum nur konnte das Vorzeigeprojekt so dermaßen schief laufen? Weshalb muss jetzt ein Insolvenzverwalter versuchen, Heiligendamm und 300 Arbeitsplätze zu retten?
Schlüsselfigur Anno August Jagdfeld
Diese Fragen stellt sich auch der 77-jährige Renter Anton Berkenheide aus dem nordrhein-westfälischen Werne. Bis zur Insolvenz war er quasi Mitbesitzer in Heiligendamm. 25.000 Euro steckte Berkenheide über den Immobilienfonds Fundus 34 in das Hotel. Angelockt wurde auch er von der Schlüsselfigur im Heiligendamm-Drama: Anno August Jagdfeld.
Der Unternehmer hatte Ende der 1990er-Jahre um Kleinanleger für das Hotelprojekt geworben. Menschen wie Antonius Berkenheide, die ihr erspartes Geld sicher investieren wollten. “Er trat ganz leger auf, und was er sagte, das war mit Punkt und Komma genau. Das passte vorne und hinten”, erinnert sich Berkenheide. Mit viel Emotion gelang es Jagdfeld und der vermittelnden Volksbank, Berkenheide zu überzeugen: “Wasser, Sand und Wald, der weiße Strand: Wo gibt es so etwas wieder? Das war Jagdfelds Aussage.”
Anleger waren zu Beginn begeistert
Jagdfelds Sprecher betont, dass Experten die Wirtschaftlichkeit des Heiligendamm-Projekts bestätigt hätten. Doch besonders die emotionale Ansprache zog offenbar: Jagdfeld sammelte bei mehr als 1.800 Anlegern 130 Millionen Euro ein. Eine exklusive Anlage, unterstrichen durch ein pompöses Richtfest an der Ostsee. “Dort sind wir auf dem Gelände rundgeführt worden. Alles war üppig aufgebaut, sah auch gut aus. Ich war davon begeistert”, so Berkenheide.
Insolvenzverwalter Zumbaum kennt all diese Schilderungen. Doch er weiß auch, dass Heiligendamm seit 15 Jahren eine Baustelle ist. Direkt vor den Augen der Fünf-Sterne-Gäste reihen sich mehrere Villen aneinander, sie sind marode oder noch im Bau. “Die Gäste gehen hier abends, wenn sie teuer essen gehen wollen, an der Baustelle vorbei, an den schon lange nicht mehr gepflegten Villen”, beschreibt Zumbaum den Charme der Umgebung, der sich in Grenzen hält.
Viel Zeit für die Rettung bleibt nicht mehr
Die Villen gehören nicht dem pleite gegangenen Fundus-Fonds 34, sondern einer anderen Firma, der Entwicklungsgesellschaft Heiligendamm (ECH). Der Chef dieser Firma ist ein Altbekannter: Anno August Jagdfeld – derjenige also, dem Anleger wie Anton Berkenheide viel Geld anvertraut haben.
Mit dieser ECH ist das Schicksal des Grand Hotels eng verknüpft, meint Insolvenzverwalter Zumbaum. Denn die ECH ist im Besitz von Flächen, Häusern und Wegen rund um das Grand Hotel. Potenzielle Investoren wollen aber meist das gesamte Areal in Heiligendamm übernehmen. “Da sagt Herr Jagdfeld immer: Dann sollen die mir mal sagen, was sie bieten beziehungsweise, dann lasse ich ein Gutachten machen und dann werde ich sehen, was es wert ist. Da sind wir im Moment in einer sehr schwierigen Situation. Denn der Käufer sagt: Was interessiert mich ein Gutachten?”
Jagdfelds Sprecher erklärt dazu, es habe noch kein konkretes Angebot gegeben. Insolvenzverwalter Zumbaum jedoch drückt aufs Tempo: Viel Zeit habe das insolvente Grand Hotel nicht mehr, um zu überleben.
“Ein Fass ohne Boden”
Nach wie vor schreibt der Betrieb jeden Tag Verluste – und das schon seit Jahren. Ausschüttungen für die Anleger wie Antonius Berkenheide: Fehlanzeige. “Anfangs, in der Bauphase, wurden ja rote Zahlen geschrieben, da hatte man ja Verständnis dafür. Aber das blieb, und das wurde schlimmer. Das war nachher ein Fass ohne Boden. Wir konnten uns nur die schönen Reden von Jagdfeld anhören, aber hatten keine Handhabe. Ich habe meine Felle davon schwimmen sehen.”
Die Fundus-Gruppe schreibt heute, es sei bedauerlich, dass die Gewinn-Prognosen nicht eingetreten seien. Jagdfeld sei aber selbst betroffen, weil er sieben Millionen Euro in den Fonds gesteckt habe. Geld, das an anderer Stelle jedoch wieder zurückgeflossen sein dürfte in die Kassen der Familie. Sämtliche Bauaufträge gingen an Unternehmen mit Jagdfeld-Beteiligung.
Machte Jagdfeld Millionen-Gewinn oder ein “Minus-Geschäft”?
Für dieses Konzept “Alles aus einer Hand” hätten sich die Anleger bewusst entschieden, sagt Jagdfelds Sprecher. Anton Berkenheide muss an dieser Stelle stutzen: “Ob mich das ärgert oder nicht: Das war doch Fakt. Aber man ist ja machtlos.” Im mehr als 150 Seiten langen Verkaufsprospekt findet sich durchaus ein Abschnitt zum “Alles aus einer Hand”-Konzept – er endet mit einem lapidaren Hinweis: “Hieraus können sich Interessenskollisionen ergeben.”
Wie viel Gewinn diese Interessenskollisionen für Jagdfeld abwarfen, ist unklar. Anlegeranwälte beziffern den Erlös auf mehr als 40 Millionen Euro. Jagdfelds Sprecher weist dies zurück, er spricht sogar von einem “Minus-Geschäft”. In der Bilanz der Anleger dagegen wird wohl ein Totalverlust stehen – egal, ob Heiligendamm gerettet wird oder nicht. Hunderte wollen klagen, auch gegen Jagdfelds Fundus-Gruppe. Der einst charismatische Geldeinsammler ist längst auch im Visier der Staatsanwaltschaft Köln. Sie hat Geschäftsräume in Heiligendamm durchsuchen lassen. Der Vorwurf: Untreue.
Gespräche mit potenziellen Investoren laufen
Von diesem Sturm der Entrüstung ist am Hotel selbst an diesem Nachmittag im Mai nicht viel zu spüren. Es ist ruhig, wie so oft haben sich nur wenige Gäste einquartiert. Nachdenklich steht Jörg Zumbaum vor den prächtigen Fassaden und schaut hinaus auf den Ostseestrand. Bis zum Frühherbst habe er noch Zeit, das Grand Hotel zu retten. Ihm geht es vor allem um die 300 Mitarbeiter des Hotels.
Der Insolvenzverwalter setzt darauf, dass auch Jagdfeld einlenkt, wenigstens einige der nicht insolventen Bereiche von Heiligendamm frei gibt und so die wichtigsten Hindernisse aus dem Weg räumt. Zwangsmittel, das zu erreichen, habe er dafür aber nicht. Die Gespräche mit potenziellen Investoren jedenfalls gehen weiter – und die Hoffnung auf einen positiven Ausgang stirbt zuletzt: “Denn dass das hier in gewisser Weise auch klassisch schön ist und Stil hat, das muss man ja schon sagen. Das hat Stil.”
Quelle: NDR.de
Zwar läuft der Betrieb im insolventen Grand Hotel Heiligendamm weiter, doch gut ausgelastet ist die Luxusherberge nicht. © dpa Fotograf: Bernd Wüstneck