Offene Bücherregale können immer wieder interessante Bücher enthalten. Dieses hier fand ich am Hauptplatz von Retz.
Seltsame Bauweise
Dieser „Roman vom Lieben und Verlassenwerden“ ist in einer Weise gebaut, wie ich sie noch nicht erlebt habe: Die Protagonistin des Romans schreibt in Ich-Form, flicht aber immer wieder Erzählungen ein, in denen sie über sich in der dritten Person spricht. Interessanter Weise fasst sich die Ich-Erzählerin aber nicht als Schriftstellerin auf. Diese Erzählungen sind immer autobiographisch, fügen sich daher in die auch sonst autobiographisch wirkende Handlung nahtlos ein, sodass man sich manchmal fragt, was dieser erzähltechnische Kniff bringen soll. Aber er schadet wenigstens nicht.
Vielleicht macht er den Leser darauf aufmerksam, die Handlung nicht so einfach als Autobiographie der Autorin aufzufassen. Dieses Eindrucks kann man sich nämlich nicht erwehren. Besonders zum Schluss, wo Marie-Therese sich im Waldviertel, ihrer Heimat, ein Bauernhaus kauft und es als paradiesischen Alterssitz nützt.
Ob die Handlung nun autobiographisch ist oder nicht, sie ist jedenfalls aus dem Leben gegriffen. Aus einem nicht wahnsinnig glücklichen Frauenleben von heute.
Die Männer
Das Problem in diesem Leben sind die Männer: Weder mit Dauerbeziehung Max noch mit Georg reicht es zu mehr als zu einem Dasein als Geliebte. Beide finden nach Marie-Therese eine andere, die sie heiraten, deretwegen sie aber Marie-Therese nicht vollständig aufgeben. Marie-Therese lässt sich das bieten und leidet darunter. Erklärbar ist das nur durch die irrationale Kraft der Liebe, die gegen jede Vernunft handelt.
Natürlich gibt es neben Max und Georg zahlreiche weitere Beziehungen, die sich aber schnell wieder verflüchtigen. Es will einfach nichts Gescheites werden mit den Männern, die Marie-Therese kennenlernt.
Zwischen modern und altmodisch
Die Heldin changiert selbst zwischen modern und altmodisch. Denn ihre Waldviertler Herkunft bedingt eine stockkonservative Erziehung, in der Männergeschichten eigentlich nicht vorkommen dürften. Doch die junge Frau hat sich bald aus diesem Milieu abgesetzt, nach Wien, wo sie sich den genannten Beziehungen hingibt, mit schlechtem Gewissen einerseits, selbstbewusst und emanzipiert andererseits.
Immerhin, so wenig erfreulich niemals ordentlich funktionierende Männergeschichten auch sind, sie bieten wenigstens den Vorteil von Freiheit und weitgehender Selbstbestimmung für die Frau. Auch wenn diese oft vor Sehnsucht nach Telefonanrufen der Geliebten vergeht.
Die Mutter
Zum Schluss wird auch die Beziehung zu Mutter genauer beleuchtet, als diese im Krankenhaus in Waidhofen stirbt. Die Tochter hat bis zuletzt an dieser hingebungsvollen Mutter gehangen, vor ihr aber ihre Männergeschichten tunlichst geheim gehalten, denn in das Weltbild der Mutter hätten diese nicht gepasst, obwohl man mit ihr durchaus ungeniert über Sex hätte reden können – was aber wiederum Marie-Therese nicht zusammengebracht hat.
Heide Pils: Leicht muss man sein. Roman vom Lieben und Verlassenwerden. Deuticke, Wien, 2003. 155 Seiten
Bild: Wolfgang Krisai: Stadtturm von Retz. Tuschestift, Buntstift, 2016.