Ihre Bilder, Originale und Fotos, schickte sie an Rilke, den sie seit Worpsweder Zeiten kannte und schätzte. Er machte die Gemälde in den Münchner Salons bekannt.
„Ich gehe meistens mit ihren Bildern herum und zeige sie einzelnen Menschen, und sie rufen überall das steigende Staunen hervor, dieser Ermächtigung, dieser unaufhörlichen und unerbittlichen Leistung gegenüber“, schrieb er ihr im Oktober 1915. Tatsächlich ist es erstaunlich zu sehen, wie schnell Woermann lernte, wie sehr sie um die Beherrschung der Farbe rang. Die Motive ähneln einander: Porträts, Doppelporträts, Gruppenbildnisse, gelegentlich auch Landschaften. Immens ist der Entwicklungssprung von der noch epigonalen „Ruhenden Frau mit Kind“ (1915), dem ältesten Bild in der Passauer Schau, hin zum sensiblen Doppelporträt des Dichters Ivar von Lücken (1919), den sie für ihre Pflegetöchter als Hauslehrer eingestellt hat. Auch ihr „Mädchen mit Jasmin“ (1917) weist sie bereits als fein beobachtende Porträtistin aus, die schon sachlich malte, als es den Begriff Neue Sachlichkeit noch gar nicht gab.
Nach dem Umzug nach Wustrow im Jahr 1919 hielt sie oft Menschen aus ihrer Nachbarschaft in ihren Bildern fest. Bauern, Arbeiter, Charakterköpfe. „Wie Volkslieder der Zukunft“ erschienen die Bilder dem Schriftsteller und Komponisten Hans Jürgen von der Wense, jener Mann, mit dem sie lebenslang die innigste Freundschaft verband. 1928/ 29 beschloss sie eine neue Maltechnik zu versuchen. „Vor einem Jahr wurde es mir klar, dass Tafelbilder sich überlebt haben“, schrieb sie in einem Brief. Gemälde in überladenem Schmuckrahmen passten nicht zur neuen Architektur des Bauhauses. Und wer wollte „bei dem rasendem Tempo der Zeit ein und dasselbe Bild Monate und Jahre um sich“ haben? Daher entwickelte sie, ausgehend von der japanischen und chinesischen Technik, ein europäisches Rollbild, das sie auf Stoffe, meist auf Seide malte, wundervoll präsente Bilder, die die Kunstwelt mit großem Interesse wahrnahm. 1930 stellte sie in Paris in der Galerie Renaissance aus, ein Jahr später im Pariser Sportpalast, die Kunstkritiker reagierten begeistert.
Warum sie von 1933 bis 1936 in Argentinien lebte, ist bislang unerforscht, genauso ihre Haltung zu den Nazis. Allerdings war Hedwig Woermann an keiner der Kunstausstellungen des Dritten Reichs beteiligt. Anfang Mai 1945 entschloss sich das Ehepaar Jaenichen zu einem Doppelsuizid, den Hedwig überlebte. „Ich kann die Gräber meiner Lieben nicht verlassen“, begründete sie ihren Entschluss, in der DDR zu bleiben. Völlig verarmt lebte sie in Wustrow, malte Blumenbilder, die sie an Touristen verkaufte, starb fast vergessen 1960. Doch ihr Werk ist geblieben und erinnert an eine wirklich starke Frau. / Sabine Reithmeier, Süddeutsche Zeitung 30.10.
Von Rilke bis Hofer. Hedwig Woermann und ihre Künstlerfreunde, bis 2. 12., Di-So 11 – 17 Uhr, Museum Moderner Kunst Wörlen, Passau, Bräugasse 17. Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen.