Hebden Bridge – Yorkshires Hippie-Metropole

Als ich vor drei Jahren auf dem Pennine Way durch Englands Norden stapfte, konnte ich viele Dörfer und Sehenswürdigkeiten am Wegesrand nur streifen. Ich hatte zu wenig Zeit, auf meinem 420 Kilometer langen Marsch nach Schottland auch noch Sightseeing zu betreiben. Eines dieser Örtchen, von denen ich nur einen flüchtigen Eindruck bekam, war Hebden Bridge. Hätte ich allerdings damals schon gewusst, an was für einer Perle ich da einfach vorbeispazierte, ich hätte wohl doch für ein paar Stündchen meinen Rucksack abgesetzt und wäre mitten hinein spaziert. Erst jetzt hat mich meine Schwester auf die Idee gebracht, doch nochmal nach Hebden zu fahren. Denn meine Schwester ist eine ganz wunderbare, aufstrebende junge Künstlerin und Hebden Bridge ist sozusagen das nordenglische Mekka für alle jene, die ein kreatives Gemüt besitzen. Manchmal braucht es eben erst eine charmante Begleitung, die einen anstupst und an Orte führt, die man beinahe vergessen hätte.

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Also machen wir uns auf nach Hebden Bridge, einem kleinen Marktstädtchen im Upper Calder Valley im Westen von Yorkshire, das umsäumt ist von steil aufragenden Hügeln des Pennine Gebirges und gelegen am Rochdale Kanal, der bis nach Manchester führt. Die einst anglo-sächsische Siedlung war bereits im Mittelalter an einer wichtigen Handelsroute gelegen und bildete den Übergang an einer Lasttierstraße zwischen Halifax und Burnley. Damals wurde das Örtchen „Heopa Denu“ genannt, das „Tal der wilden Rose“. Die wasserreiche Lage am Zusammenfluss der Flüsse Hebden Water und Calder begünstigte den Aufschwung des Örtchens während der industriellen Revolution. Mehrere wasserbetriebene Textilmühlen siedelten sich hier an. Hebden Bridge wurde zu einem Zentrum der Wollindustrie und erhielt bald den Spitznamen „Trouser Town“, da hier vorwiegend Arbeiterhosen gefertigt wurden. Die Statue einer Schneiderklinge auf dem St. George Square erinnert an die Hochzeit der Textilverarbeitung.

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Während des Zweiten Weltkriegs nahm das Städtchen viele Fachkräfte auf, die aus den industriellen Metropolen aufs Land geflüchtet waren. Mit dem Rückgang der Textilindustrie in den 60er Jahren sah auch Hebden Bridge dunkleren Zeiten entgegen. Das einst vibrierende Städtchen zerfiel, Geschäfte schlossen, leerstehende Häuser wurden abgerissen. Doch das Schicksal von Hebden Bridge war längst nicht besiegelt. In den 70er und 80er Jahren kamen in Scharen neue Einwohner herbei. Diesmal waren es allerdings keine Industriearbeiter mehr, sondern Künstler, Schriftsteller, Musiker, New Age Aktivisten u.a.m. entdeckten das Städtchen neu und machten es zu ihrem San Francisco. Die Hippiebewegung erfasste Hebden Bridge und verwandelte sein Antlitz für immer. Moderne, alternative Lebensformen fanden hier ihren Nährboden. Hebden Bridge wurde zum Inbegriff von Toleranz und Weltoffenheit. Die Menschen, die der Anonymität der Großstädte entflohen waren und sich hier ansiedelten, fanden eine Nische, in der sie sich frei entfalten konnten.

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Auch wenn Hebden Bridge inzwischen nicht mehr ganz so ungestüm wirkt und sich nicht nur die Hauspreise, sondern auch der bürgerlich-gediegene Anteil der Einwohner erhöht hat, so ist dennoch bis heute das bunte, freiheitliche Flair zu spüren. Auf dem Kanal reihen sich selbstbemalte Hausboote aneinander. Zwischen knallbunten Blumentöpfen verstecken sich kleine Cannabis-Plantagen. Im Hintergrund stehen kleine, windschiefe Holzhütten, ausgeschmückt mit allerlei originellen Installationen. Die Konzentration an Indie-Shops, organischen Restaurants und Cafés ist hoch. Ketten wie Starbucks oder Costa sucht man hier vergeblich. Die einst unter Maschinendampf schanufenden Mühlen haben sich in kreative Zentren verwandelt. Rund um das Jahr beleben Festivals das städtische Leben.

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Im Stadtbild von Hebden Bridge spiegeln sich blankpolierte Fassaden, aber es gibt auch eine gewaltige Schattenseite. Bedingt durch seine Lage, ist Hebden Bridge in den regenreichen Monaten oft stark überflutet. Der Alkohol- und Drogenkonsum gerade unter Jugendlichen ist hoch und die Selbstmordrate verheerend. In Polizeikreisen kursiert für Hebden Bridge aufgrund des Drogenmissbrauchs auch der Spitzname „Happy Valley“. Die gleichnamige BBC-Serie „Happy Valley“ basiert auf dieser Vorlage und wurde größtenteils in Hebden Bridge gedreht.

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Als wir durch die Pflastersteinstraßen dieses Postkartenstädtchens laufen, spüren wir jedoch nichts von den Problemen, mit denen Hebden Bridge unter der Oberfläche zu kämpfen hat. Das lässt mich nachdenklich werden. Wie viele Orte hatte ich bereits besucht und oft wie selbstverständlich nur die rosigen Dinge betrachtet. Meine vor wenigen Jahren erst entfachte Zuneigung zu England hat mich für lange Zeit scheinbar etwas erblinden lassen. Ich schätze, so ist das eben, wenn man sich neu in ein Land verliebt. Zunächst zählen überwiegend die schönen Eindrücke, weil das Herz überquillt vor Glück.

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Als ich damals auf die Insel zog, hatte ich für lange Zeit tatsächlich ganz und gar ausgeblendet, dass es in diesem Land zu den schillernden natürlich immer auch Kehrseiten gibt. Obwohl mein Mann Polizist ist, habe ich daran festgehalten, dass ich in einem Märchen lebe. So richtig mochte ich nicht an die Schattenseiten glauben. Jetzt, nach vier Jahren scheint mein Blick auf England sich allmählich zu relativieren, mein Touristenvisum ist abgelaufen und mein Herz beginnt, in die Wirklichkeit zurückzukehren. Das ändert jedoch kaum etwas daran, dass ich Hebden Bridge auf Anhieb fest in mein Herz schließe. An diesem zauberhaften Ort füllt sich mein Kopf mit tausend neuen Ideen und ich fühle, wie der Geist der feinen Künste mit aller Macht von mir Besitz ergreift. Hebden Bridge ist meine neue Muse und ich bin unendlich froh, dass ich schließlich doch noch hierherspaziert bin.

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