Wolfgang Krisai: Burg auf einem Felsen. Rohrfeder und Tusche, mit Deckfarbe koloriert.
Nachdem ich selbst ein Nibelungen-Stück geschrieben habe, interessieren mich die Werke meiner berühmten „Kollegen“ natürlich besonders. Da ich las, Friedrich Hebbels Nibelungen-Trilogie sei eine recht gute Dramatisierung des Nibelungenlieds, nahm ich mir dieses Werk nun vor.
Hebbel konzentriert sich auf die wesentlichen Schritte des Stoffs, baut aber das, was den Zuseher des 19. Jahrhunderts wohl mehr interessiert als jenen des Mittelalters, etwas aus: so die Vorgeschichte, die im Nibelungenlied in einer knappen Zusammenfassung durch Hagen abgetan wird (der Drachenkampf kommt da ja nur in einem einzigen Vers vor) – sie füllt hier das Vorspiel „Der gehörnte Siegfried“ in einem Akt. Darauf folgen zwei fünfaktige Teile: „Siegfrieds Tod“ und „Kriemhilds Rache“. Darin versucht sich Hebbel auf dem Niveau seiner Zeit auch als psychologischer Durchleuchter der Personen, außerdem kämpft er ebenso wie schon der mittelalterliche Dichter mit den Unstimmigkeiten zwischen den beiden Sagen und schafft es ganz gut, die verquere Dienstmannlüge Siegfrieds bei der Werbungsfahrt zu Brünhilde plausibel zu machen: Siegfried muss sich als Dienstmann ausgeben, weil er sonst gezwungen wäre, selbst um Brünhild zu werben, die er vor Jahren auf seiner ersten Islandfahrt schon von Ferne gesehen hat – und sie ihn. Da ihm der Ruf vorauseilt, unüberwindlich zu sein, wäre es logisch, dass Brünhilde nicht mit Gunther, sondern mit ihm kämpft. Aber mit einem bloßen Dienstmann wird sie natürlich nicht kämpfen.
Interessant dann, wie Hebbel das spätere Schicksal Brünhildes beleuchtet: Es wird erzählt, dass sie nach Siegfrieds Tod nicht etwa glücklich und zufrieden war, sondern dass sie ebenfalls um Siegfried trauert, sich am Sarkophag des Helden die Haare rauft und die Fingernägel ins Fleisch krallt vor Verzweiflung.
Hagen wird als fast schon teuflische Gestalt gezeichnet, wie er die Burgunder bzw. „Nibelungen“ (wie sie im zweiten Teil gemäß dem Vorbild heißen) ins Verderben treibt. Und gerade diese dämonische Macht des Tronjers verführt die Brüder und alle Nibelungen zu einer irrationalen „Nibelungentreue“, sogar Gieselher, der davor immer zu Hagen auf Distanz gegangen ist, kann sich diesem Sog nun nicht mehr entziehen. Wenn nun von den Nazis während des 2. Weltkriegs von den Deutschen „Nibelungentreue“ gefordert wurde, so ist dies treffender, als ich bisher dachte, denn die „Treue“ der Deutschen zu Hitler war nicht weniger wahnhaft als jene der Nibelungen zum bösen Hagen.
Kriemhild mutiert angesichts Hagens am Ende zu einer Furie der Rache, die alle Menschlichkeit vergisst. Interessant ist hier Etzel, der – von Hagen durch die Ermordung seines Sohnes gezielt provoziert – seine Mannen auf seiten Kriemhilds ins Gemetzel wirft, selbst aber nicht zum Schwert greift. Als schließlich alle tot sind bis auf Dietrich und Hildebrandt, klappt er zusammen und dankt formlos ab. Dietrich von Bern übernimmt die angebotete Krone mit den Worten „Im Namen dessen, der am Kreuz erblich!“. Damit macht Hebbel die Tragödie gleichzeitig zum Abgesang des letzten heidnischen Reiches, was gut zu der Zwitterstellung des Nibelungenlieds zwischen Heiden- und Christentum passt.
Katzen – eine Feiertagslaune Gottes
Eine allerliebste Marginalie ist Hebbel im ersten Akt von „Kriemhilds Rache“ (Verse 2959-64) eingefallen: Kriemhild beschäftigt sich nur noch mit ihren Haustieren und sagt über die Katzen:
… „das Kätzchen, dieses Sonntagsstück
Des arbeitsmüden Schöpfers, das er lieblich,
Wie nichts, gebildet hat, weil ihm der schönste
Gedanke erst nach Feierabend kam“.
Besser kann man die Hauskatzen, diese unwiderstehlichen Ausbünde an Gemütlichkeit und unwiderstehlichem Faulenzertum, nicht charakterisieren.
Kann man das Werk heute noch lesen?
Hebbels Drama ist eine Verstragödie im Blankvers, doch das stört beim Lesen, finde ich, nicht, im Gegenteil, der Vers geht sehr flüssig voran. Die Satzkonstruktionen brauchen gelegentlich gesteigerte Aufmerksamkeit, auch einige Wörter sind erklärungsbedürftig. Wünschenswert wäre da eine Ausgabe mit anständigem Kommentar, wie ich sie nicht vorliegen hatte. Mein Kommentar beschränkt sich auf ganz wenige, dennoch erhellende Dinge.
Der Nibelungenstoff reizt zu Bearbeitungen, ja, er verlangt sie – und er ist es wert. Hebbel steht hier geradezu auffällig bescheiden im Dienste des großen Werks, dramatisiert es geschickt, enthält sich aber jeder allzu freien Umdeutung. Gelungene Sache!
Friedrich Hebbel: Die Nibelungen. Ein deutsches Trauerspiel in drei Abteilungen. 1855 – 1860 (gedruckt 1862). In: Friedrich Hebbels sämtliche Werke. Vollständige Ausgabe. Hg. v. Hermann Krumm. 8. Band. Leipzig, Hesse & Becker, o. J. 250 Seiten (incl. Vorwort und Anmerkungen des Herausgebers).