Einer Eingebung des Unterbewusstseins folgend sah ich mir das Klassik-Regal meiner Frau an, und siehe da: Hier stand ja das Buch! Signiert von Hazel Rosenstrauch am 20. Mai 2010.
Was in Peter Berglars Monographie über Wilhelm von Humboldt über die Ehe von Caroline und Wilhelm stand, hatte mich sehr neugierig gemacht. Das Buch von Hazel Rosenstrauch bot nun einen genauen Einblick in diese interessante Beziehung.
Ehe mit Freiraum
Beide Partner in dieser Ehe waren hochintellektuelle Persönlichkeiten, die lebenslang in einem regen geistigen und seelischen Austausch standen, einander aber in Bereichen, wo ihre Charaktere nicht deckungsgleich waren, auch größtmöglichen Freiraum gewährten.
Bei einer Ehe unter Adeligen, die von den Eltern arrangiert worden wäre, wäre es nicht weiter erstaunlich, wenn die Partner außereheliche Beziehungen hätten. In diesem Fall war es das Programm zweier Liebender, die sich aus Liebe füreinander entschieden hatten, einander trotzdem außereheliche Beziehungen zu gönnen.
Freundschaft, Liebe und Sex
Wobei zu bedenken ist, dass damals Freundschaft, Liebe und Sexualität anders verteilt waren als heute. Freunde schrieben einander glühende Liebesbriefe, Liebende waren einander seelisch verbunden, ohne dass „Sex“ hier die Hauptrolle spielen musste.
Bei den Humboldts weiß man über die erotische und sexuelle Seite der Ehe nichts, sondern hat nur die „Ergebnisse“ in Form zahlreicher Kinder.
Sehr wohl weiß man aber von Carolines „leidenschaftlichem Verhältnis“ (Peter Berglar: W. v. H., S. 39) zu Wilhelm von Burgsdorff in Paris. Oder von Wilhelms Ausgaben für Bordellbesuche, die er im Tagebuch notierte.
Eine Frau, mit der er ein engere Beziehung pflegte, als er in Königsberg Bildungsminister war, hieß Johanna Motherby. Seine Briefe an sie sind erhalten und ediert.
Intensive Korrespondenz
Die Briefe, die zwischen den beiden Ehepartnern hin und her flogen, sind die Hauptquelle für unser Wissen über diese Ehe und das Alltagsleben der Familie Humboldt. Sie wurden von der Enkelin Humboldts (oder war es schon die Urenkelin?) kurz nach 1900 in sieben Bänden herausgegeben. Hazel Rosenstrauch betont, man müsse diese Quelle mit Vorsicht behandeln, denn sie sei geschönt. Überhaupt fällt Hazel Rosenstrauchs kritischer Blick auf ihre Quellen positiv auf.
Eine solche Vielzahl von Briefen gibt es nur deshalb, weil Wilhelm und Caroline häufig für kürzere, aber auch längere Zeit getrennt waren. Carolines labile Gesundheit (sie litt fast immer unter Kopfschmerzen und Fieber) legte „gesunde“ Aufenthaltsorte nahe. Königsberg war nicht darunter. Eher schon Rom, wo die Familie fünf Jahre verbrachte und im Palazzo Tomati wohnte.
Lust am Gesellschaftsleben
Caroline scheint die gleiche Lust an Gesellschaften wie Wilhelm gehabt zu haben, daher wurde ihr Haus überall sogleich zu einem Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens. Insbesondere in Rom förderte Caroline die deutschen Künstler, die sich in der ewigen Stadt niedergelassen hatten. Sie verköstigte sie, verschaffte ihnen aber auch Aufträge. Sie war eine Kennerin der Malerei, weshalb Goethe sie auch bat, auf einer Spanienreise ein Verzeichnis der wichtigen Gemälde, die ihr unterkamen, anzulegen und ihm zu schicken. Für die Kunstsammlung der Humboldts war in erster Linie sie zuständig, wie überhaupt für alle organisatorischen Belange des Haushalts. In dieser Hinsicht hatte sie das volle Vertrauen ihres Mannes.
Man kann sich vorstellen, wie sie als geistvolle und charmante Dame junge Männer faszinierte. Mancher Hauslehrer der Kinder musste gehen, weil er der Herrin zu nahe getreten war – ohne auf Gegenliebe zu stoßen.
Tod Carolines 1829
1829 starb Caroline. Wilhelm überlebte sie um sechs Jahre, während derer er einen intensiven Kult um die Verstorbene trieb. Er besuchte auf seinen Spaziergängen täglich ihr Grab im Park des Schlosses Tegel bei Berlin, wo die beiden seit 1819 gelebt hatten. Er kümmerte sich auch persönlich um die angemessene künstlerische Gestaltung des Grabes, über dem sich eine Säule, bekrönt von einer Marienstatue, erhob.
Hazel Rosenstrauchs Buch ist eine ideale Ergänzung zur vorher gelesenen rororo-Monographie über Wilhelm von Humboldt und macht Lust darauf, sich mit den Ehebriefen zu beschäftigen, die man im Internet findet, wie alle Werke Humboldts auch.
Hazel Rosenstrauch: Wahlverwandt und ebenbürtig. Caroline und Wilhelm von Humboldt. Eichborn, Frankfurt, 2. Aufl., 2009. 340 Seiten.
Bild: Wolfgang Krisai: Caroline von Humboldt. Nach einem Gemälde von Gottlieb Schick, 1809. Feder, Farbstift, 2016.