Bevor wir die Gelegenheit zu einem Umzug nach Berlin bekamen, hatten meine bessere Hälfte und ich eine neue Wohnung im Ruhrgebiet gesucht. Eine mit Arbeitszimmer. Wir besichtigten, was die Leute zwischen Essen und Gelsenkirchen hinter sich lassen wollten. In der Regel ältere Paare, deren Kinder aus dem Haus waren, und deren Wohnung oder Bungalow zu groß geworden war. Alles zu sehr attraktiven Preisen.
Was uns jedes mal erstaunte, und was uns eine Lektion war: Diese großen Wohnungen waren alle vollgestopft mit Erinnerungen an bessere Zeiten im Ruhrpott. Vielleicht das Typische für eine Region im Sinkflug, der vor allem die idee für die Zukunft abhanden gekommen ist. Regale, Schränke, alles voll und seit Jahren nicht mehr angefasst. Selten sahen wir Wohnungen mit wenig Großem, meistens solche mit viel Kleinem. Diese Wohnung zu übernehmen und als erstes ausmisten zu müssen wäre uns ein Horror gewesen.
In diesem Wohnstil kam eine innere Haltung zum Ausdruck: Erstens trenne ich mich nicht von Vergangenem, sondern lebe in der Vergangenheit. Zweitens sind Raum und Wandfläche ein Appell, diese Lücke zu stopfen - ich ertrage weder Leere noch offene Aufgaben. Drittens wage ich nie den Kauf von etwas großem. Ich gebe lieber zehnmal 100 Mark aus als einmal 1.000, da mache ich weniger Fehler.
Das ist eine Form von Zerstreuung. Von der Art wie man abends seine Freizeit vor dem Fernseher oder im Internet zerstreut. Man hat etwas Zeit oder Geld über und spendiert es für Nippes. An keinen dieser Abende und an keine Sendung oder Website werden wir uns später erinnern.
Die dahinter stehende Ursache ist Bequemlichkeit. Nicht nur Geldverdienen ist anstrengend, sondern auch der überlegte Kauf.
Ich bin heute morgen auf einen Artikel im stern gestoßen, der mich angerührt hat. Über eine Sterbebegleiterin in Australien, die aufgeschrieben hat, welche fünf Dinge Sterbende am meisten bereuen. Die Liste wird niemanden wirklich überraschen, der ehrlich zu sich selbst ist und schon mal über den Sinn seines Lebens nachgedacht hat. Es handelt von dem Irrweg, sein Leben mit der Erfüllung anderer zu verbringen. Und den zuwenig bewussten Entscheidungen für eigene Freude und der zu großen Bequemlichkeit den wirklich wichtigen Dingen Vorrang zu geben. Kurzum: Zu viel gearbeitet, zu viel verschleudert, zu wenig auf Qualität geachtet.
Man kennt das: Eine interessante Einladung unter der Woche. Freude darauf, doch wenn der Abend da ist, zu große Bequemlichkeit jetzt noch mal vor die Tür zu gehen. Wenn wir es doch tun, erleben wir meist einen Abend, der in Erinnerung bleibt, von dem wir etwas mitnehmen. Seien es es Freunde oder eine öffentliche Veranstaltung.
Gut gefällt mir deshalb der Rat der Autorin, sein Leben zu vereinfachen und es von Unwichtigem zu entrümpeln. Man braucht dann weniger Geld und gibt es für Dinge aus, die bleiben und lange erfreuen. Dazu muss man aber erstmal wissen, was man selbst will, was einem Freude macht (Freude, die über die Anerkennung oder Neid anderer hinausgeht). Wer in sich ruht, weiß wer er ist und was er will, dies auslebt und dafür Wertschätzung bekommt, der lebt in Fülle.
Manch einer steht vor der Frage, ob er für 1.000 EURO mehr im Monat bereit ist, zwei bis vier Stunden täglich mehr im Büro zu verbringen. Wer hier Ja sagt, verfolgt entweder Status oder materielle Träume. Wenn es eigene Träume sind, ok. Aber wehe, es dient verkappt doch der Erfüllung von Erwartungen anderer. Dann folgt späte Reue.
Ich glaube inzwischen an den Umzug in einem Schritt. Wer mit dem Möbelwagen mehr als einmal fahren muss, sollte überlegen, was weg kann.
Wer Sicherheit aus dem Bewusstsein was wichtig ist zieht, und Stärke aus der Fokussierung auf das Wichtige, und wer darüber offen spricht, wird für andere unbequem. Freunde, denen es nur um Einfluss geht, Chefs, die sich schwache und lenkbare Mitarbeiter wünschen, Eltern die Kontrollverlust fürchten, Beamte, die einem keine Angst einflößen, neigen dann zu Widerstand. Einem Widerstand der sich Angst oder Neid speist. Gerade im Ruhrgebiet verbreitet ist die Neigung, andere zur Nachahmung eigener Fehler anzustiften, damit man in der Reue nicht mehr allein ist, und von Großem -das man sich selbst nicht traut - abzuraten.
Die besser Organisierten begegnen diesem Ausgang aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit als Hedonismus, wie z.B. die kath. Kirche. Der Papst verdammt, wer nicht an die unsichtbare Person Gottes glaubt, sondern an den göttlichen (kreativen) Funken im Menschen.
Zu der Einsicht in den Wert des eigenen Lebens kommen die meisten nur kurz vor dem Tod. So wie sie vorher auch alles andere erst wertgeschätzt hatten, nachdem es nicht mehr da war. Rummosern und sich einreden, dass man nichts ändern kann und allen anderen davon abraten war ihr Lebensstil. In einer Wohnung vollgestopft mit Zeugen der Lebensvergeudung.