Häusliche Gewalt und ihre Opfer

In Berlin wurde wieder einmal eine Frau von ihrem Mann getötet. Dieses Verbrechen verstörte besonders, weil der Mann die Mutter von sechs Kindern im Alter zwischen 13 und einem Jahr auf einer Dachterrasse zerstückelte und den Kopf und weitere Leichenteile in den Hof warf. Nachbarn berichten über einen schon länger schwelenden Streit des Paares, der offenbar in der Nacht zum Montag grausam eskaliert ist. Laut der Opferstatistik des Bundeskriminalamtes wurden im vergangenen Jahr in Deutschland 662 Menschen Opfer von Mord und Totschlag, 349 Männer und 313 Frauen. Von den Frauen wiederum wurden 154 – also etwa die Hälfte der Opfer – vom aktuellen oder ehemaligen Lebenspartner getötet. Für Frauen ist eine Beziehung zu einem Mann also ein echtes Sicherheitsrisiko. (Um Missverständnissen vorzubeugen: Ich habe eine Beziehung zu einem Mann, ich weiß ja, dass nicht alle gleich sind.)

Interessant ist, dass die “Opfer-Tatverdächtigen-Beziehung” erst seit dem vergangenen Jahr vom BKA erfasst wird, zuvor wurde nur erfasst, ob Täter und Opfer verwandt oder bekannt waren. Jetzt wird offensichtlich, dass nicht irgendwelche Verwandten oder Bekannten die Täter sind. Nicht erfasst wird weiterhin, aus welchen Schichten bzw. Milieus die Täter stammen. Die taz zitiert eine Referentin für Häusliche Gewalt von der Menschenrechtsorganisation Terre de Femmes, die berichtet, dass die Täter aus allen Milieus kommen, nicht nur Migranten und Arbeitslose erschlagen ihre Frauen, auch unter Professoren kommt das vor. Vermutet wird allerdings schon, dass finanzielle Schwierigkeiten den Druck erhöhen und eher zu schwierigen Situationen führen.

Das kann ich durchaus bestätigen, sowie die Tatsache, dass auch deutsche Männer mitunter recht gewalttätig werden können. Auch wenn es in Familien mit einschlägigem Migrationshintergrund ebenfalls aufsehenserregende Gewaltausbrüche gibt. Und ich weiß auch, dass es unglaublich schwierig ist, sich als potenzielles Opfer zu schützen. Denn solange frau noch kein Opfer geworden ist, gibt es ja keine Tat, die beweist, dass die Lage tatsächlich brenzlig ist bzw. war.

In der Endphase meiner ohnehin nicht allzu lange währenden Ehe gingen meinem Ex irgendwann auch die Argumenten aus – und statt dessen kam dann erstmal die Androhung von Gewalt. Es gab tatsächlich auch kein Argument mehr dafür, mit diesem Mistkerl zusammen zu bleiben, und das wusste der durchaus. Aber er brauchte mich – irgendwer musste ja die Miete zahlen und den Kühlschrank befüllen. Er konnte nicht abhauen, weil er außer Schulden nichts hatte, ich wollte nicht abhauen, weil ich die schöne große Wohnung ja für mich und die Kinder haben wollte. Was der Mistkerl überhaupt nicht einsah. Er versprach, mich irgendwann vom Balkon zu werfen, wenn ich nicht aufhören würde, ihn mit lästigen Gelddingen zu behelligen. Wenn ich Geld bräuchte, sollte ich mich drum kümmern, er hätte kein Problem mit Geld. Natürlich nicht. Dafür war ja seiner Meinung nach ich zuständig. Wie für alles andere auch. Die Situation eskalierte vor sich hin und die Nachbarn hätten sicherlich auch über einen länger schwelenden Streit zwischen den Eheleuten berichten können. Irgendwann kam es dann zu den ersten Tätlichkeiten und ich bekam endlich lebensrettende Angst, denn der Mistkerl war schließlich einen Kopf größer und entsprechend stärker als ich. Dabei war er mir doch ein paar Jahre zuvor noch so freundlich und friedlich erschienen, endlich mal ein echt netter Kerl, der sich sogar für meine Kinder interessierte. Und plötzlich mutierte der zum durchgeknallten Psychopathen.

Nach einer weiteren Eskalation wandte mich an die Hotline für häusliche Gewalt (die Nummer war mir in der U-Bahn aufgefallen und ich hatte sie sicherheitshalber notiert) und schilderte die Lage. Die freundliche Frau empfahl mir, sofort abzuhauen und unterzutauchen. Ich solle mich und die Kinder in Sicherheit bringen, bevor es zu spät sei. Genau das tat ich und wandte mich dann ans Gericht, weil ich ja eigentlich lieber in der Wohnung wohnen wollte, für die ich ohnehin die Miete zahlte. Ich fand, dass mein Ex ausziehen musste, der war es ja, der Probleme machte.

Es folgte eine unglaublich frustrierende Jura-Lektion, denn die zuständige Richterin erklärte mir, dass sie erstmal gar nichts tun könne, weil mein Mann mir ja noch nichts getan habe. Morddrohungen und ein paar blaue Flecke reichten da nicht. Da könne ja jeder kommen. Es müsse ein Verfahren geben und das dauere seine Zeit. Auf meine Frage, wo ich bis dahin bleiben sollte, meinte die Richterin, das es dafür schließlich Frauenhäuser gäbe.

Um die Sache anzukürzen: Es ist unglaublich schwierig, als Gewaltopfer ernst genommen zu werden, solange man den Kopf noch auf den Schultern hat. Gerade für Frauen, die sich auch noch um Kinder kümmern müssen, ist es noch viel schwerer, mal eben zu verschwinden, wenn es brenzlig wird – Menschen sind Gewohnheitstiere, und im gewohnten Umfeld fühlt man sich nun man besser und sicherer, auch wenn das objektiv nicht unbedingt der Fall ist. Mal eben mit Kindern vor dem gewalttätigen Partner zu flüchten und dann irgendwo unterzukommen ist wirklich nicht so einfach, selbst wenn man Freunde und Verwandte hat, die einen unterstützen.

Es wird ja nicht einfach alles gut, sondern es geht immer weiter. Du bist zwar für den Augenblick in Sicherheit, aber das ganze Leben gerät aus den Fugen. Wenn du auf der Flucht bist, hast du plötzlich gar nichts mehr. Ständig muss organisiert und improvisiert werden, Schule, Job, das geht ja alles weiter, nur unter total erschwerten Bedingungen. Ich werde nie vergessen, wie unglaublich ätzend es war, unter Polizeischutz meine eigene Wohnung zu betreten, um für mich und die Kinder ein paar Dinge zu holen. Wäsche zum Wechseln, benötigte Papiere, das vergessene Kuscheltier, das Lieblingsbuch. Und wie der Mistkerl triumphierte, weil er schön warm in der Wohnung saß, während ich um ein paar Wintersachen betteln musste. Und der dachte wirklich, dass er mit dieser Tour durchkommt und so, wie unser Rechtswesen gestrickt ist, sah es erstmal auch wirklich danach aus. Er hatte die Wohnung und seine Ruhe, ich hatte den Stress und musste sehen, wo ich blieb. Das ist fatal, weil die Täter erstmal das Gefühl haben können, das es völlig okay ist, was sie tun. Natürlich war der Mistkerl auch nicht doof und hat der Polizei, dem Gericht und dem Jugendamt die Hucke voll gelogen. Er wusste ganz gut, was er erzählen und was er lieber weg lassen musste. Häusliche Gewalt im Akademikermilieu.

Ich muss andererseits auch sagen, dass Berlin eine ziemlich gute Infrastruktur in Sachen Nothilfe hat – ich bekam tatsächlich Hilfe von den engagierten Frauen bei den ganzen Sozialdiensten, die es inzwischen glücklicherweise gibt. Und ich war total erleichtert, dass wenigstens die meine Geschichte glaubten, während ich bei Polizei und Justiz erstmal auf Granit gebissen hatte. Klar können und dürfen die auch nur glauben, was objektiv beweisbar ist. Aber genau ist das Problem – ich wollte halt nicht so enden wie die 154 Frauen im vergangenen Jahr, die nicht rechtzeitig die Kurve gekriegt haben. Und dann ganz objektiv Opfer von häuslicher Gewalt geworden sind. Ich kann an dieser Stelle nur dafür werben, diesen Diensten und Vereinen genügend Geld zukommen zu lassen, dass sie weiter arbeiten können. Sie werden wirklich gebraucht.

Ein paar Wochen später war das Verfahren dann durch (meine Anwältin versicherte mir, dass das ungewöhnlich schnell ging) und die Wohnung wurde erstmal mir zugesprochen. Aber ich bin dann später doch ausgezogen. Konnte dort nicht mehr ruhig schlafen, nach all dem, was dort passiert war. Fühlte mich nicht mehr sicher. Sogar in der neuen Wohnung hatte ich noch monatelang Angst. Und ich gehörte echt nicht zu dem Menschen, die nur schlafen können, wenn sie alles verrammelt und abgesperrt haben. Im Gegenteil. Leute mit ausgeprägtem Sicherheitsfimmel sind mir immer auf die Nerven gegangen. Und plötzlich wache ich nachts auf und muss zitternd zu Wohnungstür schleichen, um nach zu sehen, ob ich den Sicherheitsriegel auch zugeschoben habe. Ich bin fast ein Jahr lang regelmäßig zu Therapiegesprächen gegangen – auch ein für Bedürftige kostenloses Angebot übrigens, von dem ich nur hoffen kann, dass nicht ausgerechnet daran gespart wird. Auch Opfer brauchen Therapie, nicht immer nur die Täter.

Und jedes Mal, wenn ich wieder von einem solchen Fall höre oder lese, kommt dieses Gefühl wieder, die Erinnerung an die Angst, an die Ohnmacht. Aber auch die Wut.



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