12.2.2012 – Die Ermittlungen in Sachen Zwickauer Nazi-Terrorzelle steuern auf einen neuerlichen Skandal zu. Offenbar hat das BKA die Bundespolizei mehrfach dazu aufgefordert, die Handy-Daten eines Verdächtigen von ihren Rechnern zu löschen. Zwar dementiert das BKA die Unterstellung, hierdurch hätten Beweise unterdrückt werden sollen. Dem ungewöhnlichen Vorgang selber wird allerdings nicht widersprochen.
„Du kannst die Daten löschen“
Die ursprünglichen Informationen über einen Vorgang, innerhalb dessen das BKA die Bundespolizei mehrfach zum Löschen von Handy-Daten eines Verdächtigen aufgefordert hat, stammen aus der heutigen Ausgabe der „Bild am Sonntag“. Wenngleich hierdurch bei der Bewertung der Fakten Vorsicht geboten ist, hat sich der Kern der Vorwürfe mittlerweile bestätigt und beschäftigt nicht nur das BKA und seinen Chef Jörg Ziercke sondern auch das Bundesinnenministerium.
Konkret geht es um die Daten von einem Handy, das dem mutmaßlichen Terror-Unterstützer André E. zugewiesen wird. Das Gerät hatten Beamte sichergestellt, als sie den Verdächtigen am 24. November in Brandenburg verhafteten. Ihm wird unter anderem vorgeworfen, das Propagandavideo für die Terror-Gruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ produziert zu haben.
Das Mobiltelefon war im Zuge der Ermittlungen durch das BKA der Bundespolizei zur Auswertung übergeben worden. Nachdem die entsprechenden Daten von der zuständigen Abteilung der Bundespolizei an das BKA übergeben wurden, forderte das Bundeskriminalamt den verantwortlichen Bundespolizisten dazu auf, die Daten von den Rechnern der Bundespolizei zu löschen. Wörtlich heißt es in der Mail einer BKA-Beamtin an die Bundespolizei vom 9. Dezember 2011:
„Ich habe die Daten auf unserer Seite gesichert du kannst die bitte löschen.“
Zwar verfügt das BKA über eine Kopie der Daten. Allerdings weicht die gewählte Vorgehensweise nach Informationen der „Bild“ offenbar von der gewöhnlichen Vorgehensweise und von der Dienstpflicht der Behörde ab. Demnach muss die Bundespolizei Ermittlungsergebnisse mindestens bis zum Abschluss des jeweiligen Gerichtsverfahrens aufbewahren, da Beamte unter Umständen vor Gericht aussagen müssen, auf welche Weise Daten gewonnen wurden.
Nach der Löschung bei der Bundespolizei hat nun das BKA alleine die Hoheit über die Auswertung der Daten. Die „Bild-Zeitung“ zitiert in diesem Zusammenhang einen nicht näher bezeichneten Sicherheitsexperten, der gesagt haben soll:
„Für die zielgerichtete Vernichtung von Beweismitteln durch eine Polizeibehörde in einem laufenden Ermittlungsverfahren, noch dazu auf Wunsch des BKA, kann es keine harmlose Erklärung geben“
In diesem Zusammenhang wurde auch berichtet, dass die betreffende Ermittlungsakte bisher keine Hinweise auf die Daten von dem Handy des André E. enthalte.
BKA bestätigt und dementiert
Das Bundeskriminalamt hat nach Informationen der „Süddeutschen Zeitung“ die Löschung der Daten mittlerweile bestätigt. Allerdings wies BKA-Chef Jörg Ziercke die Behauptung zurück, seine Behörde versuche der Justiz Daten vorzuenthalten und unterdrücke Beweise. Ziercke wörtlich:
„Das BKA schützt weder Neonazis noch Informanten aus der rechten Szene. Das BKA hat Beweismittel weder unterdrückt, noch manipuliert, noch vernichtet.“
Zur Begründung der ungewöhnlichen Vorgehensweise hieß es, man habe die Daten an einer Stelle sammeln wollen und deshalb die Bundespolizei zur Löschung aufgefordert. Ein Sprecher des BKA sagte hierzu:
„Um in diesem sensiblen Verfahren eine Dislozierung der vorhandenen Asservate in verschiedenen Behörden zu vermeiden, wurde seitens BKA die Bundespolizei gebeten, als Kopie vorhandene Handy-Daten zu vernichten.“
Auch das Fehlen der Daten in der betreffenden Ermittlungsakte wurde durch das BKA bestätigt. Weil der Datenbestand noch ausgewertet werde, liege bislang kein Bericht in der Akte.
Während das BKA sich darum bemüht, den Vorgang als normal und unverfänglich darzustellen, zeigt sich der Vorsitzende des Bundestagsinnenausschusses, Wolfgang Bosbach (CDU) besorgt und erklärte:
“Hier handelt es sich um einen gravierenden Vorgang, der unverzüglich aufgeklärt werden muss. Es darf nicht einmal der Verdacht entstehen, dass es etwas verheimlicht werden sollte.”
Auch das Bundesinnenministerium hat bereits auf den Vorfall reagiert. Nach Angaben eines Sprechers des Ministeriums wurde durch Staatssekretär Klaus-Dieter Fritsche bereits eine „umfassende Erklärung durch die Amtsleitung des BKA angefordert“.
Empörung bei der Linkspartei
Der Fraktionsvorsitzende der Linksfraktion im Thüringer Landtag, Bodo Ramelow, hat sich heute im Rahmen einer Pressemitteilung empört über den Vorfall geäußert und spricht im Zusammenhang mit der Löschung von Ermittlungsdaten von einem „unglaublichen Skandal“ und einer „tiefen Erschütterung in den Rechtsstaat“.
Ramelow betont die Verantwortung der Bundesregierung: Der Nazi-Terror habe seinen Ausgangspunkt nicht nur in Thüringen sondern werde durch fortwährende Verwicklungen und Verstrickungen von Bundesgeheimdiensten begleitet. Es stehe die ungeheuerliche Vermutung im Raum, dass „Kumpanei und Corpsgeist“ bis heute in den Sicherheitsbehörden herrschen würden.
Die alarmierte Reaktion des Bundesinnenministeriums betrachtet Ramelow als „hilflose Äußerungen“. Auch eine weitere neue Kommission werde wohl wenig Aufschluss bringen, „wenn nicht endlich Schluss gemacht wird mit dem V-Mann-Unwesen und der fortgesetzten Kumpanei mit Zuträgern des Naziterrors“, erklärt der LINKE Politiker und sagt an die Adresse der Verantwortlichen:
„Hier handelt es sich nicht um eine Grauzone, sondern um eine Braunzone!“
Die Tatsache, dass die Bundespolizei durch das BKA, entgegen von Gepflogenheiten und Dienstvorschriften, dazu aufgefordert wird, Daten aus dem laufenden Ermittlungsverfahren gegen die Zwickauer Terror-Zelle zu löschen, lässt sich nicht alleine mit der Beteuerung rechtfertigen, man habe Ermittlungsdaten zentral an einem Ort zusammenfassen wollen. Diese Zusammenfassung besteht ja ohne Zweifel bereits in dem Moment, in dem die Bundespolizei die betreffenden Daten an das BKA übermittelt und hat nichts mit der Anweisung zur Löschung zu tun.
Auch die fadenscheinige Begründung, man habe bei „diesem sensiblen Verfahren“ eine „Dislozierung“ (Ortsveränderung) der Asservate vermeiden wollen, wirkt konstruiert. Schließlich handelt es sich bei der Bundespolizei nicht um irgendeine Behörde, der man seitens des BKA nicht zutrauen würde, diskret und vertrauenswürdig mit Ermittlungsergebnissen umzugehen.
Besonders alarmierend ist die Tatsache, dass die Ergebnisse der Untersuchung des Handys bisher nicht in der betreffenden Ermittlungsakte festgehalten wurden. Die Begründung, dass bisher noch keine Auswertung der Daten erfolgt ist, erscheint unglaubwürdig. Schließlich hat die Bundespolizei die entsprechenden Informationen bereits Anfang Dezember 2011 an das BKA übermittelt.
Wenn es den verantwortlichen Beamten nicht gelingt, eine so wichtige Primärquelle innerhalb von zwei Monaten auszuwerten, dann kann es hierfür nur drei Ursachen geben. Entweder sie können nicht, oder sie wollen nicht oder sie sollen nicht auswerten und aufklären. Alle drei Möglichkeiten sind gleichermaßen skandalös und nicht hinnehmbar.