Es ist wie so oft im Leben: Wenn man an etwas nicht mehr glaubt, passiert es. Ich suchte einen leistungsfähigen Zweitbody und bekam “die Ziege” unter den Kameras und diese Ziege hört auf den Namen “Nikon D800“.
Ich weiss, offen gestanden nicht, was sich Nikon bei dieser Kamera gedacht hat. Da baut sich ein solches Unternehmen über Jahrzehnte das Image einer soliden Manufaktur auf, deren Qualität und Leistungsfähigkeit über allem Erhaben ist. Und dann wirft man die D800 auf den Markt. Hätte sich irgendein Dritthersteller ohne Erfahrung an diese Kamera gewagt und mir ein Montagsmodell für knapp 1.000€ verkauft, würde ich hier ein Loblied auf dieses Teil singen und sie nie wieder hergeben. Doch ich kaufte eine Nikon D800.
Beginnen wir mit der einfachsten Aufgabe, die eine Digitalkamera zu bewältigen hat: Dem Anzeigen eines geschossenen Fotos auf dem Display. Eine Aufgabe, die bereits hunderte Kameramodelle verschiedenster Hersteller ohne Furcht und Tadel meistern. Wozu ist sowas gut? Damit man das Bild bereits am Display beurteilen kann. Meine kleine Ziege, zeigt mir meine fotografischen Ergebnisse in den Farben einer 50€ Toys”R”us Kids-Cam an und macht mir eine anständige Beurteilung nicht möglich. Die Hauttöne sind so unterirdisch grünstichig, dass ich mich schäme und meinen Kunden einen Blick aufs Display verwehre. Ich bin dazu übergegangen, einfach in den monochrom-Modus zu gehen und die Bilder zunächst nur in s/w zu beurteilen. Am heimischen Monitor freilich stimmt der Weissabgleich, doch dass Nikon mich mit der Information ohrfeigt, die Farben am Display der D800 würden stimmen, hingegen hätten sich meine Augen nur an die die “Falschfarben” der D3s gewöhnt, macht mir Angst. Hab ich irgendwann die Übernahme von Nikon durch Sigma verpasst?
Aufgabe Nummer 2, die meine kleine Ziege zu bewältigen hat: Schiesse ein Foto mit einem der empfohlenen (sauteueren) Objektive aus dem Hause Nikon. Sagen wir mit meinem neuen Nikkor 35/1,4. Solch ein Objektiv bietet mir einen Blenden-Spielraum von 1,4 bis 16. Kann ich bei der D800 erwarten, dass ich diese, mir angebotenen Blenden nutzen kann? Nein! Ich kann mit der D800 erst ab Blende 1,8 ein halbwegs scharfes Bild zu erzeugen. Leider setzt bei dieser Kamera die Beugungsunschärfe bereits recht früh ein, so dass ich spätestens bei Blende 9 aufhören sollte, abzublenden. Na gut, ich hab noch nie wirklich kleiner als f9 fotografiert. Aber größer als f1,8 schon. Nun nicht mehr. Ist halt ne Diva.
Ich las, bei der Nikon D800 muss man die Verschlusszeit wesentlich verkürzen, um scharfe Bilder zu erzeugen oder besser noch, gleich ein Stativ benutzen. Stativ? Ich? Nicht wirklich oder? Sollte ich aber, wobei: Ich schaffte es gestern nicht, bei angehaltenem Atem und ruhiger Hand, ein sich drehendes Pärchen bei einer Verschlusszeit von 1/4000 scharf zu fotografieren (für die Schlaumeier unter Euch: die Schärfentiefe bei dieser Aufnahme liegt bei etwa 3metern) Einen Fokusfehler schliesse ich aus.
100% Crop
Und bevor hier gleich wieder geunkt wird. Ja, ich weiss dass ich die Kamera auf ISO800 gestellt habe und dadurch an Schärfe verliere… Doch die Kamera schafft es bei ISO 800 ein halbwegs scharfes Bild zu erzeugen, wie das Foto wenige Minuten vorher zeigt:
100% Crop
Mittlerweile hab ich mich davon verabschiedet, diese Kamera aus der (oder in die) Bewegung zu nutzen. Ist irgendwie “nicht ihr Ding”. Ruhige Motive meistert mein Zicklein hin und wieder ganz gut. Wobei sie am letzten Wochenende mein chilliges Paar (unter einem Baum sitzend), nicht ohne diesen, ihr ureigenen, matschigen Charme fotografieren wollte. Ja, irgendwie sieht es manchmal auch wieder gut aus… man muss es sich nur lang genug einreden… “Ja, das ist aber ein “charmantes” Bild!” Ich behelfe mir damit, das Bild auf 12 Megapixel zu verkleinern und nachzuschärfen. Dann ist zu den Ergebnissen meiner D3s, kaum noch ein Unterschied feststellbar. Doch hatte ich sie mir deshalb gekauft? Neihein!
Apropos Hochzeitspaar: Kennt Ihr das, wenn man mit seiner neusten 3.000€ Anschaffung vor dem Paar steht und der Apparat, stürzt während eines Shooting mehrfach ab – also “friert” ein… also so, dass man den Akku rausholen muss, damit sie wieder ihren Dienst tut? Ja? Ich sage Euch, auch für das Hochzeitspaar ist es ein mulmiges Gefühl, wenn die Kamera des Hochzeitsfotografen so etwas tut.
Meine Ziege macht mich jedoch auch glücklich. Die Farben, die Kontraste und der Dynamikumfang sind einfach der Hammer. Und die Zeichnung in den Schatten erst. Woohoo! Allerdings sprechen wir dabei über den Fall, dass ich es irgendwie mal geschafft habe, das Zicklein zu einem anständigen Foto zu verführen. Die matschigen Fotos dazwischen sind mit digital hinzugefügter Post-Pro-Körnung fast schon von analog anmutender Weichheit. Also irgendwie doch wieder “charmant” (ich kenne ja Fotografen, die haben ihre Nikon D200 nur behalten, weil das Digitalrauschen bei ISO800 supercool aussieht).
Fazit: Hast Du genug Knete, dir die Nikon D800 als Zweitbody für den “charmanten Look” zu kaufen und nimmst alle Unwägbarkeiten dieser Kamera hin, ist sie supertoll! Mit Stativ, ausreichend Kenntnis der Materie, Geduld und ein wenig Selbsthass wird sie dein Begleiter für besondere Ergebnisse. Sparst du auf ein leistungsfähiges Arbeitstier, welches universell einsetzbar ist, kauf Dir um Himmels Willen irgendwas anderes.
P.S. Diese Blogpost gibt die subjektiven Eindrücke eines D800 Besitzers wieder, der weder Ziegelsteinmauern noch Versuchsaufbauten mit Stativ fotografiert, sondern diese Kamera im normalen Hochzeitsfotografen-Alltag nutzt zu nutzen versucht. Möglicherweise ist meine Kamera auch defekt und alle anderen D800s sind total gut!
P.S. 2 Dieser Nikon D800/D4 issues Thread hier, listet Fehlverhalten der Cams auf: http://nikonrumors.com/forum/topic.php?id=5517