Die Süddeutsche Zeitung hatte kurz vor Ostern mit dem Abdruck eines als antisemitisch und hetzerisch kritisierten "Hassgesanges" des amtierenden Nobelpreisträgers eine Debatte über Grass´ Geisteszustand eröffnet. Von Israel war Grass wenige Stunden später zur "unerwünschten Person" erklärt worden, wegen der mit seiner Regierung nicht abgestimmten Meinungsäußerung verlangte Israels Innenminister die Aberkennung des Nobelpreises für den Deutschen. Der frühere Sänger Wolf Biermann nannte Grass´ "dumm", ein ruheständelnder Ästhetik-Professor namens Bazon Brock bescheinigte dem Ex-Dichter "in gravierender Weise Kontrollverlust erlitten“ zu haben.
Ein Regierungssprecher sagte den „News-Nachrichten“ derweil, Grass werde sein Amt weiter „zum Wohl unseres Landes“ ausfüllen. Die Bundesregierung habe volles Vertrauen in Grass und seine Amtsführung, es gebe keine Überlegungen zu einem Grass-Verbot. „Der Bundesdichter hat Transparenz geschaffen, er hat Fragen beantwortet und auch zu sehr privaten Überlegungen Auskunft gegeben. Diese Offenheit kann meines Erachtens Vertrauen zurückgewinnen helfen“, sagte der Sprecher. Unklarheiten habe er wie üblich in den Staatssender ARD und ZDF näher erläutert. Die Einschaltquoten seien gut gewesen.
Während der frühere Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki seine Gefühle über das "ekelhafte Gedicht" dennoch anklagend schilderte und dabei deutlich machte, dass es das angebliche "Tabu" deutscher Israelkritik gar nicht gibt, fragte die israelische Internetseite Ynetnews bass erstaunt: "Israel no longer taboo in Germany?"
Es wäre an Gauck, zu entscheiden, ein Machtwort zu sprechen und die peinliche Posse um die Ungereimtheiten in Grass´ Spätwerk zu beenden. Doch der neu gewählte Bundespräsident scheint zum ersten Mal überfordert. Kein wegweisendes Wort kommt aus dem Schloss Bellevue, keine Berliner Rede hilft den vielen irriterten und verwirrten Bürgern im Land, zum richtigen Umgang mit Grass zu finden. Dürfen Bücher wie "Die Blechtrommel" weiter zu Hause aufbewahrt werden? Oder muss "Der Butt" umgehend ins Altpapier? Wird es Sondersammelstellen geben? Welche Fristen gelten? Was ist mit Menschen, die jetzt erst neugierig auf die Werke des Mannes geworden sind, der über viele Jahre so viel verschwieg? Gilt ein Handelsverbot für Grass? Und wenn ja, ab wann?
Vieles ist noch unklar. Aus der schleswig-holsteinischen FDP hieß es, Grass müsse „entscheiden, wie lange er das sich selbst und seiner Familie noch antun“ wolle. Für den Dichter gelte zwar die Unschuldsvermutung genau so wie für jeden anderen Menschen. Aber die Vorstellung, dass Grass nicht vorher gewusst habe, was sein Gedicht auslösen werde, sei „lebensfremd“ und „extrem unwahrscheinlich“.
Kritik wird aber inzwischen auch in Richtung Süddeutscher Zeitung laut. Die Redaktion, hieß es in medienkritischen Blogs, hätte erkennen müssen, welch krude Thesen Grass vertrete. Staatspoltisch verantwortlich handelnd, hätten die Redaktion das "üble Pamphlet" sofort an die Staatsanwaltschaft weiterleiten müssen.
"Man muss nicht jeden Dreck, der vom Westen kommt, veröffentlichen", schrieb ein wütender Nutzer bei Twitter. Aktivisten bei Indymedia erwägen, eine Strafanzeige gegen die Redaktion zu stellen. Schließlich habe die die "antisemitische Hetze" aus Grass´ fast trockenem Füller verbreitet und damit den Tatbestand einer Volksverhetzung nach § 130 Absatz 1 des Strafgesetzbuchs erfüllt, in dem es heiße: "Wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, gegen eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe zum Hass aufstachelt, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft."
Unter dem Motto „GraSS vor die Kanone binden – Feuer frei, SS-Mann“ ist für kommenden Samstag eine Protestkundgebung vor Grass´ Wohnhaus in Behlendorf bei Lübeck geplant. Die Veranstalter erwarten etwa 500 Teilnehmer, teilte die Polizei mit. Die Demonstranten wollen in der Nähe des Hauses auch eine überdimensionale Atomrakete aufbauen. Dies soll als Aufforderung an Grass verstanden werden, zurückzutreten und nicht länger an Israels Selbstverteidigungsbemühungen herumzukritteln. Bereits am Osterwochenende hatten etwa 400 Demonstranten und rund 2200 Zeitungskommentatoren ihrer Empörung über den kaschubischen Hassprediger in einer virtuellen Demonstration Luft gemacht.