Ich habe diese Woche an der Universität Paderborn im Rahmen des Seminar „Popkulturelle Praktiken des Internets“ einen kleine Präsentation zu Hashtags gesprochen. Weil ich es im Vorfeld versprochen habe und ich sowieso finde, dass man viel mehr in dieses Internet schreiben sollte, hier die schriftliche Version davon. Und für alle Menschen, die nicht so gerne lesen sondern mir lieber zuhören und -sehen habe ich den Vortrag zuhause nachgestellt. Etwa dreißig Minuten. Redundanz yay.
Vortrag Hashtags: Einführung und Praktiken from Luca Hammer
Hashtags gibt es es Twitter, Facebook, Instagram und auf zahlreichen anderen Services. Tags als solche sind aber noch viel weiter verbreitet. Etwa bei Blogs als zusätzliche Einsortierung neben Kategorien, beim Bookmarking und auch bei ganz normalen Dokumenten. Unter Windows heißen sie etwa Markierungen, was auch schon etwas auf die Problematik des Wortes Tag hinweist, da es sowohl Schlagwort als auch Markierung bedeuten kann.
Ausarbeitung des Begriffes
Im Reader zum Seminar gab es zwei Texte (Müller-Prove, Matthias (2008): „Modell und Anwendungsperspektive des Social Tagging“. In: Birgit Gaiser/Thorsten HampeI/Stefanie Panke (Hg.), Good Tags – Bad Tags: Social Tagging in der Wissensorganisation. Münster et al.: Waxmann, S. 15-22.)
und (Panke, Stefanie/Gaiser, Birgit (2008): “ ‘With my head up in the clouds’ — Social Tagging aus Nutzersicht“. In: Birgit Gaiser/Thorsten HampeI/Stefanie Panke (Hg.), Good Tags – Bad Tags: Social Tagging in der Wissensorganisation Münster et al.: Waxmann, S. 23-35). Matthias Müller-Prove beschreibt „Tagging als elektronisches Äquivalent des Post-Its“. Das ist meiner Meinung nach zu kurz gegriffen, was auch damit zu tun hat, dass es nur ein Fragment des ganzen Textes ist. Mit einem vollkommen unzureichenden Blick auf Tagging in anderen Bereichen möchte ich versuchen die Bedeutung von Tags im Sinne von Hashtags besser herauszuarbeiten.
Price-Tags, also Preisschilder, kommen an Müller-Proves Beschreibung gut ran. Ein kleines Schild mit ein bisschen Zusatzinformation zum Ding, an dem es klebt. Ein Dog-Tag, wie man ihn aus dem Militär kennt, hat schon eine spezifischere Bedeutung. Es geht um die Identifizierung der Träger_in. Gleich wie bei den Dog-Tags, die Hunde tragen. Und dann gibt es noch HTML-Tags. Diese zeichnen einen Inhalt aus. Sie geben ihm eine andere Bedeutung, als wenn der Inhalt ohne dem Tag da wäre. Aus einem Wort kann so ein Titel werden. Oder es kann etwas besonders betont werden. Und so weiter.
Zetelkasten des Romanist Hans Robert Jauß. Mittelalterliche Tierdichtung
Foto: DLA Marbach
Tagging gibt es auch als Praxis des Wissensmanagements. Etwa beim Schreiben einer wissenschaftlichen Arbeit kann man einen Zettelkasten anlegen. Im Zettelkasten befinden sich Registerblätter mit den Schlagworten bzw. Tags und dann werden entsprechende Textstellen und/oder Fundstücke dort einsortiert. Jedoch nicht die Dinge selbst, sondern Verweise darauf. Ein Zettelkasten ist somit der Tag-Wolke eines Blogs sehr ähnlich. Man sieht sofort bei welchen Begriffen die meisten Verweise sind und kann über sie relativ einfach wieder zu den ursprünglichen Dingen kommen. Heute gibt es Zettelkästen digital und zahlreiche Tools, die ähnliche Funktionen aufweisen.
Auch Bibliotheken setzen auf Schlagwortkataloge. Ein Buch kann nur an einer Stelle im Regal stehen, aber ist wahrscheinlich in mehreren Bereichen relevant. Im Schlagwortkatalog kann es mehrmals auftauchen, weil es sich auch hier um Verweise handelt.
Zusammenfassend würde ich die Bedeutung des Tags bei Hashatsg mit Markierung, Identifizierung und Kategorisierung festlegen.
Die Raute
Die Erfindung von Hashtags wird Chris Messina zugeschrieben. Ein Tweet vom 23. August 2007 ist dabei das erste öffentliche Dokument dazu. Im weiteren Verlauf wurde die Nutzung auf Twitter und diversen Blogs ausverhandelt. Stowe Boyd und viele anderen waren beteiligt. Das ist eine nette Erfinder-Geschichte, aber wie wir wissen, passieren solche Dinge selten im leeren Raum. Vor allem wird es erst durch die breite Nutzung zur allgemeingültigen Praktik. Zwei Monate vor dem Tweet von Messina ist Pownce gestartet. Ebenfalls ein Mikrobloggingservice, gegründet von Kevin Rose, Leah Culver und Daniel Burka. Dort konnte man Nachrichten an bestimmte Gruppen posten. Jaiku, welches etwa ein Monat vor Twitter gegründet wurde, hat etwa zwei Monate vor dem Tweet ein Feature veröffentlicht: Channels. Man schreibt an den Beginn der Nachricht einen Begriff mit führendem # und die Nachricht wird automatisch im Channel #Begriff veröffentlicht. Dies könnten wiederum auf Channels bei IRC zurückgeführt werden, welche ebenfalls aus ‘#’ und dem Namen bestehen. Messina gibt Jaiku auch als Inspirationsquelle an und sein erster Vorschlag übernimmt die dortige Funktionsweise 1 zu 1: ‘#barcamp [msg]’.
how do you feel about using # (pound) for groups. As in #barcamp [msg]?
— ☞ Chris Messina ☜ (@chrismessina) August 23, 2007
Rein technisch hätte es keine Raute sein müssen. Jedes Sonderzeichen würde funktionieren, um Begriffe zu erweitern. Durch die Nutzung bekommen diese dann eine neue Bedeutung und man kann speziell nach ihnen Suchen. Würde eine Suche nach dem Begriff ‘lost’ zahlreiche Ergebnisse aus unterschiedlichsten Kontexten bringen, bekommt man aus der Kombination ‘#lost’ eine ganz andere Auswahl. Sucht man zum richtigen Zeitpunkt, dann sind das hauptsächlich Tweets zur Fernsehserien Lost. Früher™ nutzte man den Drittanbieter Summize zum Suchen. Weil dieser so großartig funktionierte, wurde er später von Twitter gekauft und in das Service integriert.
Erst seit 2009 verlinkt Twitter Hashtags in Tweet automatisch, sodass man nur darauf klicken muss, um weitere Tweets mit dem selben Hashtag zu finden. Drittanbieter haben solche Funktionen schon früher gehabt.
Hashtagpraxis
In der Vorbereitung zum Vortrag und diesen Artikel habe ich mich mit anderen Nutzer_innen ausgetauscht und Hashtags gesammelt, um den Versuch zu Starten, die Nutzung zu kategorisieren. Mit der Zeit haben sich zwei Möglichkeiten als nützlich herausgestellt. Einmal nach Zweck des Hashtags, also warum ein Hashtag in einem Tweet verwendet wird, und einmal nach Art des Hashtags, also wie er verwendet wird.
Zweck des Hashtags
Es ist unmöglich den Zweck eines Hashtags alleine aus dem Hashtag zu ziehen, man braucht die Tweets, in denen er verwendet wird dazu. Und selbst dann ist es nicht immer möglich auf die Motive der Autor_in zu schließen. Dennoch hilft es bei einer grundsätzlichen Einordnung.
Ich konnte drei grundsätzliche Zwecke feststellen. Diese überschneiden sich in fast allen Fällen und es kommt somit zu Aussagen, dass ein bestimmter Hashtag eher so oder eher so genutzt wird.
Hashtags werden genutzt, um ein bestimmtes Publikum zu erreichen. In vielen Fällen soll ein größeres Publikum erreicht werden, oft geht es aber auch darum ein sehr bestimmtes Publikum zu erreichen, etwa bei Hashtags von kleineren Personengruppen, die sich über den Hashtag miteinander vernetzen.
Über Hashtags wird der Inhalt der Nachricht durch die Autor_in eingeordnet. Etwa indem der Inhalt explizit beschrieben wird (häufig bei Instagram) oder er in eine bestimmte Kategorie eingeordnet wird.
Schließlich können Hashtags auch Kontext / Interpretationshilfe liefern, der den Leser_innen hilft den Inhalt zu interpretieren.
In der Präsentation habe ich folgende Hashtags genutzt, um das Einordnen vorzuführen: #tatort #rp15 #igersAustria #ff #informatikfilme #nicht #bchh #nonmention #fail #food #kuchen #ironie #inabudhabi #deinnrw „#betonung“ #foodporn #happy #backen #dataviz #unibrennt #nachspeise #wissenschaft #essen #text #video #merkel #mewi.
Jeder Hashtag kann je nach Tweet unterschiedlich zwischen den drei Bereichen verortet werden. In vielen Fällen gibt es aber eine Durchschnittsposition. Während #igersaustria, die Kurzform für Instagrammers Austria, in erster Linie genutzt wird, um ein bestimmtes Publikum zu erreichen, ist #happy eine Zusatzinformation, um einen Inhalt besser interpretieren zu können, man wird aber darüber nur selten mehr Menschen erreichen.
Art des Hashtags
Meine Liste an Arten ist lange nicht vollständig und auch nicht trennscharf. Auch die Größen und Positionen der Kreise sind eher beliebig. Falls ich Zeit finde, werde ich daran weiterarbeiten. Vielleicht können sie auch jemand anders als Grundlage dienen.
Veranstaltung / Ereignis
Der wahrscheinlich populärste Bereich. Vielleicht müsste man ihn weiter teilen. Es gibt physische Veranstaltungen wie #rp15 (Konferenz re:publica 2015), #bchh (Barcamp Hamburg) und andere, aber auch virtuelle Ereignisse wie #tatort (gemeinsames Tatort-Schauen und kommentieren). Medienereignisse haben auch oft Hashtags wie #NSAUA (NSA Untersuchungsausschuss).
Thema
Der vielleicht schwammigste Bereich. Auch #tatort ist ein Thema. Oder #nsaua. Ich meine damit vor allem generische Themen wie #food, #wissenschaft, #dataviz, #kuchen, #laufen. Hashtags, die lediglich als Kategorie agieren.
Ort
Ähnlich wie Thema, aber etwas spezifischer. #berlin, #wien, #paderborn.
Name
Ebenfalls ein Unterbereich von Thema. #merkel, #williams, #luca.
Gruppe
Die Vernetzung der Personen, die den Hashtag nutzen steht im Mittelpunkt. #igersAustria (Instagrammers Austria), #rp15at (Österreicher_innen auf der re:publica 2015).
Meme
Meme sind meist zeitlich beschränkt. Auf Twitter dauern sie selten länger als ein paar Tage. Hashtags wie #informatikfilme (Filmtitel werden so abgeändet, dass sie im Zusammenhang mit Informatik witzig sind). Meme können sich aber aus dem ursprünglichen Kontext lösen und dauerhafte Plätze bekommen. Etwa #ff (Follow Friday, am Freitag werden folgenswerte Accounts damit empfohlen) oder #foodporn (zur Beschreibung von „geilem“ Essen).
Emotion
Hashtags können auch genutzt werden, um eine Stimmung explizit zu machen. Manchmal weil sie aus dem Inhalt alleine nicht hervorgeht oder um sie noch zu verstärken. #happy, #sad, #funny, #feelingweird.
Marketing-Kampagne
Organisationen nutzen Hashtags gerne für Kampagnen. Für einfacheres Tracking und ein Gefühl von Viralität. Meist mit der Aufforderung an die Nutzer_innen bestimmte Inhalte damit zu taggen. #inabudhabi, #deinNRW.
Gesellschaftspolitische Kampagne
Hashtags werden natürlich auch für gesellschaftspolitische Kampagnen genutzt. #unibrennt (Universitätsbesettzung und Kampagne für bessere Bildung), #stuttgart21 (gegen das Banhofsprojekt) oder #notbuyingit (Aufmerksam machen auf Sexismus und Boykott).
Unterton / Kontext
Ein Bereich, den ich sehr spannend finde, der aber auch schwer greifbar ist. Hashtags, die dem Inhalt unter Umständen eine vollkommen andere Bedeutung geben oder etwas betonen oder eine Haltung offenlegen. #nicht und #ironie (explizit machen, dass es anders gemeint ist), #fail und #win (besonders schlecht oder besonders gut). Hier fällt auch das verhastaggen von einzelnen Worten in einer Nachricht hinein, was schwer ohne Beispiel beschreibbar ist. „Luca macht #alles falsch“. #nonmention (Der Tweet handelt von einer bestimmten Person, die aber extra nicht genannt wird. Der Hashtag macht das explizit.)
Technisch
Hiervon gibt es nur sehr wenige. Hashtags, die nur dazu genutzt werden, damit ein Inhalt automatisch weiterverarbeitet wird. #fb (eine App, etwa selective tweets, postet den Tweet automatisch auf Facebook), #dbl (Deutsche Bahn Locator. Das Service extrahiert aus Tweets mit dem Hashtag Zugnummern und benachrichtigt Personen, wenn sie im gleichen Zug sitzen.)