Hartz IV-Sanktionen verletzen die UN-Antifolterkonvention

Nicht nur diese, sondern auch das im Grundgesetz verankerte Folterverbot.
Auch Art. 5 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen besagt:
„Niemand darf der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden.“
Ähnlich Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention des Europarats:
Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.“
Artikel 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union lautet wortgleich:
„Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.“
Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen stellt kein unmittelbar anwendbares Recht dar. Dagegen kann die Europäische Menschenrechtskonvention von allen Bürgern aus den 47 Staaten des Europarats direkt beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingeklagt werden. Seit Ratifizierung des Vertrag von Lissabons haben – mit Ausnahme von Großbritannien und Polen – die Bürger der EU zusätzlich die Möglichkeit, die Charta der Grundrechte der Europäischen Union vor dem Europäischen Gerichtshof einzuklagen.
Für den hier dargestellten Fall ergibt sich aus Grundgesetz Artikel 1 „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ ein Folterverbot.
Was gilt als Folter?
Laut der UN-Antifolterkonvention ist jede Handlung als Folter zu werten, bei der Träger staatlicher Gewalt einer Person „vorsätzlich starke körperliche oder geistig-seelische Schmerzen oder Leiden“ zufügen, zufügen lassen oder dulden, um beispielsweise eine Aussage zu erpressen, um einzuschüchtern oder zu bestrafen".
Ist eine 100 % Sanktionen des ALGII (weder Regelsatz noch die Kosten der Unterkunft werden übernommen) eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung? Ohne Zweifel ja,
Kann eine solche Sanktion Existenzangst auslösen, also geistig-seelische Schmerzen verursachen? Ohne Zweifel ja.
Diese oder ähnliche Überlegungen hatte wohl auch das BVerfG bei seinem Urteil vom 09.02.2010, den in den Leitsätzen 1 und 2 führt es wie folgt aus:
1
Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG sichert jedem Hilfebedürftigen diejenigen materiellen Voraussetzungen zu, die für seine physische Existenz und für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich sind.
2
Dieses Grundrecht aus Art. 1 Abs. 1 GG hat als Gewährleistungsrecht in seiner Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG neben dem absolut wirkenden Anspruch aus Art. 1 Abs. 1 GG auf Achtung der Würde jedes Einzelnen eigenständige Bedeutung. Es ist dem Grunde nach unverfügbar und muss eingelöst werden, bedarf aber der Konkretisierung und stetigen Aktualisierung durch den Gesetzgeber, der die zu erbringenden Leistungen an dem jeweiligen Entwicklungsstand des Gemeinwesens und den bestehenden Lebensbedingungen auszurichten hat. Dabei steht ihm ein Gestaltungsspielraum zu.
BVerfG
Daraus ergibt sich zwar, das Sanktionen nach § 31 SGBII verfassungswidrig sind, doch das kümmert die Sozialgerichte nicht, da diese nicht über eine Verfassungswidrigkeit entscheiden können. Abhilfe kann hier nur eine Richtervorlage bringen.
In Randnummer 134 obigen Urteils führt das Gericht aus:
Art. 1 Abs. 1 GG erklärt die Würde des Menschen für unantastbar und verpflichtet alle staatliche Gewalt, sie zu achten und zu schützen (vgl. BVerfGE 1, 97 <104>; 115, 118 <152>). Als Grundrecht ist die Norm nicht nur Abwehrrecht gegen Eingriffe des Staates. Der Staat muss die Menschenwürde auch positiv schützen (vgl. BVerfGE 107, 275 <284>; 109, 279 <310>). Wenn einem Menschen die zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins notwendigen materiellen Mittel fehlen, weil er sie weder aus seiner Erwerbstätigkeit, noch aus eigenem Vermögen noch durch Zuwendungen Dritter erhalten kann, ist der Staat im Rahmen seines Auftrages zum Schutz der Menschenwürde und in Ausfüllung seines sozialstaatlichen Gestaltungsauftrages verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass die materiellen Voraussetzungen dafür dem Hilfebedürftigen zur Verfügung stehen. Dieser objektiven Verpflichtung aus Art. 1 Abs. 1 GG korrespondiert ein Leistungsanspruch des Grundrechtsträgers, da das Grundrecht die Würde jedes individuellen Menschen schützt (vgl. BVerfGE 87, 209 <228>) und sie in solchen Notlagen nur durch materielle Unterstützung gesichert werden kann.
Damit sind alle Zweifel bezüglich der Verfassungswidrigkeit von Sanktionen ausgeräumt.
Hier kommt nun das Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984 ins Spiel, die UN-Antifolterkonvention. In dieser heißt es in Artikel 1:
(1) Im Sinne dieses Übereinkommens bezeichnet der Ausdruck "Folter" jede Handlung, durch die einer Person vorsätzlich große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden, zum Beispiel um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erlangen, um sie für eine tatsächlich oder mutmaßlich von ihr oder einem Dritten begangene Tat zu bestrafen oder um sie oder einen Dritten einzuschüchtern oder zu nötigen, oder aus einem anderen, auf irgendeiner Art von Diskriminierung beruhenden Grund, wenn diese Schmerzen oder Leiden von einem Angehörigen des öffentlichen Dienstes oder einer anderen in amtlicher Eigenschaft handelnden Person, auf deren Veranlassung oder mit deren ausdrücklichem oder stillschweigendem Einverständnis verursacht werden. Der Ausdruck umfasst nicht Schmerzen oder Leiden, die sich lediglich aus gesetzlich zulässigen Sanktionen ergeben, dazu gehören oder damit verbunden sind.
UN-Antifolterkonvention Verkündet im BGBl. 1990 II S. 246
Knackpunkt ist der fett markierte Satz. Da die Sanktionen im SGBII in § 31 gesetzlich verankert sind, handelt es sich um „zulässige“ Folter.
Wie jedoch erwähnt, sind Sanktionen verfassungswidrig und damit ist auch § 31 gesetzlich unzulässig. Über die Verfassungswidrigkeit von Sanktionen kann nur das BVerfG urteilen. Ein solches Urteil ist zu erwarten, was zur Folge hätte, das alle ausgesprochenen Sanktionen als Folter zu werten wären.
Da es im StGB keinen eigenen Straftatbestand für Folter gibt, greift hier der Straftatbestand der Nötigung. Werden die hier getroffenen Überlegungen nach einer Feststellung der Verfassungswidrigkeit von Sanktionen von Betroffenen aufgenommen und zur Anzeige gebracht, haben nicht nur die Strafverfolgungsbehörden alle Hände voll zu tun, sondern es kämen auch noch in der Summe eine enorme Schmerzensgeldforderung auf die Ämter zu.
Da die UN-Antifolterkonvention ein völkerrechtliches Konstrukt ist, geht diese dem Bundesrecht vor.
Artikel 25 GG
Die allgemeinen Regeln des Völkerrechtes sind Bestandteil des Bundesrechtes. Sie gehen den Gesetzen vor und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebietes.
Da es noch eine Weile dauern kann, bis über die Verfassungswidrigkeit von Sanktionen entschieden wird, scheint der direkte Weg zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bzw. zum Europäischen Gerichtshof der Schnellere zu sein.
Das Landgericht Frankfurt verurteilte das Land Hessen zur Zahlung einer Geldentschädigung in Höhe von 3.000 Euro an Magnus Gäfgen wegen der Androhung von Folter (Nötigung, Aussageerpressung).
Wir werden darüber weiter berichten.
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