Mehriran.de - Sie gingen Hand in Hand und sangen Hymnen. Ihr Weg führte sie von der Burg hinunter auf eine Wiese, auf der säuberlich aufgeschichtet ein riesiger Scheiterhaufen auf sie wartete. Nach einer zehn-monatigen Belagerung durch 20.000 königlich-päpstliche Soldaten gingen 205 Männer und Frauen singend vom Montsegur ihrem Feuertod entgegen. Man schrieb den 16. März 1244 und ein trauriger Höhepunkt eines dunklen Kapitels europäischer Geschichte spielte sich am Fuß eines kegelförmigen Berges ab.
Die Rede ist von den Kreuzzügen gegen die Albingenser, die am Montsegur eine von vielen grausamen Attacken gegen ihre Überzeugungen und ihr Leben erfuhren. Die Albingenser, auch Katharer genannt, wollten sich nicht einem tyrannischen Diktat beugen. Dieses Diktat kam aus dem Vatikan und bezog sich auf die Frage der "reinen" christlichen Lehre. Der theologische Disput zwischen Albingenser und der offiziellen Kirche in Rom rankte sich vornehmlich um die Frage, ob Christus oder der Papst das Fundament der Kirche sei.
Die Gegend um Albi, Toulouse, Béziers, Carcassonne, Mirepoix, Foix, Tarascon bis in die spanischen Pyrenäen hinunter hieß Okzitanien, ein blühendes Land mit Nobelleuten und einfachen Menschen, die ihre eigenen Überzeugungen von einem christlichen Glauben lebten und dem Papst, seiner Inquisition und dem König von Frankreich lange Zeit widerstehen konnten. Die Katharer hatten viele Geheimnisse, die ihren Glauben anbelangten, aber auch eines, dass für die religiös-weltlichen Gegenmächte äußerst verlockend war: sie hatten Gold gefunden und setzten es für eine wirtschaftliche Prosperität der weitgehend unabhängigen Region Aquitanien ein. Insbesondere dominikanische Mönche taten sich in den Verfolgungen der Katharer hervor. Diese Mönche betrachteten sich und den Papst als Stellvertreter Gottes auf Erden und jeden, der ihrer Auslegung der christlichen Lehre widersprach als Häretiker. Häretiker ist jemand, der vom "reinen" Glauben abfällt.
Seit Augustin sich im 4. Jahrhundert von den Lehren des Erneuerers der Lehren Jesu Christi, Mani, abwandte, hetzte er gegen die manichäischen Christen und postulierte jeden zu verbrennen, der von der "reinen" Lehre abfällt. Dieses Postulat öffnete Tür und Tor für die Inquisition, die von Afrika bis Kleinasien Verbrennungen von sogenannten Häretikern zum Heil der Menschheit durchführen ließ. Die Theorie von der "reinen" Lehre behauptete, dass Menschen, die der offiziellen Version widersprachen ein Schandfleck auf Erden seien und die geistige Atmosphäre verschmutzten. Dies sei nur durch Verbrennung der Betreffenden wieder gut zu machen. So kam es, dass eifrige Zeitgenossen durch Denk- und Sprechverbote die geistige, menschliche und wirtschaftliche Entwicklung in Europa unter eine hässliche Haube religiös-faschistischer Machenschaften zwangen. Erst in der Zeit der Renaissance (15. Jahrhundert) begann der europäische Frühling. Wissenschaften, Kunst und Menschlichkeit breiteten sich aus.
Vor 800 Jahren brannten in Europa Katharer auf Grund der tyrannischen Herrschaft einer engstirnigen und machtbesessenen Elite, die eine Religion so weit pervertiert hatte, dass Morden und Töten, Foltern und Nötigen ihr Inhalt geworden war und eine auf Angst und Zwang gegründete Gesellschaft geschaffen hatte.
Vor 8 Jahren machte eine theokratische Diktatur im Nahen Osten auf sich aufmerksam, als sie Versammlungshäuser von Sufi-Derwischen in Brand setzte. Die Islamische Republik Iran war nach Jahren der Öffnung gegenüber dem Westen wieder fester in den Händen fundamentalistischer Brandstifter, die sich ihrer schwachen ideologischen Legitimierung bewusst waren und mögliche Gegner aus dem Weg räumen wollten.
In über 100 Hetzschriften legten sie dar, wer ihrer Meinung nach der Häresie beschuldigt werden konnte. Diese Schriften gifteten nicht nur gegen Baha'i und andere religiöse Minderheiten im Iran, sondern waren gegen Sufi-Derwische gerichtet, die sich selbst als Muslime betrachten. Die Autoren dieser Schriften stifteten paramilitärische Kräfte dazu an Versammlungshäuser der Derwische zu zerstören. 2006 begannen die Zerstörungen in der religiösen Stadt Qom, später in Boroujerd, Isfahan und anderen Städten Irans. Gebäude wurden mit Benzin übergossen und in Brand gesteckt. In Boroujerd sahen sich um die 800 Derwische gefangen in einem Feuermeer, aus dem sich viele nur mit Brandverletzungen und Rauchvergiftungen retten konnten. In der Provinzstadt Kavar wurde ein Derwisch erschossen, mehrere wurden schwer verletzt. Das um seinen Ruf besorgte Regime um Ali Khamenei und seine Prätorianer schäumte, als diese Vorgänge im Westen bekannt wurden und setzte Derwische fest, die es gewagt hatten über die Ereignisse in Kavar zu berichten. Zuletzt machten zwei inhaftierte Derwische international von sich reden, die sich über 90 Tage im Hungerstreik befunden haben, um für ihre Derwisch Brüder bessere Haftbedingungen zu erreichen. Nachdem Markus Löning, Beauftragter der Bundesregierung für Menschenrechte, in einer Presseerklärung seiner Sorge um die Verfolgungen religiöser Minderheiten im Iran und der Situation der inhaftierten Derwische Ausdruck verlieh, die portugiesische Europaparlamentarierin Ana Gomes einen Protestbrief geschrieben hatte und auch Amnesty International eine Urgent Action für die beiden Hungerstreikenden initiiert hatte, erfüllten die Behörden die Forderungen der Hungerstreikenden. Konzertierter internationaler Druck auf das Regime im Iran gekoppelt mit ernsthaften Protesten aufrechter Menschen im Iran scheint ein wirkungsvolles Mittel zu sein, um die Tyrannei radikaler Kräfte im Iran einzudämmen.
Vor 800 Jahren gab es noch kein ausgefeiltes internationales Informationssystem und auch keinen internationalen Konsens über die Bedeutung von Menschenrechten. Vieles ist diesbezüglich auch heute noch im Argen. Gerade deshalb ist es wichtig, dass die Weltgemeinschaft sehr genau hinschaut, was sich im Iran zusammenbraut, bevor die Säuberungen im Iran Dimensionen annehmen, die ein neues Kapitel der Dunkelheit über die Menschheit im Namen Gottes hereinbrechen lässt.
Marie Vollehr
Source: http://www.mehriran.de/artikel/datum///haeresie-und-tyrannei-aquitanien-und-iran/