Hänsel und Gretel wohnen im Park

Von European-Cultural-News

Das Künstlerkollektiv „OPER rund um“ ist in dieser Saison mit zwei Produktionen beim Festival „Wir sind Wien“ vertreten. Mit der Pop-up-Oper „La Bohème“ und mit Engelbert Humperdincks „Hänsel und Gretel“. Der Untertitel „Kinder-Opern-Wanderung“ macht deutlich, dass die freie Natur eine große Rolle spielt.


Der Schwarzenbergpark in Neuwaldegg, der Lainzer Tiergarten, der Park Am Steinhof, Am Cobenzl und am Mühlgrundweg – in all diesen grünen Wiener Oasen treibt die Hexe ihr Unwesen. Nein, es handelt sich nicht um eine esoterische Wahrnehmung, sondern um eine Inszenierung des Künstlerkollektivs „OPER rund um“. Das hat sich zur Aufgabe gesetzt, Opernproduktionen an ungewöhnlichen Orten aufzuführen.

Anlässlich des Festivals „Wir sind Wien“ wurde die Truppe eingeladen, den allerjüngsten Opernfreaks „Hänsel und Gretel“ von Engelbert Humperdinck zu zeigen. Nicht auf einer Bühne, wie dies seit dem 19. Jahrhundert im deutschsprachigen Raum geschieht, nein, dort, wo Hänsel und Gretel ihre Abenteuer tatsächlich erleben: Mitten im Wald.

Bevor es aber losgeht, bekommt noch jedes Kind eine Talismannkette umgehängt. Als Abwehrzauber gegen die böse Hexe. Man weiß ja schließlich nie. Gleich bei der ersten Station spielt das „Orchester“ die Ouvertüre in einer Besetzung mit Violine (Leo Furda), Klarinette (Stephanie Zlabinger), Akkordeon (Djordje Davidovic) und Kontrabass (Kristóf Szimán). Daniel Muck leitet das Quartett und ist auch für das Arrangement zuständig. Um das Ensemble schlank zu halten, wurde die Rolle des Vaters gestrichen, das Sand- und das Taumännchen in eine Figur vereinigt und der Kinderchor weggelassen. Aber das tut weder der Musik noch dem Geschehen einen Abbruch.

Gretel (Ewelina Jurga), unglaublich einfühlsam in ihrer Spielweise und mit einem wunderbar klaren und doch kräftigen Sopran ausgestattet, erlebt mit ihrem Bruder all das, was Humperdincks Schwester, Adelheid Wette, ins Textbuch schrieb. Sie zankt sich mit ihm zu Hause, fürchtet sich im Wald fast zu Tode und rettet ihn durch List vor dem Backofen. Hänsel, dargestellt von Generose Sehr, ist in der Inszenierung von Anna Katharina Bernreitner ein aufmüpfiger Junge, der mit seiner knallroten Mütze den Kindern Mut macht. Auch wenn er lange gefesselt vor dem großen gedeckten Tisch der Hexe ausharren muss, bis er von seiner Schwester endlich befreit wird. Sehr schaffte auch noch das Bravourstück, zwischen den 10 angesetzten Aufführungen ihr Abschlussdiplom an der Universität für Musik und Darstellende Kunst in Wien zu absolvieren. Anna-Sophie Kostal besetzt nicht nur die Mutter, sondern auch den Sandmann und den Taumann. Ihr Ausharren als Sandmännchen am derzeit sehr kalten Waldboden, bis Hänsel und Gretel und die Kinderschar endlich auftauchen, kann schon als heroisch bezeichnet werden. Ihr mütterlicher Wutausbruch aber auch ihre sichtbare Erlösung von der Sorge, ihre Kinder im Wald verloren zu haben, werden so dargestellt, dass sich das junge Publikum damit gut identifizieren kann. Barbara Pichlbauer brilliert als hinterlistige Hexe. Nicht mit einem Buckel ausstaffiert, sondern in bodenlangem, beigen Abendkleid und einer Toupier-Frisur rückt sie manches Mal bedrohlich nah an die Zusehenden heran. Toll, vielleicht nur für die Erwachsenen, dass man ihr ausdrucksstarkes Mienenspiel so nah betrachten kann. Auch sie agiert unter extremen Bedingungen, vor allem, wenn sie im beißenden Rauch des Backofens singt, als gäbe es keinerlei Beeinträchtigung.

Christian Andre Tabakoff, für die Ausstattung verantwortlich, baute kein herkömmliches Knusperhäuschen. Die Leckereien der Hexe werden an einer langen, weiß gedeckten Tafel präsentiert und die Kinder bekommen sogar während der Aufführung kleine Kostproben davon. Das Orchester logiert an jedem der unterschiedlichen Plätze unter weißen Zelten. Darunter sind, wenn es regnet, wie dies bei einer Aufführung tatsächlich stattfand, nicht nur die Musizierenden, sondern auch ihre Instrumente vor dem Nass geschützt. Die Kinder müssen dann unter Regenpellerinen, was aber mehr ein Gaudium denn eine Störung darstellt. Ob bei 35 Grad Hitze, oder wie jetzt gerade bei sehr kühlen Temperaturen im Wald – das Ensemble hat besondere Herausforderungen zu meistern. Jede Spielstätte hat ihre anderen Tücken und ob nur 10 Kinder oder 100 anwesend sind, macht auch einen großen Unterschied aus. Alle, die hier mitmachen, haben bewiesen, dass improvisieren zu ihren Stärken gehört.

Bei künftigen Parkbesuchen werden die Kinder den einen oder anderen Platz sicher mit anderen Augen betrachten und nachschauen, ob sich nicht irgendwo ein Sandmännlein oder gar eine Hexe versteckt hat.

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