25.2.2012 – Die Verantwortung für braune Ideologien und rechtsextremes Gedankengut schiebt man in Deutschland traditionell gerne möglichst weit von sich. Seit der Wiedervereinigung haben vor allem westdeutsche Politiker gerne das Bild vom anfälligen Osten gepflegt, auf dessen postdiktatorischem Boden rechtsradikale Strukturen besonders gut gedeihen.
In einem Interview mit dem Magazin „Focus“ hat Bundesinnenminister Friedrich heute erneut seine Auffassung bekräftigt, wonach die SED eine Mitschuld am Rechtsextremismus in den neuen Bundesländern trägt.
Intoleranz gegenüber allem, was anders ist
Im „Focus-Gespräch“ sagte Friedrich unter anderem, dass es Rechtsextremismus zwar in ganz Deutschland gebe, in den neuen Bundesländern aber hinzu komme, „dass die Intoleranz der SED-Ideologie und Propaganda ihre Spuren hinterlassen hat“.
Er spricht in diesem Zusammenhang von einer „Intoleranz gegenüber allem, was anders ist“, die Fremdenfeindlichkeit begünstigt habe: „An den Folgen leiden wir bis heute“.
Mit seinen Äußerungen schließt sich der Innenminister den Auffassungen der Autorin und DDR-Bürgerrechtlerin Freya Klier an. Klier hatte im November 2011 in einem Artikel für die „WELT“ die Linkspartei für den deutschen Rechtsextremismus mitverantwortlich gemacht:
„Diese Partei sollte endlich aufhören, zu heucheln, sondern sich dazu bekennen, dass sie den Boden für den Rechtsradikalismus im Osten stark mitbereitet hat. Ihren Mitgliedern sind Menschenleben nur dann wichtig, wenn sie sich politisch instrumentalisieren lassen.“
Freya Klier begründet ihren Standpunkt unter anderem damit, dass die rechtsextremen Republikaner bei den Landtagswahlen zwischen 1992 und 1995 in Sachen-Anhalt 1,4 %, in Thüringen und Sachsen je 1,3 %, in Brandenburg 1,1 % und in Mecklenburg Vorpommern 1,0 % der Wählerstimmen erreichen konnten. Dass die Republikaner es im gleichen Zeitraum in Baden-Württemberg auf 10,9 %, in Hamburg auf 4,8 % und in Bayern auf 3,9 % brachten, bleibt innerhalb ihrer Argumentation unberücksichtigt.
Der westdeutsche Rechtsextremismus
In einem Punkt mag man Hans-Peter Friedrich nicht widersprechen: In der Tat bereiten Rassismus und Fremdenfeindlichkeit dem Rechtsextremismus den Boden. Wer jedoch die Ursachen für Intoleranz und Ablehnung gegenüber Andersartigem einer anderen Gesellschaft zuordnet, der macht es sich zu einfach und läuft Gefahr, entsprechende Tendenzen in der eigenen Gesellschaft zu übersehen.
Wer in den Jahren und Jahrzenten vor der Wiedervereinigung in Westdeutschland gelebt und sich gegen Nazis eingesetzt hat, der wird sich nur schwer zu dem Standpunkt durchringen können, es handle sich bei Rassismus und Rechtsextremismus vorrangig um ein ostdeutsches Problem.
Es mag durchaus sein, dass sich bestimmte Bestandteile der SED-Ideologie förderlich auf Ressentiments gegen Andersartigkeit ausgewirkt haben. Hierauf immer wieder zu verweisen impliziert allerdings auch, vergleichbare Strukturen und Effekte für Westdeutschland zu relativieren und bringt uns im Kampf gegen Rassismus und Rechtsextremismus nicht weiter.
Die personelle Kontinuität zwischen dem NS-Regime und der jungen Bundesrepublik ist hinreichend dokumentiert und belegt. Bis heute leugnen Ermittler und Politiker einen Großteil rechtextrem motivierter Gewalttaten in den letzten 20 Jahren und es sind die Behörden und Geheimdienste westdeutscher Herkunft, die die Gefahren des Rechtsterrorismus über Jahre und Jahrzehnte nicht erkennen konnten oder wollten.
Die verantwortlichen Ministerien von Hans-Peter Friedrich oder Kristina Schröder stehen in westlicher Tradition und noch heute gelingt es vor allem CSU-Politikern, ihre Anhänger mit fremdenfeindlichen und ausgrenzenden Parolen zu begeistern. Das Buch von Thilo Sarrazin ist ein westdeutsches Erzeugnis und der deutsche Rassismus ist, zumindest in seiner „augenzwinkernden Variante“ in weiten Teilen der Gesellschaft akzeptiert und sogar anerkannt.
Anstatt sich an ideologisch geprägten Schuldzuweisungen zu beteiligen, sollte Hans-Peter Friedrich endlich damit beginnen, der Realität des gesamtdeutschen Rechtsextremismus ins Auge zu blicken und seiner Verantwortung als Innenminister gerecht zu werden. Es ist nicht überzeugend, den Opfern des NSU und ihren Angehörigem im Rahmen einer Gedenkveranstaltung auf der einen Seite zu versprechen, dass sich Vergleichbares in Deutschland nicht wiederholen wird, wenn die tatsächlichen Ursachen des rechten Terrors auf der anderen Seite bis heute nicht erkannt und nicht konsequent bekämpft werden.