12.3.2012 – Als Innenminister ist Hans-Peter Friedrich unter anderem für „Angelegenheiten betreffend Zuwanderung, Integration und nationaler Minderheiten“ zuständig. Um falsche Vorstellungen über seine Haltung in Sachen Integration von Beginn an zu vermeiden, wählte der frühere CSU-Landesgruppenchef am Tag seiner Amtseinführung im März 2011 deutliche Worte: „Dass aber der Islam zu Deutschland gehört, ist eine Tatsache, die sich auch aus der Historie nirgends belegen lässt“.
Nach nur einem Jahr im Amt und nach zahlreichen Angriffen und Aktionen gegen die in Deutschland lebenden Muslime erhält der Minister jetzt die Quittung für seine Integrationsverweigerung: Die Konferenz Islamischer Landesverbände (KILV) hält Hans-Peter Friedrich als Innenminister für eine Fehlbesetzung und begründet ihren Standpunkt nachvollziehbar.
Gemeinsame Erklärung der KILV
Am vergangenen Samstag (10. März 2012) hat die Konferenz Islamischer Landesverbände (KILV), als Reaktion auf den Umgang des Innenministers mit der Studie „Lebenswelten junger Muslime in Deutschland“, in Offenbach eine gemeinsame Erklärung veröffentlicht.
In der KILV sind insgesamt neun islamische Landesverbände (Islamische Glaubensgemeinschaft Baden-Württemberg, Schura Niedersachsen, Islamische Föderation Berlin, Schura Bremen, Schura Hamburg, Schura Schleswig-Holstein, Bund der Muslime Thüringen, Islamische Religionsgemeinschaft Hessen/IRH, Koordinierungsrat Mecklenburg-Vorpommern) organisiert.
In der Erklärung heißt es unter anderem, dass es schade um die Mühe der Autoren und die investierten Steuergelder sei, wenn Friedrich „aus einer derart umfangreichen Studie solch eine undifferenzierte und plumpe Schlussfolgerung in einer drohenden Weise zieht“. Der Innenminister hatte den Abschlussbericht der Studie, die noch von seinem Amtsvorgänger Thomas de Maizière in Auftrag gegeben worden war, gegenüber der „BILD-Zeitung“ kommentiert, noch bevor sein Ministerium die Arbeit der Wissenschaftler selber veröffentlichte.
Die „BILD-Zeitung“ hatte den Abschlussbericht aus noch ungeklärten Quellen vorab erhalten, die Untersuchung als „Schock-Studie“ kolportiert, einzelne Erkenntnisse der nicht repräsentativen Erhebung willkürlich aus dem inhaltlichen Zusammenhang gerissen und behauptet, dass gut 20 Prozent aller Muslime in Deutschland eine Integration ablehnen und dass jeder vierte in Deutschland lebende Muslim ohne deutschen Pass tendenziell gewaltbereit sei und westliche Werte in Frage stelle.
Anstatt dieser populistischen Missdeutung entschieden entgegenzutreten, hatte Hans-Peter Friedrich gegenüber dem Blatt kommentiert, dass Deutschland die Herkunft und Identität seiner Zuwanderer zwar achte, den „Import autoritärer, antidemokratischer und religiös-fanatischer Ansichten“ aber nicht akzeptiere. So verstärkte der Minister in der Öffentlichkeit den Eindruck, man habe es bei einem beachtlichen Teil der rund vier Millionen in Deutschland lebenden Muslime mit einer ernsthaften Bedrohung für Freiheit, Sicherheit und Demokratie zu tun.
Dr. Naika Foroutan, Leiterin der Forschungsgruppe HEYMAT an der Humboldt Universität Berlin, hatte dagegen auf den teilweise suggestiven Fragestil innerhalb der Studie hingewiesen. So erhielten die Teilnehmer zum Beispiel einen „Minuspunkt“ in Sachen „Ablehnung westlicher Werte“, wenn sie der Aussage „Solange die westliche Welt andere Völker ausbeutet oder unterdrückt, wird es keinen Frieden auf der Welt geben“ zustimmten.
In der gemeinsamen Erklärung vom Wochenende äußern die Teilnehmer der KILV Enttäuschung und Fassungslosigkeit angesichts des Vorgehens von Innenminister Friedrich. Hier heißt es unter anderem:
„Wäre es ihm um den Dialog, die Integration und die Partizipation gegangen, hätte er die Studie zum Beispiel bei der Islamkonferenz gemeinsam mit den Wissenschaftlern und den islamischen Verbänden bewerten und Schlussfolgerungen ziehen können. Nach unserer Überzeugung ist ein solcher Minister, für den Integration nur eine medienwirksame Worthülse ist, der Vorurteile und Ängste schürt und die Gesellschaft spaltet, in einer verantwortungsvollen Position gänzlich ungeeignet.“
Reduzierung auf Sicherheitsaspekte
Ein weiterer Kritikpunkt gegenüber Hans-Peter Friedrich bezieht sich darauf, dass der Minister Muslime unter Generalverdacht stellt und den Islam auf Sicherheitsaspekte reduziert. Im Juni 2011 hatte Friedrich unter dem Stichwort „Gemeinsam gegen Extremismus – Gemeinsam für Sicherheit“ zum ersten Präventionsgipfel geladen.
Beteiligt waren an der Veranstaltung unter anderem die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e.V. (DITIB), der Verband der islamischen Kulturzentren (VIKZ), die Islamische Gemeinschaft der Bosniaken in Deutschland (IGBD) oder der Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD), vertreten durch seinen Vorsitzenden Aiman Mazyek.
Anstatt, wie angekündigt, einen „Dialog auf Augenhöhe“ einzuleiten, legte Friedrich die Themen für den Präventionsgipfel alleine fest. So ging es in der Veranstaltung hauptsächlich um Präventionsarbeit in den Moscheegemeinden, islamistischen Extremismus, häusliche Gewalt, Geschlechtergerechtigkeit oder Antisemitismus.
Friedrich war für seine einseitige Auslegung von „Integration“ scharf kritisiert worden. Der innenpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion sprach von „Sippenhaft“ und warf dem Minister vor, er suggeriere, „dass in jeder Moschee potenziell Radikale angeworben werden“. Der innenpolitische Sprecher der SPD, Dieter Wiefelspütz, bezeichnete die Veranstaltung als „Schlag ins Gesicht von Millionen Muslimen“ und machte darauf aufmerksam, dass es auch kriminelle Christen gäbe, niemand angesichts dessen aber auf den Gedanken käme, eine Sicherheitspartnerschaft mit den Kirchen ins Leben zu rufen.
Die innenpolitische Sprecherin der Linkspartei, Ulla Jelpke, kritisierte:
„Das Verhältnis der Bundesrepublik zum Islam und seinen Strömungen wird weiter auf Sicherheitsaspekte reduziert. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich bleibt mit diesem Gipfel bei seiner Linie, den Islam und seine theologischen Strömungen als sicherheitspolitisches Problem anzusehen. Die Wahrnehmung, als Moslem in Deutschland unerwünscht zu sein, begünstigt Strömungen, die den Islam besonders orthodox auslegen.“
Auch die aktuelle Erklärung der KILV vom vergangenen Samstag bekundet Unmut an der durch den Minister praktizierten Reduzierung des Islam auf Sicherheitsaspekte. Die Landesverbände lehnen es strikt ab, „dass der Islam und die Muslime vom Bund und den Ländern ständig im Rahmen der Sicherheitspolitik und wir als islamische Verbände nur als Sicherheitspartner behandelt werden“.
Der Vorsitzende des Landesintegrationsrates Nordrhein-Westfalen, Tayfun Keltek, stellt in diesem Zusammenhang in Frage, ob es überhaupt noch Sinn macht, dass islamische Organisationen am Islamgipfel des Innenministers teilnehmen.
Zerschlagenes Porzellan
Es gehört zu den Aufgaben von Innenminister Hans-Peter Friedrich, die Integration in Deutschland zu fördern. Er ist von Amts wegen für die Angelegenheiten betreffend Zuwanderung, Integration und nationaler Minderheiten zuständig und hat sich für die gegenseitige Annäherung und Auseinandersetzung, für die Kommunikation, für das Finden von Gemeinsamkeiten, das Feststellen von Unterschieden und die Übernahme von gemeinschaftlicher Verantwortung zwischen Menschen mit sogenanntem Migrationshintergrund und den Angehörigen der Mehrheitsgesellschaft einzusetzen.
Stattdessen hat er sein Amt von Beginn an genutzt, um die muslimischen Verbände auf Landes- und Bundesebene gegen sich aufzubringen und ihnen die Teilnahme an staatlichen Programmen und Gipfeln zu erschweren oder sogar unmöglich zu machen. Friedrich setzt sich nicht für Integration ein sondern macht stattdessen von jeder Gelegenheit Gebrauch, um Muslime auszugrenzen, zu beleidigen und in Verbindung mit Kriminalität, Extremismus und angeblicher Demokratiefeindlichkeit zu bringen.
Im besten Fall könnte man dem Minister bescheinigen, dass er im Umgang mit den beteiligten Personen, Gruppen und Verbänden äußerst ungeschickt vorgeht und völlig überfordert ist, den Dialog zwischen unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen in Deutschland angemessen zu moderieren.
Im schlechteren und leider wahrscheinlicheren Fall muss man Friedrich jedoch unterstellen, dass er sich auch als Bundesminister nicht von den fremdenfeindlichen und integrationsskeptischen Positionen seiner Hauspartei lösen will, sich als Stichwortgeber für rechtspopulistische Kreise der Gesellschaft zur Verfügung stellt und als erster Integrationsverweigerer im Staat die Voraussetzungen für gegenseitige Verständigung systematisch zerstört, statt sie zu fördern.