Überraschende Momente haben die KünstlerInnen um Dagmar Brand auch in diesem Jahr geschaffen - in der Parkanlage des Rittergutes Edelhof in Ricklingen, einem Stadtteil von Hannover. "Kunst-Beete: Zwischen Heilkraut und Wildkraut" lautet 2014 die zusammenfassende Überschrift, unter der sich acht KünstlerInnen mit neun Objekten präsentieren. Überraschende Momente für das Auge und einmal auch für das Ohr - es lohnt, einen Spaziergang in dem schönen Park zu machen, der sonst nicht öffentlich zugänglich ist.
Auf verschiedenste Weise bringen die KünstlerInnen ihre Begegnung mit der (gestalteten) Natur zum Ausdruck - zwischen der künstlichen Nachgestaltung, über die Sammlung natürlicher Besonderheiten und Kuriositäten bis hin zum Einfügen in die Wildnis spannt sich der Bogen.
Edin Bajric hat sich mit dem Löwenzahn beschäftigt (der wegen seiner harntreibenden Wirkung auch "Pissnelke" oder "Bettpisser" genannt wurde) - aber statt welchen auszusäen oder anzupflanzen hat sie Teile der Wiese in der Form der Pflanze abgedeckt, sodass die Sonne das Bild einbrennen wird.
Der Blick auf die Installation des Bildhauers Rolf Sextro mit aufgehängten "Trophäen" (?) und Sammelsurium unter einem Zeltdach ruft Fragezeichen hervor. "Scharlatanerie-Waren" nennt er die Arbeit; Flaschen, Pflanzen, Reagenzgläser und Tinkturen aller Art erwecken den Eindruck eines Heilkräuter-Basars. Trotz aller Ironisierungen und Brechungen ist wohl kaum anzunehmen, dass der Künstler die gesamte Naturheilkunde für Scharlatanerie hält - auch das teils eine Ironisierung? Da mich dieses Werk wegen seiner kaum auslotbaren Vielschichtigkeit besonders fasziniert hat, zeige ich noch zwei weitere Anblicke.
Kann Kunst im Sinne von Künstlichkeit zur Rettung der Natur beitragen? Michaela Hanemann macht den Versuch, sie hat die Wiese mit 50 Plastiktannen "aufgeforstet" - die zugleich Duftbäume sind, sie strömen künstliche Düfte aus, die womöglich manche Menschen den natürlichen vorziehen.
Mit ihrer Arbeit "burn baby burn" schafft es Antonia Jacobsen auf großartige Weise, die verschiedensten Blickwinkel im Verhältnis Mensch und Natur miteinander zu verbinden. Ihr Thema ist die Brennnessel, mit ihrer unangenehmen Brennwirkung einerseits, der umfassenden Heilwirkung andererseits. Eine Schneise durch die Pflanzenwildnis mit Brennnessel und Mädesüß - wer hindurchgeht, hat tatsächlich aufzupassen, die Haut nicht mit den Brennhaaren in Berührung zu bringen - führt auf eine Lichtung, auf der sie oder er Ruhe finden kann.
Fast scheint es, dass die Natur auf dieses Kunstwerk antwortet - an dem Tag, als ich es besichtigt habe, warf die Sonne Brennessel-Schatten auf die Liege. Übrigens: wenn Sie Glück haben als Besucherin, als Besucher (noch etwas übrig ist), bietet Ihnen Antonia Jacobsen einen Becher Brennessel-Tee an; so spricht dieses "Gesamtkunstwerk" neben Sehsinn, Tast- und Geruchssinn auch noch den Geschmackssinn an.
Den Hörsinn spricht Natalie Deseke mit ihrer Installation "Dionysos und Ariadne" an: Aus der Tonne ertönt, von einem Bewegungsmelder ausgelöst, ein klärendes Streitgespräch zwischen den beiden Ehepartnern aus der antiken Mythologie, heiter bis sinnlich - übrigens mit Lokalbezug, z.B. kommen die beliebten Ricklinger Badeteiche vor.
Außer den erwähnten KünstlerInnen sind noch Elena Glazunova, Pablo Hirndorf und Marion Gülzow beteiligt. Kuratiert hat die Ausstellung Dagmar Brand.
Die Ausstellung dauert nur noch bis zum 1. August - und kann nur donnerstags bis samstags von 15.30 Uhr bis 18.30 und sonntags von 12 bis 17 Uhr besichtigt werden. An den Sonntagen wird um 12 Uhr eine Führung angeboten.
Die Ausstellung entstand in Zusammenarbeit mit der Gartenregion Hannover und der Stiftung Edelhof Ricklingen.
Text und Fotos: Dr. Helge Mücke, Hannover