Hannover, Leibniz Universität, Konferenz zu Iran

06.04.2011Konferenzen Hintergrund erstellt von Susanne Treude, mehriran.de

Ankündigung: Diskussion und Austausch über das Wesen des Regimes und der Ideologie im Iran und deren Konsequenzen für die Bevölkerung im Iran und in der restlichen Welt.

Hannover, Leibniz Universität, Konferenz zu Iran

Prof. Ingolf Ahlers, Prof. Dawud Gholamasad, Dr. Azmayesh, H.N. Gabel, Moderation

Hörbeitrag von Radio Flora, Hannover

Referenten:
Professor Dawud Gholamasad, Soziologe; Hannover (Irans neuer Umbruch)
Dr. Mostafa Azmayesh, Islamwissenschaftler; Paris (Das Wesen des aktuellen Regimes im Iran)
Moderation: Helmut N. Gabel, mehriran.de
Am 1. April 2011, ab 18:00-21:00 Uhr
Leibniz Universität Hannover, Am Welfengarten (Hauptgebäude) Gebäude 1101, Hörsaal F 107
Veranstaltet durch Professor D. Gholamasad, mehriran.de, IOPHRI
Das Regime im Iran unterdrückt den Freiheitsdrang seiner überwiegend jungen Bevölkerung mit brutalen Mitteln. Davon sind wir im Westen Zeugen geworden. Bekannt ist auch, dass der Bevölkerung im Iran vor gut 32 Jahren die Revolution durch fanatische Kräfte gestohlen wurde, die sich im Hintergrund mehr und mehr an die Macht geschlichen haben. Diese Kräfte halten jetzt an der Macht fest. Die Konferenz zielt darauf, das Wesen der aktuell herrschenden Ideologie im Iran ins Bild der Öffentlichkeit zu rücken und die Konsequenzen dieser Machtausübung auf Iran, den nahen Osten und die gesamte Welt auszusprechen. Gemeinsam mit den Teilnehmern der Konferenz werden Ideen entwickelt, wie die westliche Zivilgesellschaft über die Agenda der Ideologen im Iran aufgeklärt werden kann.
Eingeladen sind Journalisten, Politiker, Studenten und Professoren und alle Iran-Interessierten. Ergebnisse der Konferenz werden auch im Iran zu sehen sein. Die Bevölkerung im Iran bekommt Signale der Solidarität, trotz Atomunglück in Japan, trotz Kämpfen in Libyen, Protesten in vielen arabischen Ländern. Englisch, Persisch und Deutsch sind die Konferenzsprachen.

Bericht:
Zu Beginn der Veranstaltung stellte Prof. Ingolf Ahlers das Buch "Irans neuer Umbruch" von Prof. Dawud Gholamasad vor. Klar wurde, dass das Buch einen Gegensatz aufzeigt zwischen der nekrophilen Ideologie des Regimes und des lebensbejahenden Zugangs eines überwiegenden Teils der Bevölkerung, die sich von dem Regime zusehends drangsaliert und zu Gehorsam gezwungen sieht. Prof. Ahlers zeigte, wie sich die Schrift von D. Gholamasad in das Herz zweier widerstreitenden Lebensrealitäten im Iran vortastet: die psychologische Realität unreifer Persönlichkeiten, die sich in nekrophile Phantasien hineinsteigern und als rasender Mob alles um sich Zerstören, was nicht ihrem Gesellschaftsideal entspricht und der verzweifelten Sehnsucht einer betrogenen Gesellschaft nach Freiheit und Selbstverantwortung, die eine starke Liebe zum Leben ausdrückt.

Impulsvortrag Prof. Gholamasad über diesen Link erreichbar. Wir wiederholen hier nur nochmals den letzten Abschnitt: "Deswegen ist auch die mehr oder weniger potentielle Fähigkeit der zunehmend größeren Zahl der Menschen zur Freiheit im doppelten Sinne eine der zentralen Gründe für die sukzessive Abwendung früherer Khomeinisten bzw. deren reformistischen Fraktionen von dem sich zunehmend als despotisch erweisenden „velajat-e Faghih“, der „Schriftgelehrten Herrschaft“ und der unreformierbaren „Islamischen Republik“ und ihre Betonung der republikanischen Dimensionen der Verfassung, deren Belebung sie in der „grünen Bewegung“ nun fordern.
Dementsprechend ist auch die zunehmende Skrupellosigkeit und Brutalität der immer kleiner werdenden Kerngruppen der Macht Ausdruck ihrer zunehmend eingeschränkten Entscheidung- und Handlungsspielräume, die sich  durch ihre zunehmende Gefühlsstarre reproduzieren, wie sie sich in ihrer zunehmenden nekrophilen Destruktivität manifestieren. Für sie hat die Aufrechterhaltung ihrer Herrschaft und die damit einhergehende Sicherung ihrer monopolisierten Macht- und Statusquellen absolute Priorität in dem, was sie als ihr Leben definieren."

Vortrag Dr. Mostafa Azmayesh über die ideologische und soziale Seite im Iran und die Hintergründe des Regimes.

Ich freue mich sehr, heute hier sein zu dürfen und dass Sie sich für dieses Thema interessieren. Ich möchte gar keine lange Rede halten, sondern lieber auf Ihre Fragen antworten und über den Iran und Islam mit Ihnen in eine Diskussion treten.
Nach 32 Jahren islamischer Revolution im Iran spricht jeder über Islam. Aber wissen wir denn, was mit Islam gemeint ist?
Es gibt ungefähr 1,5 Milliarden Muslime auf der Welt. Wenn wir diese fragen würden “Was ist Islam?“, werden sie sicherlich zur Antwort geben, dass Islam eine Religion ist. Auch alle anderen, die keine Muslime sind, würden dieselbe Antwort geben: „Islam ist eine Religion.“
Doch als Ayatollah Khomeini vor 32 Jahren die Macht vom Schah übernahm, sprach er diesen Satz: „Niemand weiß was Islam ist.“ Er hat also zum ersten Mal die Frage „Was ist Islam?“ in Zweifel gezogen. Seine Rede, in der er diese Frage zu Islam stellt, kann man heutzutage auf YouTube sehen. Ich zitiere daraus: „Niemand weiß was Islam ist und kein Islamwissenschaftler auf dieser Welt hat eine Ahnung davon.“
Das ist also eine entscheidende Frage, denn es geht darum, eine politische Ideologie oder Theorie zu kennen, die ein Land regiert. Das heißt also, als Khomeini gesagt hat, dass keiner weiß - noch nicht einmal die Islamwissenschaftler es wissen-, was Islam bedeutet, hat er selbst eine politische Theorie entwickelt, die er Islam genannt hat.
Diese Theorie war bis dahin nicht bekannt. Es war die Theorie oder Ideologie der Herrschaft des Rechtsgelehrten (Velayat-e Faqih).
Gemäß Velayat-e Faqih ist Islam keine Religion. Ein Faqih ist jemand, der im islamischen Recht eine Art Doktortitel hat und damit eine hohe religiöse Autorität darstellt. Das heißt, es geht um Velayat, das ist die Autorität, die sozusagen das letzte Wort hat was Rechtsfragen anbelangt, und um die Dominanz dieser Autorität, die Herrschaft des Schriftgelehrten.
Wir haben also den Gegensatz zwischen Velayat, eine Vereinigung von Herrschaft in einer Person, welche die oberste Autorität in allen Fragen hat und allen anderen, den so genannten Safis, den Dummen und Unmündigen.
Wir haben also den Gegensatz zwischen dem Einen, der sich in Kontakt zu einer höheren Macht (zu Gott) stehen sieht und daher wisse, was zu tun ist, und wir haben das Volk, das einzig und allein gehorsam sein muss. Das sei die einzige Aufgabe des Volkes und wer den Anweisungen des Faqih, des obersten Rechtsgelehrten, nicht folgt, wird verhaftet, gefoltert und unterliegt der Todesstrafe.
Ich möchte hierzu kurz ein Beispiel geben: Wenn der Faqih, der oberste Rechtsgelehrte, einen Präsidenten ernennen möchte, den das Volk aber nicht mag und nicht will und sich gegen die Ernennung des Präsidenten wehrt, dann ist das Volk nicht nur dem Faqih gegenüber ungehorsam, sondern auch gegenüber Gott.
Wir können uns also fragen, was für einen Sinn dieses System macht oder welchem Zweck es dient. Im besten Fall hat ein Regierungssystem den Zweck, eine Gesellschaft in fruchtbarster Weise zu organisieren.
Warum hat Khomeini dieses Velayat-e Faqih System geschaffen? Laut Khomeini war der einzige Zweck, dieses System zu schaffen von Anfang an die gesamte Welt aus der Hand des Satans zu reißen. Und wer ist Satan? Die westliche Welt. Und der große Satan ist die USA.
Man kann diesen Zweck von der ersten Stunde an als Kriegserklärung betrachten. Dieses System ist also ein despotisches System, ähnlich der Kalifate der Omajaden und Abbasiden und verschiedene andere Systeme.
Wie finden wir einen Keim von demokratischen Impulsen in solch einem System? Ein demokratisches System basiert auf sozialen Kontrakten, auf Freiwilligkeit, auf dem freien Willen des individuellen Menschen.
In diesem despotischen System muss jeder ausschließlich gehorsam sein. Um eine Gesellschaft zu regieren, ist es sehr wichtig, einen Plan und eine Vorstellung davon zu haben, wie man eine Gesellschaft wirtschaftlich organisiert.
Vielleicht erinnern Sie sich daran, dass einige Leute aus dem  Umfeld von Khomeini ihn fragten, wie es mit der Wirtschaft aussehe, was sie dafür tun müssten und seiner Meinung nach machen sollten. Darauf hat Khomeini geantwortet: „Die Wirtschaft ist Sache der Esel.“ Es hört sich an wie ein Scherz, aber es ist leider bittere Realität.
Dieses System nährt also den Willen der Menschen sich selbst zu opfern und ihr Leben hinzugeben, um den Westen bzw. den Teufel (Satan) zu bekämpfen. Sie erinnern sich sicher an die Schilderungen aus dem Iran/Irak Krieg über die irakischen Minenfelder und die iranischen Märtyrer. Vor allem Kinder und Jugendliche wurden dafür gewonnen, über die Minenfelder zu gehen und ihr Leben zu opfern.
Sollte jemand diesen Aufruf und diese vom System auferlegte Verpflichtung nicht akzeptieren, so wird er verhaftet, gefoltert und letztendlich gehängt. Und nicht nur das: dieses System basiert auf dem Export von Krisen in die gesamte Welt.
Wir haben zunächst über die Basis dieses Systems gesprochen und nun ist vor ca.6 Jahren eine Erweiterung dieser Ideologie dazu gekommen. Diese Erweiterung führt zu einer messianischen Theorie, einer armageddonistischen Theorie. Es ist die Idee, dass das Regime alles dafür tun muss, damit der versprochene Messias (Heilbringer) zurückkehrt und die Welt dann in einer apokalyptischen Periode lebt.
Das ist die Armageddon Theorie, die das Regime im Iran zu nähren versucht. Laut dieser Armageddon Theorie ist es die westliche Welt oder der Satan selbst, der alles dafür tut, damit der erwartete Messias nicht zurückkehrt. Die Invasion der Amerikaner im Irak sollte nicht nur die Erdölquellen sichern, sondern die Ankunft des Messias verhindern. Diese Behauptung von Ahmadinedschad geht soweit, dass die Amerikaner in den Irak einmarschiert sind, damit sie den Mahdi (Messias) finden, ihn verhaften und ihn aus dem Weg räumen. Die ganze Zeit ist die Rede von einer westlichen Verschwörung.
Im Monat Mehr (23. September – 22. Oktober) hat das Ministerium für islamische Führung und Kultur in Teheran eine Ausstellung organisiert, die sich dem Thema „Das Böse in der Welt“ gewidmet hat. Dort war ein Ausstellungsraum dem Satanismus gewidmet, dessen Anhänger und Wirken auf verschiedene Weise dargestellt wurde. Eines der Poster stellte den Satan mit einem großen Umhang dar.
Satan öffnet auf diesem Poster seinen Umhang und es sieht so aus, als ob verschiedene seiner Schüler dort herauskommen würden. Darunter waren Moussavi, Karoubi, verschiedene religiöse Minderheiten wie Sufi-Derwische, Bahais, Christen, Juden etc. Diese Menschen werden quasi als Verschwörer gegen das Regime im Iran dargestellt, die verhindern wollen, dass der Mahdi (Messias) erscheint.
Wenn also jemand im Iran über Freiheit spricht, ist es sofort klar, dass er zur Verschwörung dazugehört, also ein Gegner des Regimes ist.
Was die Menschen innerhalb des Regimes beschäftigt, sind nicht die sozialen Entwicklungen, sondern ihre Sinne sind einzig und allein auf die physische Wiederkehr des Mahdi (Messias) ausgerichtet.
In einem System, wie wir es skizziert haben, kann man keine Freiheit erwarten und schon gar nicht über Freiheit sprechen.

Zusammenfassung der anschließenden Diskussionspunkte, die von beiden Referenten getragen wurden:

Man kann in einer politischen Auseinandersetzung nur erfolgreich sein, wenn man den Gegner kennt. Wir haben hier versucht, die Persönlichkeitsstruktur und die soziale und ideologische Orientierung des Gegners soweit zu durchleuchten, damit ie Welt weiß, mit wem sie es zu tun hat.

Solange sich die Opposition nicht diese Mühe macht, führt sie einen so genannten Schattenkrieg. Wenn die Struktur und die Zusammenhänge der Herrschaft begriffen werden, kann eine realistische Umorientierung stattfinden.

Frage des Moderators: Wer hat das Potential und durch wen kann das Regime von innen gestürzt werden?

  • durch soziale Bewegungen, die aus gut ausgebildeten Jugendlichen bestehen, die keine Lebensperspektive innerhalb dieses Regime im eigenen Land haben
  • durch ökonomische Veränderungen, denn durch die Abschaffung der Subventionen werden ökonomische Nachteile verursacht
  • durch die Frauen, die in ihrem Land diskriminiert werden
  • durch die Gewerkschaften
  • durch politische und nationale Minderheiten, die politisch unterdrückt werden

Die Solidarität dieser Gruppen ist sehr gefährlich für das System, denn sie können sich im so genannten Cyberspace austauschen, Termine für Demonstrationen vereinbaren etc. Das System gibt eine Menge Geld aus, um eine Cyber Armee aufzustellen und kauft vom Westen die Technologie für den Cyber Krieg. So liegt es am Westen zu verhindern, dass das Regime an diese Technologie herankommt. Denn hier geht es letztlich auch um die Freiheit der Menschen im Westen.
Es ist wichtig, die Menschenrechte, und nicht immer nur die Atomproblematik in die Verhandlungen mit dem Regime zur Sprache zu bringen. Zum Beispiel indem die Parteien und Gruppierungen unterstützt werden, welche die Menschenrechte als Rahmenbedingung der Politik begreifen.
Die Verankerung der Menschenrechte muss die Vorraussetzung einer gemeinsamen politischen Orientierung hin zur Demokratie sein.
Die Menschen hier im Westen müssen auch über ihre eigene Freiheit nachdenken. Denn die Herrschaft des Velayat-e-faghi Systems ist ein Problem für die ganze Welt, nicht nur für die iranische Bevölkerung. Wenn die Menschen im Westen etwas gegen das Regime im Iran tun, hilft es nicht nur der Bevölkerung im Iran, sondern auch ihnen selbst.
Das Wesen des deutschen Faschismus wurde lange nicht wirklich erkannt. Wir befinden uns in Bezug auf den Iran in der exakt gleichen Lage, wir im Westen verkennen dieses Regime!
Von den Zuhörern kam der Hinweis, dass auch das Regime der Nationalsozialisten in den 30er Jahren von der Welt verkannt, ja hofiert wurde. (Beispiel olympische Spiele 1936 in Berlin).

Der Iran kreiert immer neue Krisen und wird immer gefährlicher für die gesamte Welt. Die Menschen im Westen sind sich der Gefahr nicht bewusst, die von dem Regime ausgeht. Die messianischen Ideologen werden die Nuklearwaffen gegen ihr eigenes Volk und gegen das westliche Volk richten, wenn der Westen nicht endlich und ernsthaft beginnt die Bevölkerung im Iran in ihrem Kampf gegen das Regime zu unterstützen. Dann wird auch die Atomproblematik gelöst sein.

Susanne Treude für mehriran.de

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