Hannover 96: Von Würstel-Uli und schlechten Sportsleuten

Hannover 96: Von Würstel-Uli und schlechten Sportsleuten

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Nun ist es ja schon die zweite Niederlage, die der FC Bayern auf dem heiligen Rasen des ehrwürdigen Niedersachsen-Stadions (erwähnte ich schon, dass es sich dabei natürlich um das schönste Stadion der Welt handelt?) gegen Hannover 96 in diesem Jahr 2011 erleiden musste. Und da kann man sich durchaus vorstellen, dass das 2:1 am letzten Sonntag besonders bitter schmeckt – man will doch nicht zum Lieblingsgegner der bisher eher als lästiges Beiwerk der Liga tolerierten Roten Riesen aus der niedersächsischen Landeshauptstadt werden, oder?

Doch eigentlich hätten sich die Bayern damit trösten können, dass sie Teilnehmer am „besten Spiel der diesjährigen Bundesliga-Saison“ (so Kommentator Marcel Reif in „Sky“) waren und gegen einen würdigen Gegner den Kürzeren gezogen haben. Faire Sportsleute hätten das getan.

Doch so nicht die Bayern, wobei es einige Spieler schon während des Matches mit der Fairness nicht so überaus genau nahmen. Die Offiziellen aus der „Mir-san-mir“-Fraktion allerdings liessen erst nach der Niederlage so richtig „die Sau raus“.

Würstel-Uli machte den Anfang und ging gegen den hannoverschen Spieler Sergio Pinto in die Vollen:

„Pinto ist eine Schande, er hat das ganze Spiel mit seiner Schauspielerei durcheinander gebracht“, schimpfte Hoeneß. Einmal in Fahrt legte Hoeneß gleich nach: „Tut so, als ob er schwer verletzt ist, und dann rennt er wieder wie ein Wiesel. Das ist ein Schauspieler, der gehört nach Los Angeles zur Oscar-Verleihung. Das macht der schon seit Jahren, ich möchte wissen, wie der heute Nacht noch schlafen kann.“  (Nach dem Platzverweis für Boateng: Uli Hoeneß stocksauer auf Sergio Pinto – ran.de).

Und sein Kollege Karl-Heinz Rummenigge, in jungen Jahren zärtlich „Rotbäckchen“ gerufen, musste den Steilpass aufnehmen und sich auch noch profilieren:

„Rummenigge ergänzte nicht minder erregt: „Ich würde an Pintos Stelle in die Kirche zur Beichte gehen.“ (FC Bayern – Hollywood oder Kirche – Hoeneß und Rummenigge sauer auf Pinto – Sport – Hamburger Abendblatt)

Aber damit nicht genug: höchst offiziell trat dann auch noch der Verein auf seiner Homepage nach, nachdem man die völlig berechtigte Sperre von 2 Spielen gegen den eigenen Spieler Jerome Boateng akzeptieren musste; dort stand schwarz auf weiss:

„…Wir weisen aber ausdrücklich darauf hin, dass der gesamte Vorfall erst durch das völlig übertriebene und theatralische Verhalten des Hannoveraner Spielers Sergio Pinto ausgelöst wurde. Zudem sind wir der Meinung, dass mit zweierlei Maß gemessen wurde. Zunächst hat der Hannoveraner Spieler Christian Schulz geschubst, danach – und erst als Reaktion – schubste auch unser Spieler Boateng. Schulz bekam die gelbe Karte, Boateng Rot. Warum bei ein und demselben Vergehen also mit zweierlei Maß gemessen wurde, ist für uns nicht nachvollziehbar.“ (Klick)

Jaja, so sehen Verlierer aus, und zwar ganz schlechte – würde es jetzt aus jeder Fankurve der Liga hallen.

Was war eigentlich geschehen:

Fangen wir mal mit dem Bayern an, der bei mir in jeder Abstimmung um den unsympathischsten Spieler der Bundesliga einen Platz auf dem Treppchen erreichen würde: Marcio Rafael Ferreira de Souza, genannt Rafinha. Der war nämlich der Auslöser des ganzen Theaters, als er – wie eigentlich in jedem Spiel, bei dem er leider auf den Platz darf -, Sergio Pinto an der Aussenlinie foulte – und zwar so, das man es im ersten Moment vielleicht sogar als Schwalbe von Pinto auslegen konnte. Aber allein der schnelle Abgang Rafinhas, der für die Nickeligkeit an der Mittellinie hätte Gelb sehen müssen, wäre eigentlich als Warnzeichen für seine Mitspieler geeignet gewesen. Und jede Zeitlupe bestätigte die Berechtigung des Freistosspfiffs: Rafinha trifft Pinto, und zwar erkennbar ziemlich schmerzhaft.

Doch nun kam die eigentlich schäbige Szene: Sergio Pinto liegt ausserhalb – ich betone höchst vorsorglich: ausserhalb(!) – des Spielfeld und will behandelt werden. Er stört den Spielverlauf nicht, das Match hätten mit dem gepfiffenen Freistoss für Hannover 96 fortgesetzt werden können, und die Bayern hätten sogar für eine Zeit den Vorteil der Überzahl gehabt.

Aber Nein, die Herren Nationalspieler Toni Kross und Jerome Boateng hatten nun noch dringenden Gesprächsbedarf – oder sollte ich lieber sagen, sie hatten ein bei Fussballspielern während der Spielzeit durchaus nicht selten auftretendes zeitweiliges Tourette-Syndrom nicht unter Kontrolle?

Sie sahen sich jedenfalls bemüssigt, den am Boden ausserhalb des Spielfeldes liegenden Gegenspieler Sergio Pinto (ob verletzt oder nicht ist dabei völlig unerheblich), zu beschimpfen. Und als sich ein Betreuer der wirklichen Roten näherte, musste „Alpen-Toni“ diesen auch noch über den am Boden Liegenden schubsen, bis dieser sich auf dem Hosenboden wieder fand – also der Betreuer, nicht der „Alpen-Toni“, der sich weiterhin in Beschimpfungen Pintos erging.

Mit Verlaub, dies ist die eigentlich Szene, über die sich die Rotgesichtigen aus dem Bayern-Lager den Blutdruck in die Höhe schiessen lassen sollten – vielleicht zusammen mit dem Trainer ihrer Lausbuben (ebenfalls ja mit einem passenden Spitznamen bedacht, aber lassen wird das), auf dass er ein ernstes Wörtchen mit seinen Nachwuchsstars spreche. Lieber Kross, lieber Boateng: man beschimpft keine am Boden liegenden Spieler, dass ist unfair, unsportlich, eigentlich ziemlich schäbig – und verlangt dringend nach fremdschämen, lieber Herr Hoeness und lieber Herr Rummenigge.

Denn was geht es denn diese beiden Herzchen an, was ausserhalb des Spielfeldes geschieht? Was haben sie Pinto zu beschimpfen und Betreuer zu schubsen? Keiner weiss es…

Der Mannschaftsarzt von Hannover 96 bekam übrigens auch noch seinen Stoss ab, denn irgendwie waren die beiden düsteren Helden aus dem Bayernland immer noch nicht zu beruhigen. Zu tief sass anscheinend der Rückstand auf ihrem übersteigerten Selbstbewusstsein, hatten sie doch vorher von „grauen Mäuse“ aus dem provinziellen Norden den ersten Treffer bekommen.

Erst jetzt kam Kollege Christian Schulz seinem Mitspieler Pinto, dem Betreuer und dem Mannschaftsarzt zu Hilfe – und schubste Toni Kross: eine sportwidrige Handlung, die mit Gelb zu ahnden war und geahndet worden ist. Spätestens jetzt hätte Boateng wach werden und sich heimlich, still und leise verdrücken können. Aber so doch nicht der „Weltklasse“-Verteidiger mit den Kreisklasse-Nerven: er musste unbedingt noch neben seinen verbalen Entgleisungen gegen Sergio Pinto einen massgerechten Stoss gegen Christian Schulz loswerden – der dann folgerichtig als Tätlichkeit geahndet wurde. Typischer Fall von „Wenn“-“Dann“: wenn Du einen anderen Spieler zurückschobst, dann fliegst Du vom Platz – kann mein sechsjähriger Sohn schon deuten…

Ja, Jerome, so ist nicht nur „Läbbe“, so ist eben auch Fussball!

Filmreif dann sein späterer Auftritt vor der Sky-Kamera als der Xavier Naidoo des Fussballplatzes: mit dem Outfit und dem Tremolo in der entrüsteten Unschuldsstimme wäre er viel eher für Hollywood geeignet als der nun höchst offiziell zum „Schauspieler“ avancierten Sergio Pinto.

Nun, trotz der vehementen Forderung des Karl-Heinz R. aus B., seinen armen schubsenden (aber leider nicht schuldbewussten) Sünder aller Verfehlungen zum Trotz frei zu sprechen (vielleicht war Boateng ja genau so wenig der Forderung seines Chefs zur Beichte gefolgt wie Sergio „Hollywood“ Pinto): die Sperre des DfB folgte prompt und nachvollziehbar (wenn man die Regeln lesen kann) – und sie berücksichtigte ausdrücklich die vorhergehende „sportwidrige Handlung“ des Spielers Schulz:

„Jerome Boateng vom Bundesligisten Bayern München wurde am 24. Oktober vom Sportgericht des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) im Einzelrichter-Verfahren nach Anklageerhebung durch den DFB-Kontrollausschuss wegen einer Tätlichkeit gegen den Gegner in einem leichteren Fall nach einer zuvor an ihm begangenen sportwidrigen Handlung mit einer Sperre von zwei Meisterschaftsspielen der Lizenzligen belegt. Darüber hinaus ist Boateng bis zum Ablauf der Sperre für alle anderen Meisterschaftsspiele seines Vereins gesperrt.

Boateng war im Meisterschaftsspiel der Bundesliga zwischen Hannover 96 und Bayern München am 23. Oktober 2011 in Hannover in der 27. Spielminute von Schiedsrichter Manuel Gräfe (Berlin) des Feldes verwiesen worden.

Der Spieler beziehungsweise der Verein haben dem Urteil zugestimmt, das Urteil ist damit rechtskräftig.“ (DFB – Deutscher Fußball-Bund e.V. –  Newsmeldung).

Und nun ein guter Tipp an die Bayern: regt Euch wieder ab und „spielt’s Fussball“, wie Euer Kaiser zu sagen pflegt. Oder geratet wenigstens ausser Fassung über wirklich falsche Schiedsrichterentscheidungen: Christian Schulz hätte nämlich tatsächlich kurz vor der Pause mit einer gelb-roten Karte vom Feld gehört, als er am Trikot zog, als würde er für den Belastungstest vom Hersteller des Hemdchens bezahlt. Aber da war bei den Herren Rummenigge und Hoeness der Adrenalinspiegel wahrscheinlich noch so hoch, da konnten sie diesen Fehler des Schiedsrichters wohl noch nicht wieder klar sehen…

In Hannover und dem Rest Deutschlands herrscht jedenfalls grosse Freude über den Sieg – bleibt so doch die Bundesliga spannend – und wenigstens das muss doch auch den Bossen der Millionarios aus München gefallen, macht es doch die „Ware Fussball“ erst so richtig attraktiv… in diesem Sinne ist „Schauspieler“ ja vielleicht sogar ein Kompliment, wer weiss?


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