"Hannibal Rising - Wie alles begann" / "Hannibal Rising" [GB, CZ, F, I 2007]


Was immer man unter dem schwammigen Begriff der "Kunst" zu verstehen gedenkt, ist es dann nicht auch Kunst, wenn mir ein Regisseur in Kaugummi gedehnten 126 Minuten Vorgeschichte einer geschätzten Filmreihe exakt nichts Neues erzählt, was mir die geschätzte Filmreihe als solches bereits Jahre vorher unter die Nase gerieben hat? Bravo. Ich weiß jetzt über den sympathischsten Kannibalen ohne Vergangenheitstrauma genauso viel wie über den sympathischsten Kannibalen mit Vergangenheitstrauma. Nochmal: Dem gebührt Respekt. Das wären dann also die zweieinhalb Respektpunkte. Oder so.
Thomas Harris, der seinen abschließenden (?) Roman zum Filmdrehbuch parallel schrieb, und Peter Webber betreiben hinterhältigste Legendenselbstzerstörung, in dem sie die seinerzeit von Jonathan Demme subtil eingebetteten Kopfkinoschocks aus dem "Schweigen der Lämmer" dem Schrein der Sensationsgier opfern, was dem Film nicht gut tut, überhaupt nicht. Dem nicht abnehmenden Verlangen nach Splatter wird aller Voraussicht nach den Gorebauern stimulieren, aber für jene Reihe, die es sich zumindest teilweise zur Aufgabe gemacht hat, nicht immer das zu zeigen, was gesagt wird, ist es tödlich. Lecters Verbrechen verkommen zur müden Gedärmschau, der es alsbald die Kraft raubt, der Übersättigung explizitem Kameravoyeurismus' Einhalt zu gebieten.
Lecter ist ohnehin nicht mehr Lecter, anders: Hannibal Lecter hat nichts mit dem späteren Hannibal Lecter gemein. Schwer zu glauben ist das jedenfalls. Weder seine Kultiviertheit, sein ausgeprägter Kunstgeschmack noch sein Appetit auf Menschenfleisch buchstabiert Webber aus, es bleibt lediglich bei einzelnen Lauten, die ziellos im Schlachthof flattern und nur bei blühender Fantasie Zusammenhänge erahnen lassen. In Sekundenschnelle ist Lecter eloquent, dann wieder zeichenbegabt, in der übernächsten Szene schnurstracks ausgebildeter Samurai, ohne dass jemals ein geschmeidiger Übergang existiert. Selbst unter der fairen Entkopplung von "Hannibal Rising" mit den vorherigen Teilen – mit denen er aufgrund der fehlenden Zwischentöne und des erotischen Understatements sowieso nichts teilt – fällt seltsamerweise auf, dass sich der Film selbst dann in Peinlichkeit ergeht.
Nach dem allzu gern verwendeten Rezept, dass plumpe Figuren plumpe Dinge in plumpen Handlungssträngen sagen müssen (Knaller: Gong Li), fehlt es sowohl Webber als auch Harris sichtlich schwer, das Knäuel aus zig Genrerichtungen und historischen Wechselwirkungen zu entfilzen, um ihm eine klare Linie einzuverleiben. Demgegenüber steht ein blasser Hauptdarsteller. Anthony Hopkins hatte Schneid und Intellekt, Gaspard Ulliel weiß hingegen nicht einmal, wohin er gucken soll, weil er die Richtung nicht kennt. Und wenn er es weiß, zerfällt sein Wille, aus sich herauszubrechen, zur feuchtfröhlichen Partykomödie. Aus einer mehrschichtigen Moralparabel um Vergeltung und was es eigentlich heißen sollte, dieser tatsächlich nachzugeben, haben Harris und Webber letztendlich nichts übrig als Demontage, Konvention – und reine Geldschneiderei.  
   2.5 | 10   

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