Hanife Gashi – Mein Schmerz trägt deinen Namen

Von Nicsbloghaus @_nbh

Ein Ehrenmord in Deutschland

Das Buch beginnt mit einer Zwangsverheiratung und endet mit einem Ehrenmord. Leicht kommt da ein “typisch” über die Lippen oder in die Gedanken, wenn man das liest.
Und doch; es ist anders. Eine gut (von Sylvia Rizvi) erzählte Biografie, die dar­über Auskunft gibt, wie sich in man­chen Familie alte Strukturen hal­ten.

Es war kurz nach­dem ich Nourig Apfelds Buch gele­sen hatte; ich schlen­derte über irgend­ein Straßenfest und fand am Stand vom Terre des Femmes die­ses bereits vor sechs Jahren erschie­nene Buch. Erst jetzt habe ich es gele­sen.

Hanife Gashi erzähl ihre eige­nen Geschichte: ihre unbe­schwerte Kindheit im Kosovo malt ein roman­ti­sches Bild von Frieden und dörf­li­cher Strenge. Mit sieb­zehn wird sie mit einen Fremden ver­hei­ra­tet. Adem, der Mann, der spä­ter die älteste Tochter Ulerika töten wird.

Ulerika wird noch im Kosovo gebo­ren; doch kurz nach der Geburt flieht die Kleinfamilie vor dem Krieg nach Deutschland. In den zehn Jahren, in denen über den Asylantrag ent­schei­den wird, wer­den wei­tere drei Töchter gebo­ren. Die Mädchen und auch Hanife ler­nen deutsch, sind ganz in die­sem Land. Nur Adem ver­wei­gert sich und hängt dem tra­di­tio­nel­len Denken an.
Diesen Unterschied zwi­schen einem moder­nen Leben und dem in alt­her­ge­brach­ter Tradition gibt es bereits, als die Familien der bei­den Eheleute noch im Kosovo leb­ten. So berich­tet es das Buch – und wirft damit natür­lich die Frage auf, wes­halb die “moder­nen” Eltern der min­der­jäh­ri­gen Braut die­ser Zwangsehe zustim­men.

Jedoch: Hanife lernt gegen alle Widerstände die deut­sche Sprache; sie erlernt einen Beruf und ist die ver­mut­lich erste kosovo-albanische Frau, die einen Führerschein besitzt.  Eine starke Frau, die sich gegen den patri­ar­cha­li­schen Mann durch­set­zen muss. Die aber lange mit ihm unter einem Dach lebt trotz der Misshandlungen und Schläge. Trotz der bru­ta­len Gewalt, die meh­rere Male dazu führt, dass sie poli­zei­li­che Hilfe in Anspruch neh­men muss.

Als Ulerika sich – wie jedes Mädchen in ihrem Alter – beginnt, modisch zu klei­den; als sie beginnt, sich der Strenge des Vaters zu wider­set­zen, kommt es zu laut­star­ken, spä­ter hand­greif­li­chen Differenzen zwi­schen den bei­den. Als Adem erfährt, dass sich seine Tochter in einen jun­gen Mann ver­liebt hat, treibt das Drama auf sei­nen Höhepunkt zu.

Doch nun muss ich erwäh­nen, was bis­her uner­wähnt blieb: diese kosovo-albanische Familie ist  nicht reli­giös. Bereits Tage nach der Hochzeit war klar, dass Hanife das tra­di­tio­nelle Kopftuch nicht tra­gen wird. Und es auch nie trug. Auf den letz­ten Seiten des Buches erklä­ren die Autorinnen, wes­halb sie die­sen Mord den­noch als Ehrenmord bezeich­nen: “Adem wollte kei­nen Mann zum Schwiegersohn, der eine bos­ni­sche Mutter hat und wie viele Bosnier einen ser­bi­schen Dialekt spricht. Vielleicht spielt es eine Rolle, dass die Kosovo-Albaner meis­tens Muslime sind und die Serben ortho­dox. Aber eigent­lich hat der Hass nichts mit Religion zu tun. [...] Wir Frauen soll­ten nur Albaner hei­ra­ten. Wer gegen diese Regel ver­stieß, belei­digte die Ehre der Familie.” (Seite 207)

Dann jedoch noch die­ser Satz: “Als Vater wollte er das Oberhaupt der Familie sein. Der Herr über Frau und Kinder. An die­sem Punkt hän­gen Mannes- und Familienehre eng zusam­men. Ulerika hat sich sei­ner Macht ver­wei­gert und wehrte sich. Er sah seine Ehre beschmutzt.” (Seite 208)

Ist es da ange­mes­sen, von einem “Ehrenmord” zu spre­chen? Ich bin mir des­sen nicht sicher. Denn mit dem Begriff “Ehrenmord” ver­bin­den wir doch meist einen Mord, der vor reli­giö­sem  – und das meint vor allem: isla­misch – gepräg­tem Hintergrund geschieht. Weshalb die “Ehre” des Mannes zwi­schen den Beinen der Frauen sich befin­det ist mir zwar nie wirk­lich klar gewor­den, aber die­ser ver­meint­li­che Tötungsgrund, wie ihn Adem zu fin­den scheint, kann sehr wohl auch in Familien vor­kom­men, in denen Männer leben, die mei­nen, auf­grund ihres Männlichseins “bes­ser” zu sein.

Doch wie­der weg von die­sen Definitionsfragen: das Buch lohnt sich zu lesen. Auch, weil es der Journalistin und Autorin Sylvia Rizvi gelingt, das Leben der Frauen und Mädchen in die­ser Familie plas­tisch und leben­dig zu erzäh­len. Sie schafft es, die Menschen zu Charakteren zu machen. Und es lohnt wei­ter­hin, weil es eine Geschichte erzählt, wie sie sich hun­dert­fach tag­täg­lich in Deutschland abspielt. Glücklicherweise nicht immer mit die­sem furcht­ba­ren Ende. Aber wer macht sich die Mühe, die Opfer täg­li­cher phy­si­scher und psy­chi­scher Gewalt zu zäh­len oder dar­über zu berich­ten?

Dank an Hanife Gashi für den Mut, mit ihrer Geschichte und der ihrer Tochter an die Öffent­lich­keit zu gehen.

Nic