Handke, Peter: Nachmittag eines Schriftstellers

Mit Anfang zwanzig habe ich Peter Handke geliebt; mit Mitte zwanzig konnte ich ihm nicht mehr zustimmen und seine Bücher wurden zur schalen Erinnerung. Nun – mit Mitte dreißig – habe ich mich an das letzte ungelesene Buch von ihm im Regal getraut. „Nachmittag eines Schriftstellers“ ist eine bemerkenswert persönliche Erzählung, die mich meine damalige Begeisterung nachempfinden ließ. Von Handke kommt man eben nicht so leicht dauerhaft los.


Klappentext

Von einem Dezember-Nachmittag handelt die 1987 von Peter Handke veröffentlichte Erzählung. Die Arbeit am Schreibtisch ist für diesen Tag beendet, sie wird erst am nächsten Vormittag fortgesetzt: eine Zwischenzeit also. In ihr ereignet sich nichts Besonderes, nichts Außergewöhnliches (immerhin, der erste Schnee des Jahres fällt). Aber gerade dieses noch nicht durch Bedeutungen Verstellte ist es, dem der Schriftsteller auf dem Gang von seinem Schreibtisch in die Stadt, von deren Zentrum zu deren Peripherie und auf dem Nachhauseweg seine Aufmerksamkeit widmet.

Der erste Satz

Seit er einmal, fast ein Jahr lang, mit der Vorstellung gelebt hatte, die Sprache verloren zu haben, war für den Schriftsteller ein jeder Satz, den er aufschrieb und bei dem er noch dazu den Ruck der möglichen Fortsetzung spürte, ein Ereignis geworden.


Handke zu lesen erfordert die unbedingte Einlassung auf eine rigorose Langsamkeit und Bedachtheit. Kein Wort, kein Satzzeichen steht einfach nur so da, sondern wurde sorgfältig ausgewählt und gesetzt. Jedem Satz spürt man das Ringen um die Richtigkeit an, die Selbstzweifel und die Überwindung, ihn stehen zu lassen. Seine Texte beschreiben nicht die Wirklichkeitswelt im Sinne einer Illustration, vielmehr werden durch die Sprache Bilder beschworen, die die Realität beim Leseprozess erfahrbar machen. Das klingt alles furchtbar anstrengend und das ist es sicherlich teilweise auch, aber in seinen besten Werken wird man dafür mit intensiv erlebten Einsichten belohnt – sofern man ihm zustimmt. Ich bin mir nicht sicher, ob „Nachmittag eines Schriftstellers“ zu seinen besten Büchern gezählt werden sollte. Mit Sicherheit ist es allerdings sein privatestes und intimstes Buch.

Der Titel fasst den Inhalt bereits zusammen. Der namenlose Schriftsteller hat sich für die Phase des intensiven Schaffens zurückgezogen. Vormittags wird geschrieben, nachmittags wird dem Geschriebenen nachgefühlt. Das Besondere an diesem Buch ist die Ehrlichkeit, mit der Handke sein Innerstes offen legt. Die Sätze fließen nicht aus ihm heraus. Die zu erfahrende Wirklichkeit muss in ihm entstehen, ihr muss Gehör geschenkt werden und schließlich müssen Sätze gefunden werden, die sie verkörpern. Mit Talent allein ist das nicht zu bewerkstelligen. Feinsinnigkeit ist da gefordert, Leidensfähigkeit und Opferbereitschaft auch. Vom Preis für dieses Schaffen ist in „Nachmittag eines Schriftstellers“ zu lesen.

Schon indem ich, vor wievielen Jahren nun?, mich absonderte und beiseiteging, um zu schreiben, habe ich meine Niederlage als Gesellschaftsmensch einbekannt; habe ich mich ausgeschlossen von den andern auf Lebenszeit. Mag ich auch bis zum Ende hier unterm Volk sitzen, begrüßt, umarmt, eingeweiht in seine Geheimnisse – ich werde doch nie dazugehören.

Im Buch wird eine recht eigenartige und ambivalente Einstellung Handkes gegenüber der Gesellschaft deutlich. Einerseits erfordert die Einsamkeit und Abgeschiedenheit des Schreibprozesses einen entsprechenden Ausgleich durch die Teilnahme am gemeinsamen Leben. Andererseits herrscht aber auch eine ständige Angst vor dem Erkanntwerden vor. Handke ist sich der Masse der Ignoranten, der Neider und der Gehässigen bewusst. Er möchte, dass sein Werk nachempfunden, nicht analysiert und bewertet wird. Auch dies ein Grund für seine tendenzielle Abkehr vom Kulturbetrieb. Statt dessen schreibt er für den Leser, der seine Bilder zu lesen imstande ist. Ein fast allzu hehrer Wunsch.

Insgesamt nutzt Handke die kurze Erzählung, um sich zu positionieren und seine Haltung auszustellen. Einem solchen Anliegen darf und sollte man immer kritisch begegnen, begünstigt es doch die Überbetonung der mitteilungswürdigen Ansichten und die Verschleierung entgegengesetzter Charaktermerkmale. „Nachmittag eines Schriftstellers“ ist ein Buch, das ohne Zweifel die Grundeinstellung Handkes gegenüber des Schreibens und seiner Rolle als Schreibendem widerspiegelt. Trotz all dieser Offenheit fehlt jedoch das Impulsive und Zornige, das ihn zum gefürchteten Interviewgast und zum unbequemen Stellungnehmenden macht. Das ist zwar aus meiner Sicht bedauerlich, trübt aber dennoch nicht den Gesamteindruck. Auch mit der teilweise widersprüchlichen personalen Einheit zwischen Autor und Protagonisten ergibt sich ein lange andauernder Eindruck davon, was es heißt, ein Schriftsteller zu sein.


Was bleibt?

Handke bedient sich seit jeher virtuos der Sprache. „Nachmittag eines Schriftstellers“ ist da keine Ausnahme. Jedes Wort steht unverrückbar an seinem Platz, um Bilder zu erzeugen, die die Einsamkeit und Selbstzweifel des Schreibenden tatsächlich erfahrbar machen. Ob man Handke in seinen Ansichten folgt oder nicht – es eröffnet sich ein faszinierender Blick über die Schulter in den kreativen Schaffensprozess von Literatur. Für mich ein Grund, dieses Buch jedem Literaturliebenden ans Herz zu legen.

Handke, Peter: Nachmittag eines Schriftstellers. Erstmals erschienen 1987.

Taschenbuchausgabe: Suhrkamp. 91 Seiten. ISBN 978-3-518-38168-7. € 8,50.


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Interview mit Peter Handke in der Zeit vom 03.03.1989


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