Wegen „Ketzerei“ droht dem Journalisten und Blogger Hamza Kashgari der Tod – sein Fall ist exemplarisch für unzählige Menschen, die wegen ihrer Haltung zu religiösen Lehren weiter verfolgt und drangsaliert werden. Der Zentralrat der Muslime in Deutschland schweigt dazu wie üblich. Der Autor Hamed Abdel-Samad und wenige andere nicht.
von Arik Platzek
Hamza Kashgari
Drei Mitteilungen auf Twitter genügten, um Hamza Kashgari in Todesgefahr zu bringen. Am 4. Februar 2012 schrieb der 23-Jährige Journalist in Saudi-Arabien während eines Feiertags zu Ehren des vermuteten Geburtstags des islamischen Propheten Mohammed drei Nachrichten. Drei nicht einmal 140 Zeichen lange Botschaften, über die sich evangelische Pfarrer vermutlich freuen würden, wenn ein junger Mann aus der Gemeinde als Christ so daherreden würde. In einem imaginären Zwiegespräch meinte Kashgari via Twitter unter anderem zur religiösen Sagengestalt: „Ich habe bestimmte Aspekte von Dir geliebt, andere gehasst und viele nicht verstanden.“
Mohammed sei für ihn eine Quelle der Inspiration gewesen, schrieb er weiter. Kaschgari erklärte, er habe die rebellischen Charakterzüge Mohammeds geliebt. Aber den göttlichen Heiligenschein lehne er ab und statt einem Gebet wolle Kashgari Mohammed die Hand schütteln. Es war der Dialog eines Gläubigen mit einer Phantasiegestalt und einem religiösen Idol, ohne Zeichen der Verachtung oder des Hasses.
Doch umgehend erhielt Hamza Kashgari, der früher als Journalist unter anderem für die Tageszeitung Al-Bilad schrieb, Zehntausende entrüsteter Reaktionen. Ein hochrangiges Komitee islamischer Theologen erklärte ihn zum Ungläubigen – ein Status, für den in Saudi-Arabien die Todesstrafe vorgesehen ist.
Kashgari löschte die Tweets, bat um Entschuldigung und floh doch nach Malaysia – aber vergebens. Auf dem Flughafen in Kuala Lumpur wurde er festgenommen und nach Saudi-Arabien zurückgeschickt, wo er auf dem Flughafen der Stadt Riad in Empfang genommen und anschließend inhaftiert wurde. Nun wartet er auf seinen Prozess.
Sarah Leah Whitson von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) prangerte die Auslieferung durch Malaysia an, trotzdem das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR die Behörden um die Möglichkeit zu einen Kontakt mit Kashgari gebeten hatte, um ihm die Möglichkeit eines Antrags auf politisches Asyl zu geben.
Kurz darauf berichteten Medien, dass sich auch im Internet ein wütender Mob in einer Gruppe bei Facebook mit dem Namen „Das saudische Volk will die Bestrafung von Hamza Kashgari“ verbunden hatte, um so die Forderung nach der Todesstrafe zu unterstreichen. Am letzten Sonntag zählte die Gruppe bereits rund 23.000 Benutzer, am Mittwoch waren es bereits 25.000 Menschen. Über die Aktivitäten der Menschen berichtete Spiegel Online ausführlicher. Und seitdem haben sich noch einmal fast 2.000 Menschen der Gruppe angeschlossen.
Die deutsche Bundesregierung oder Außenminister Guido Westerwelle schwiegen bislang dazu. Volker Beck, Grünen-Politiker und menschenrechtspolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion, erklärte am Dienstag, dass die Auslieferung durch Malaysia menschenrechtswidrig war und meinte, auch Twitter und Facebook müssten der Forderung nach Lynchjustiz entgegen treten. Getan hat sich aber auch auf dieser Seite bislang wenig.
„Die Bundesregierung und die Weltgemeinschaft müssen sorgfältig darauf achten, dass deren Einfluss in den aktuellen Brennpunkten in Syrien und Iran nicht weiter zunimmt. Denn das Schicksal Hamza Kashgaris stünde sonst stellvertretend für viele tausend weitere, die sich nach etwas mehr Freiheit sehnen“, so Beck schließlich.
In der Frankfurter Rundschau warf die iranische Journalistin Ferdos Forudastan der Bundesregierung wegen ihres Schweigens zur „zur verbrecherischen Innen- und Außenpolitik Saudi-Arabiens“ eine Doppelmoral vor.Und während laut Radio Vatikan sogar das evangelikal-christliche Hilfswerk Christian Solidarity International in Österreich gegen das Vorgehen Saudi-Arabiens gegen Kashgari einen Protest formulierte, bleibt das Schweigen seitens des Zentralrats der Muslime in Deutschland kaum überhörbar. Klare Forderungen oder mahnende Worte an die Geschwister im Glauben? Fehlanzeige. In Aachen widmete aber der aus dem Irak stammende Künstler Mohammad Ahmad am Hauptbahnhof der Stadt dem neuesten Opfer Hamza Kashgari eine Solidaritätsmahnwache.
Solidarisierungen mit Hamza Kashgari im Internet gibt es zwar, doch die englischsprachige Gruppe „Save Hamza Kashgari“ zählte gestern gerade mal knapp 7.000 Unterstützer, das deutschsprachige Pendant nur einige Hundert. Eine Online-Petition an die saudischen Behörden zählte bislang etwas mehr als 7.000 Unterzeichnungen, viel zu wenig für eine echte Wirkung. Werden die bekannt gewordenen Todesdrohungen wegen Brüchen mit der islamischen Religion auch für die globale Netzgemeinde am Ende zu viel?
Salman Rushdie, Kurt Westergaard, Asia Bibi oder in Indonesien aktuell auch Alexander Aan: Die Serie der (halb-)staatlichen Verfolgung von Ketzern und Ketzerinnen in der muslimischen Welt und durch die Gläubigen reißt nicht ab und die aufgeklärte Welt steht dem oft staatlich organisierten Irrsinn quasi machtlos gegenüber.
Hamed Abdel-Samad, dem aus Ägypten stammenden Ex-Muslim, Politikwissenschaftler und Autor („Der Untergang der islamischen Welt“), platzte gestern angesichts der bizarren Vorgänge der Kragen. Wie auch andere als Apostaten Beschuldigte zuvor, erklärte Abdel-Samad via Facebook, als Zeichen der Solidarität mit Hamsa Kaschgari ebenfalls das Gebet ausfallen zu lassen: „Nicht dass ich für ihn gestern gebetet habe, aber gestern hatte ich keinen Anlass, dies öffentlich zu machen.“
Die Menschen, die ihn für seine harten Urteile über die Perspektiven und Zustände der islamischen Welt in der Vergangenheit kritisiert hatten, griff Abdel-Samad dabei scharf an: „An alle ‚Moderaten‘ die mich Provokateur nennen, fühlt ihr euch denn nicht provoziert, dass Hamza für seine Meinung sterben muss? Was für ein Gott ist dieser, der Menschen umbringt, die ihn nicht ehren?“Sein Fazit: „Hier liegt die wirkliche Quelle der Diktatur. Dieser Gott ist das Vorbild für unsere Despoten. Ja, ich unterstütze das Recht jedes Menschen auf Blasphemie und auf Beleidigung der Religion, jeder Religion…“
Anders als Giordano Bruno wird Hamza Kashgari wohl nicht öffentlich verbrannt werden. Vielleicht wird er gehenkt oder auch geköpft. Denkbar ist ebenfalls, dass er sich noch in der Haft das Leben nimmt oder irgendwann durch einen „Unfall“ stirbt. Doch vielleicht kommt es auch anders.
Wie Human Rights Watch berichtete, kam nur vier Tage nach Kashgaris verhängnisvollen Botschaften an seinen „Freund“ sein Landsmann Hadi Al Mutif aus dem Gefängnis frei. Am 8. Februar 2012 wurde der einst wegen Apostasie verurteilte und nunmehr 37-Jährige aus dem Süden Saudi-Arabiens aus der Haft entlassen. Abd al-‘Aziz Al al-Shaikh, ein hoher Mufti, hatte das Reuegeständnis von Hadi Al Mutif akzeptiert. Nach 18 Jahren wird wieder ein Platz frei. Die Umma in Saudi-Arabien hat einen frischen Sünder gefunden.
[Dieser Artikel erschien zuerst auf dem Portal des Humanistischen Pressedienstes und wurde hier leicht verändert von der gbs-Seite übernommen.]
Die Giordano-Bruno-Stiftung hatte kurz nach dem Bekanntwerden des Falls über ihre Facebookseite dazu aufgerufen, die Online-Petition gegen die drohende Verurteilung Kashgaris zu unterstützen.
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