Hamburg, Hartz und Guttenberg

Es gibt Tage, da weiß man gar nicht, über welches Thema man zuerst schreiben soll. Drei innenpolitische Themen bieten sich derzeit geradezu an, sie genauer zu betrachten.

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Photo: Jacob Poul Skoubo

Da ist natürlich zunächst die Wahl in Hamburg. Mit einem Erdrutschsieg der SPD hatte man ja gerechnet, aber dass es zur absoluten Mehrheit reichen könnte, hat wohl kaum jemand geglaubt. In Hamburg freut man sich, die CDU wieder los zu sein. In Berlin redet die SPD-Spitze eine Trendwende zu ihren Gunsten zum Auftakt des Superwahljahres herbei. Aber Hamburg war eine lokale Wahl nach dem schwarzgrünen Desaster. Dass Olaf Scholz jetzt schon als nächster Kanzlerkandidat der SPD gehandelt wird, ist typisch für unsere Medien, die einen kleinen hamburger Erfolg zum großen Ereignis hochstilisieren. Die SPD ist im Formtief, und sie bleibt es auch. Es fällt ihr schwer, klare sozialdemokratische Positionen zu beziehen, aus Angst, sie könne die Mitte verlieren. Außerdem ist ihr Personal im Großen und Ganzen mittelmäßig. Seit 30 Jahren geht es mit der SPD nur noch bergab, und in der Bundesrepublik war ihre Blütezeit im Grunde auch nur sehr kurz. Schon in Baden-Württemberg hat sie ursprünglich gewonnenes Terrain wieder verspielt, und in Rheinland-Pfalz muss sie aufpassen, die derzeit komfortable Regierungsmehrheit nicht zu verlieren, was übrigens wirklich schlimm wäre, vor allem in der Behinderten- und Sozialpolitik, wo Rheinland-Pfalz eine Vorbildfunktion inne hat. Nein: Die hamburger Bürgerschaftswahl ist und bleibt ein lokales Ereignis. Nur unsere so genannte Mediendemokratie könnte, jenseits aller politischen Realität, dem kleinen Gewinn an der Elbe eine unverdiente Kraft verleihen.

Interessant ist allerdings, und damit komme ich zum zweiten Thema, dass in der Wahlnacht plötzlich auch ein Kompromiss beim Arbeitslosengeld II gefunden wurde. Wochenlang stritt man sich bei Bund und Ländern um die Frage, ob der Regelsatz für die rund 4,7 Millionen Bezieher um 5, 8 oder gar 11 Euro anzuheben sei. Die SPD, die das ALG II 2005 überhaupt erst eingeführt hat, konnte sich zwar nicht mit ihrer Forderung nach 11 Euro mehr durchsetzen, aber man traf sich in der Mitte bei 8 Euro. Allerdings wird diese Erhöhung in 2 Stufen eingeführt. 5 Euro sofort, weitere 3 zu Beginn des nächsten Jahres. Dass die gefühlte Inflation weit höher liegt und damit die Erhöhung mindestens wieder auffrisst, interessiert niemanden, beide Seiten haben ihr Gesicht gewahrt, und nur darum ging es bei diesen zähen und nutzlosen Verhandlungen. Auch die Tatsache, dass die Daumenschrauben mit der ALG-II-Reform erneut angezogen werden, geht im Wortgeklingel um die Regelsatzhöhe völlig unter. Künftig müssen ALG-II-Bezieher bei Krankschreibungen beweisen, dass sie nicht in der Lage waren, das Haus zu verlassen, was bedeutet, dass Ärzte künftig Hausbesuche bei Arbeitslosen machen müssen, wenn die eine Krankschreibung brauchen. Auch die verpflichtende Leistungskürzung um 30 % bei jeder Art von Regelverstoß seitens des Betroffenen ist eine Schikane, über die in den Medien nicht gesprochen und informiert wird. Da helfen die 8 Euro mehr eher weniger.

Da ist es doch schön, wenn man sich über jemanden aufregen kann, den man bis gestern hoch gelobt hat: Ich spreche von Dr. Karl-Theodor zu Guttenberg, unserem Verteidigungsminister. In seiner Doktorarbeit hat man, vor allem weil der politische Gegner genau hingeschaut hat, und weil jetzt die Blogger nachlegen, über 100 abgeschriebene Stellen gefunden. Der fesche, volksnahe Wunderbaron, der das Image der Regierung so herrlich aufpolierte, steht am Abgrund, Schadenfreude ist angesagt. Aber ein Teil der Schelte, die jetzt auf den Minister niedergeht, ist Heuchelei. Der Mann war auch schon Minister, als er die Doktorarbeit schrieb, wie hätte er dafür Zeit finden sollen? Ich glaube übrigens ernsthaft, dass viele Doktoren und Professoren von anderen abgeschrieben haben. Sie haben sich vielleicht mehr Mühe mit dem Umformulieren gegeben, aber viele werden wohl auch deshalb nicht erwischt, weil sie einfach nicht so genau beobachtet werden wie der Minister zu Guttenberg. Natürlich ist das Abschreiben schlimm, denn zu Guttenberg schmückt sich mit fremden Federn. Hätte er wirklich alle Zitate als solche kenntlich gemacht, wäre vermutlich an eigenen Gedanken nicht mehr viel übrig geblieben. Vor allem macht er sich unglaubwürdig, weil er beispielsweise abstreitet, die Erkenntnisse des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages genutzt zu haben, was inzwischen widerlegt wurde. Die Universität Bayreuth täte gut daran, dem Minister seinen Doktortitel abzuerkennen. Gleichzeitig aber sollte man darüber nachdenken, ob Plagiatsvorwürfe wie gegen Guttenberg oder z. B. Helene Hegemann ehrlich sind. Wer hat heute noch so viele neue und vorher nie gedachte Gedanken, um damit 475 Seiten zu füllen? Karl-Theodor zu Guttenberg hätte ehrlicher sein sollen. Es finden sich immer mehr Stellen in seiner Arbeit, bei denen er fast wörtlich aus anderen Publikationen abgeschrieben hat. Dies gehört sich nicht und kratzt das Image des bis dato beliebtesten deutschen Politikers gewaltig an.

Das war wieder so ein Kommentar, der am 22.02.11 bei ohrfunk.de erschien.


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