Hallo. Ich möchte mit ihnen über Pop reden. (Peel-Wachtturm in der Hand haltend.)

Von Probefahrer @probefahrer
29. März 2014

Schlager ist Scheiße. Punkt. Das war schon immer so und das wird auch immer so bleiben. Schlager ist keine Musik, sondern Marketing-Geräusch. Ein Fließband-Produkt, das auf Verkaufen optimiert ist. FastFood für Ohren und die Seele der Oberflächlichen und “Lasst mich mit Euren Problemen in Ruhe”-Leute.

Nilz Bokelberg, der alte Viva-Haudegen hat sich drüben in seinem Blog über die Echo-Verleihung ausgekotzt, über Helene Fischer und darüber, dass Pop kaputt ist.

Wie Recht er doch hat.

Zitat:

Der Test: Man stelle Helene Fischer neben irgendeine xbeliebige Künstlerin und vergleiche. Ist egal neben wen: Lady Gaga, Katy Perry, Britney Spears, younameit. Immer ist Fischer sofort der Bauerntölpel. Das poppige Nichts. Die deutsche Sängerin. Bieder bis zum Anschlag, substanzlos wie eine Rede von Thilo Sarazzin.

oder

Ihr könnt keine Petition gegen Lanz unterschreiben, aber “Atemlos” auf dem mp3-Player haben. Menschen unter 18 Jahren sollten nicht einmal wissen, wer Helene Fischer überhaupt ist!

Versteht mich nicht falsch. Pop kommt von populär. “in der Öffentlichkeit bekannt und beliebt”. Soll Pop meinetwegen auch sein. Aber er soll populär sein weil er GUT ist. Weil er NEU ist. Weil er KUNST ist, die provoziert UND Spaß macht.

Gibt es eigentlich noch Pop-Rotzer in Deutschland, die so ein Provokationspotenzial haben? Marius Müller-Westernhagen war mal so einer. GANZ lange her, bis er plötzlich SEXY wurde und Geld verdient hat. Grönemeyer ist sich in meiner Wahrnehmung noch halbwelgs treu geblieben, aber vom Poprotzer zum Popnachdenker und -Poeten geworden. Ein oder zwei davon sind OK, aber dann reicht es auch.

Und nein, die Toten Hosen war nie so welche :)

Schaut Euch Adel Tawil an. Nettes Liedchen über Liedchen, ja. Meta-Pop. Wenn man sich anschaut, dass der Typ letzten Endes auch nur ein Musikmaschinierie-Produkt ist, dass halbwegs die Kurve gekriegt hat, unterstelle ich aber auch bei “Lieder”, dass entweder ein Marketingkumpel daneben saß als der Song geschrieben wurde oder dass sich Tawil ganz gezielt Gedanken über Verkaufbarkeit gemacht hat, als er anfing sein kleines Musik-Ratespiel zu schreiben. Nicht nur, wegen der hemmungslosen Selbst-Referenzierung und Eigenmarketing in der letzten Stophe. Der Song ist einfach darauf optimiert, dass  sich möglichst jeder zwischen 30 und 50 darin wieder findet.

Meine Freundin hat mir mal aus ihrem Studium erklärt, dass Menschen nicht zum Konzert gehen um die Musik zu hören, oder den Künstler zu sehen, sondern um in einer Menschenmasse kollektive Emotionen auszuleben und innerlich die eigenen, individuellen Erinnerungen, die an die Songs gebunden sind zu erleben.

Noch so ein albernes Beispiel ist Unheilig: Seit ich ihn das erste Mal gehört habe die Reinkarnation von Matthias Reim. Solche Leute wurden früher ausgelacht und kriegten ein Pflaster aus Platin. Heute kriegen sie Platin und spielen vor den Leuten, die eigentlich Gegenkultur sein wollen.

Blogroyal trifft den Nagel in einer Antwort auf Nilz Posting ziemlich gut auf den Kopf:

Es ist alles so wunderschön und supi, alle sind Popper, selbst Musik die mir als Alternative vorgestellt wird, klingt wie acht Wochen im Studio abgemischte und von studierten Studiomusikern eingespielte Klangbeispiele für Lautsprecherverkaufsräume.

Oder wie ben_ letztens festgestellt hat: Es fehlt eine Gegenkultur.

Es gab mal Popper, Punks, Mods, Rockabillies, Straight Edge, Grufits, Hippies, Waver, Raver, EBM und hassenichgesehn bis hin zum Normalo. Aber selbst die NORMALOS hätten sich keine Roland Kaiser oder Nana Mouskuri Platte gekauft verdammt nochmal.

Und heute? Heute habe ich das Gefühl “diese Jugend” ist glatter geföhnt und weicher gespült als alle Generationen Spießer vor Ihnen. Und nein, frauenfeindliche Möchtegerngangster wie Bushido zählen nicht.

“Pop will eat itself” haben mit ihrem Bandnamen vielleicht doch mehr vorhergesehen, als ihnen lieb war.

Vielleicht fehlt aber auch einfach etwas, wogegen sich eine Kultur bilden kann?
Gegen das derzeit durch Helene Fischer personifizierte Geräuschmarketing bin ich jedenfalls gerne.

Musiker zu sein heißt NICHT, das einzige Blondchen zu sein, die sich in zielgruppenkonforme Wichsvorlagenkostüme stecken lässt und belanglose “Reim-Dich-oder-och-beiß-Dich”-Zeilen so lange ins Studio-Mikro zu quietschen und darauf zu vertrauen, dass im irgendwer, der unfallfrei Cubase starten kann daraus ein halbwegs taugliches Playback zaubert, das für eine ECHO-Eröffnung reicht.

Musiker sein heißt vor allem etwas zu SAGEN zu haben. Das gilt auch für Pop-Musiker.

Etwas zu sagen zu haben, dass sich selbst ein Mensch, der wahrscheinlich Millionen Songs gehört hat auf den Grabstein schreiben würde.

Teenage Dreams, So Hard To Beat

So. Jetzt hat sich der Oppa aber lange genug aufgeregt. 

Sonst steht auf meinem Grabstein gleich noch “Oops I did it again” ;)

Musik-Tipps sind immer gerne genommen, wenn Sie das Gegenbeispiel beweisen. Ich bin um jeden Song dankbar, der mir ein bisschen “Is alles gar nicht so schlimm” vermittelt. So lange höre ich dann lieber Gelaber in Podcasts und hole mir meine Dosis Pop bei NPR Radio bis mir jemand einen Nachfolger für John Peel nennen kann, der den Pop-Filter macht, sich durch viel Scheiße hört, um die richtig, RICHTIG guten Songs zu finden.