Bereits vor Wochen habe ich diesen Beitrag geschrieben und mir vorgenommen, ihn in der darauffolgenden Woche online zu stellen. Und dann kam Tag X und ich saß vor meinen Worten und haderte mit mir. Wollte ich denn wirklich, dass das alle Welt lesen kann? Dass jeder um mein größtes Problem weiß? Wollte ich mich angreifbar machen? Nein, natürlich nicht. Dafür habe ich in der Vergangenheit zu oft schlechte Erfahrungen damit gemacht. Doch der Beitrag lässt mich einfach nicht los. Ja, ich habe ein mulmiges Gefühl dabei, euch alle jetzt so tief in mein Leben zu lassen, aber ich glaube auch, dass das richtig ist. Ich sollte keine Angst haben müssen über meine Probleme zu sprechen und das genau das aber gerade der Fall ist, obwohl ich eigentlich inzwischen offen mit meiner Krankheit umgehe, zeigt mir, wie wichtig es ist, jetzt trotz meines mulmigen Gefühls auf Veröffentlichen zu klicken und euch allen zu zeigen "Hey, wir sind unter euch, nicht ansteckend und meistens ganz coole Leute".
Angst. Jedem von uns ist sie ein Begriff und viele wissen sogar, wie es sich anfühlt, wenn Unruhe und Besorgnis das Ruder übernehmen, die Nerven wie Drahtseile gespannt und die Hände schwitzig sind, das Adrenalin durch die Adern schießt und jede Faser des Körpers angespannt und bereit ist, von einer Sekunde auf die andere zu handeln. Verhältnismäßig wenige, aber doch immerhin einige mehr, als man vielleicht meinen mag, wissen aber, wie es ist, wenn diese Angst zum täglichen Begleiter wird. So wie ich. Ich weiß, wie es ist, wenn einen die nackte Angst aus heiterem Himmel packt. Wenn sie sich wie ein Sack Zement auf die Brust legt, dich lähmt, deinen Körper krank macht und durch deine Gedanken kreist wie Dementoren, die nur darauf warten, dir das letzte bisschen Glück auszusaugen. Ich weiß wie es ist, wenn die Angst die völlige Kontrolle übernimmt, dir das Leben entgleitet, man alles verliert, was man sich aufgebaut hat und man plötzlich jede Faser seines Selbst in Frage stellt. Ich weiß, wie es ist, eine unsagbare Angst davor zu haben, Angst zu haben. Ich weiß, wie es ist, weil all das Teil meines Lebens ist.
Meine erste Panikattacke liegt nun schon viele Jahre zurück. Wie es sich angefühlt hat, als mich die Welle der Angst zum ersten Mal mit sich gerissen hat, weiß ich jedoch noch, als wäre es gestern gewesen. Allerdings wusste ich damals nicht, was mit mir los war und es hat sehr lange gedauert, bis es mir jemand sagen konnte. Bis es endlich soweit war, musste ich mir viele Beleidigungen anhören, die von Weichei über Psycho bis hin zu In einer gerechten Welt würden Menschen wie du gar nicht überleben gingen und ich fühlte mich von Tag zu Tag immer kleiner. Das Fatale: irgendwann fing ich tatsächlich an, den Leuten zu glauben und dadurch wurde es erst richtig schlimm. Zu meiner Angst gesellte sich die Depression und ich begann, mich vollkommen zurückzuziehen. Ich traute mich nicht mehr raus aus Angst, die Leute würden mir eine Panikattacke ansehen und dann über mich lachen. Und ich vertraute mich niemandem mehr an, weil ich nicht noch mehr Beleidigungen, Ablehnung und Enttäuschung in den Gesichtern ertragen hätte. Ich habe mich so wahnsinnig doll geschämt.
Man schickte mich damals von Arzt zu Arzt, mein Herz wurde mehrfach ausgiebig untersucht, ebenso alle weiteren Zentimeter meines Körpers, aber es wurde nie etwas gefunden. Leider. Denn mit jeder neuen Untersuchung wünschte ich mir immer sehnlicher, dass sie irgendwas finden würden. Ganz egal was. Ich war an einem Punkt angelangt, an dem ich einfach einen Namen brauchte, etwas, das mir Hoffnung gab, dass es irgendwann wieder besser werden würde, wenn ich nur fein meine Medikamente schluckte. Aber so eine Diagnose bekam ich nie. Ich muss an dieser Stelle dazu sagen, dass Ärzte damals psychisch bedingte Erkrankungen noch nicht so sehr auf dem Plan hatten, weswegen es tatsächlich eine Ewigkeit dauerte, bis man mir riet, mich einem Psychologen vorzustellen. Die Diagnose Generalisierte Angststörung kam dann auch vergleichsweise schnell, aber die Erleichterung, die ich mir erhofft hatte, blieb aus. Ebenso die Hoffnung, auf eine baldige Genesung.
Um deine Angst zu besiegen, musst du dich ihr stellen. Diese Weisheit konnte nur aus dem Mund von jemanden kommen, der das noch nie tun musste, soviel war mir damals klar. Ich hatte Todesängste und diesen sollte ich mich einfach mal eben stellen, als wäre es das Leichteste der Welt? Wenn ich dachte, dass es mit der Diagnose und einer medizinischen Betreuung nur Berg auf gehen konnte, wurde ich definitiv eines Besseren belehrt. Bevor ich nämlich auch nur das kleinste Lichtlein am Ende des Tunnels zu sehen bekam, musste ich erst durch meine ganz persönlich Hölle gehen und das ist nicht gerade ein Klacks, wenn dir die Angst dabei die ganze Zeit Gesellschaft leistet. Ich hätte damals nicht gedacht, dass es mir tatsächlich jemals wieder gut gehen würde. Dass ich in Tränen ausbrechen würde, weil ich ohne Unruhe und Zittern meine Einkäufe erledigt hatte und irgendwann wieder befreit lachen und spontan sein könnte. Aber der Tag kam tatsächlich und ich hätte den Boden unter meinen Füßen dafür küssen können. Mein Kampf hatte sich ausgezahlt, ich wurde belohnt, dass ich nicht aufgegeben hatte und das erfüllte mich mit einem Hochgefühl.
Heute ist meine Angststörung für mich Fluch und Segen zu gleich. Sie stellt mich regelmäßig vor wahnsinnig große Herausforderungen, aber sie ermahnt mich auch, mehr auf mich zu achten, mal etwas langsamer zu machen, öfter Nein zu sagen und die kleinen Dinge mehr zu schätzen. Das klappt natürlich nicht immer und es wäre die Lüge des Jahrhunderts würde ich behaupten, dass alles tutti ist und es mir gut geht, denn Tatsache ist, mir geht es nicht immer gut. Ich habe nach wie vor Tage, an denen fällt es mir schwer aufzustehen und ich möchte mich dann am liebsten ganz tief verkriechen und weinen, weil ich, trotz dessen dass ich das alles ja schon kenne und auch weiß, woher es rührt, immer noch in ein Loch falle, wann immer Angstsymptome wie Schwindel, Schwäche, Zittern, Herzrasen und Herzstolpern wieder vermehrt auftreten. Aber das ist okay. Vor Jahren noch habe ich mich geschämt, Fehler bei mir gesucht, versucht, alles zu vertuschen oder meine Augen vor dem zu verschließen, was da in mir vor sich geht, aber heute nicht mehr. Heute gebe ich mir die Zeit, in ein Loch zu fallen, frustriert, deprimiert und wütend darüber zu sein und auch mal Sturzbäche zu weinen, zu schreien oder gegen eine Tür zu treten, um mir irgendwie Luft zu machen. Ich gebe mir die Zeit mir das zu geben, was ich in dem Moment brauche.
Das Leben nicht aus den Augen zu verlieren, dabei hilft mir mein kleiner Pirat mehr als es jede Therapie tun würde. Durch ihn werde ich jeden Tag daran erinnert, dass auch in der schlimmsten Dunkelheit ein Licht so hell leuchten kann, dass es dich blendet und dass man Haushalt und andere Pflichten auch mal einfach noch ein Weilchen liegen lassen kann und die Zeit lieber für kleine Albernheiten nutzen sollte. Mein Pirat weiß übrigens, dass seine Mama manchmal ziemlich dolle Angst hat und das finde ich gut so. Ich möchte ihm nichts vorspielen und so tun müssen, als wäre alles in Butter, obwohl ich innerlich gerade um mein Leben kämpfe. Ich sage ihm, wenn ich Angst habe und wenn er mir dann sein kleines Händchen in meine Hand schiebt, möchte ich vor Glück einfach nur weinen. Und ich weiß, mit ihm zusammen und für ihn schaffe ich alles. Trotz Angst.
Eins noch: ich weiß, dass aus vielen Beleidigungen damals Unwissenheit gesprochen hat und heute kann ich mit solch dummen Kommentaren ganz gut umgehen und zeige den Menschen, die mir nicht gut tun, wo der Maurer das Loch gelassen hat. Bis dahin war es allerdings ein verdammt langer und harter Weg. Ihr alle da draußen, die den Idioten Glauben schenken und sich von ihnen klein machen lassen: hört auf damit. Sofort. Ihr seid nicht weniger wert, nur, weil ihr Probleme habt, die nicht jeder verstehen kann. Ihr seid toll und auch, wenn ihr das jetzt noch nicht sehen könnt, irgendwann werdet ihr vielleicht erkennen, dass diese schwierige Zeit nicht nur negativ ist. Bis dahin ist es aber ein langer Weg. Konzentriert euch solange auf die Dinge, die euch gut tun und traut euch, Nein zu sagen. Und ganz wichtig: redet dadrüber. Lasst euch nicht eure Stimme nehmen!
Ihr seid betroffen? Scheut euch nicht, euch Hilfe zu suchen! Euer Hausarzt sowie eure Krankenkasse kann euch bei der Suche nach einem geeigneten Therapieplatz behilflich sein. Für schnell Hilfe, findet ihr hier eine helfende Hand:
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