Prof. Dr. Hajo Funke
Auf halber Strecke
Kurze Stellungnahme zum Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses des Bundestags zum Rechtsterrorismus
Von Hajo Funke und Lutz Bucklitsch
1) Der umfangreiche Abschlussbericht ist eine beeindruckende Leistung nach einer ebenso beeindruckenden wie detailreichen Rekonstruktion der mit dem NSU Mordserie verbundenen sicherheitspolitischen Katastrophe. Er kritisiert zum Beispiel - wie in den einzelnen öffentlichen Verlautbarungen der Untersuchungsausschussmitglieder – auch schon zuvor die Gründe des Scheiterns der Suche nach dem NSU, die mangelnde Analysefähigkeit des Verfassungsschutzes und Probleme und Auswüchse der V Personen und ebenso den prekären Umgang mit Akten nach dem 4. November 2011, die Akte des Schredderns.
Dieser Bericht eröffnet eine grundlegende Debatte über Art und Ausmaß und die Ursachen des Sicherheitsversagens und der fälligen Konsequenzen für eine Sicherheitsarchitektur. Er ist „dank“ der nötigen Beendigung der Arbeit durch das Ende der Legislaturperiode auf der halben Strecke stecken geblieben.
(2) Er enthält keine systematische Analyse der inneren Struktur und der Politik der zentral für die Aufklärung und Sicherheit verantwortlichen Bundesinstitutionen: weder zum Bundeskriminalamt noch zum Bundesamt für Verfassungsschutz. Der Untersuchungsausschuss kann dazu auch kaum weitreichende Aussagen machen, da er zwar die Schredderaktionen des Bundesamts und anderer Sicherheitsbehörden zum Thema gemacht hat, jedoch nicht die Institution selbst und ihr jeweiliges spezifisches Versagen, insbesondere das des Bundesamts.
V-Leute und Verfassungsschutz
Der Abschlussbericht enthält keine systematischen Aussagen über das in den letzten Monaten erst sichtbar geworden und verstörende Phänomen, dass gerade in den radikalsten, teils terroristischen Kleingruppen Verbindungs-Personen (V-Leute) des Verfassungsschutzes, auch und gerade des Bundesamts für Verfassungsschutz, zum Teil radikalisierend tätig waren. Da dies bis heute vom Bundesamt geheim gehalten werden soll, nennen wir einige dieser zentralen V Personen, die enttarnt und bekannt sind: Kai D, Thomas S, Tino B, Marcel D, Carsten S, Thomas R, Achim Sch, Sebastian S.
Deren Einsatz war nicht zufällig. Er hat der Sicherheit schwer geschadet. Noch verstörender ist, dass das Bundesamt diese Tatsache bis heute so gut es noch geht zu bestreiten versucht und Informationen hierüber blockiert. Wie zur Bestätigung haben Vertreter der Exekutive bis in die letzten Nächte vergeblich verhindert, dass entsprechende Aussagen des Bundeskriminalamts schon aus dem Jahr 1997 über eine zu starke Rolle des V-Leutesystems an die Öffentlichkeit des Abschlussberichts gelangen.
Es kommt hinzu: die politisch Verantwortlichen der Geheimdienste haben dieses Doppelphänomeme des Einsatzes der V Leute auch im Umkreis des NSU und seiner Leugnung – samt der Verweigerung der Aufklärung hierüber im Falle der Mordserie des NSU – im Untersuchungsausschuss mit dem Hinweis auf ein angebliches (vordemokratisches) „Staatswohl“ (so der einflussreiche Staatssekretär des Bundesministerium des Inneren, Hans-Dieter Fritsche ebenso wie der Ministerpräsident von Hessen, Bouffier) zu rechtfertigen gesucht. Staatswohl ist ein Begriff, der aus den dunklen Zeiten autoritären Absolutismus stammt und mit einer freiheitlich rechtsstaatlichen Demokratie unvereinbar ist und unkontrollierbare Parallelstrukturen verteidigt.
Dies sind Verhaltensmuster, die es erforderlich machen, das hierfür das zentral verantwortliche Bundesamt in seiner bisherigen Form in Struktur, Personal und Mentalität aufzulösen und den Einsatz menschlicher Quellen – wenn überhaupt nötig – anderen Institutionen in restriktivster und kontrollierter Form zu übertragen. Angesichts eines Schattenreichs, dass keiner effizienter Kontrolle unterlag und im Fall des Bundesamts bis heute keiner effizienten Kontrolle durch Exekutive, Parlament und Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird, gehört zu den Konsequenzen die Auflösung des bisherigen Bundesamts in Struktur, Personal und Mentalität zu den unabweisbaren Konsequenzen ebenso wie der Verzicht zum Einsatz von V Leuten aus der oft schwerkriminellen rechtsextremen Szene. Diese Strukturen haben der Sicherheit der den Behörden anvertrauten Menschen schwer geschadet und das über 13 Jahren. Die nachgewiesene Blockade, in der Mordserie offen auch gegen rechtsextreme Gewalttäter ermitteln zu wollen, hat je länger, desto stärker im letzten Jahrzehnt Formen von Vorurteilen und offenen Rassismus in Teilen der Behörden zugelassen, die die Opferfamilien ein zweites Mal traumatisiert haben. Semiya Simsek hat dies in „Schmerzliche Heimat“ berührend belegt. – Große Teile der Sicherheitsbehörden haben dabei nicht mitgemacht, sondern sich an Gesetz, Recht und Fairness gehalten.
Soll die von der Bundeskanzlerin versprochene lückenlose Aufklärung nicht an einer nachgeordneten Behörde des Bundesinnenministeriums scheitern, werden diese Dimensionen aber gänzlich aufgeklärt werden müssen. Der Abschlussbericht ist ein schwer erkämpfter Beginn dazu, nicht mehr.
(3.)Es fehlt in den Bewertungen wie vor allem in den Schlussfolgerungen an vergleichbarer Systematik und Tiefe. Hinsichtlich der Schlussfolgerungen formuliert der Untersuchungsausschuss geradezu eine Leerstelle. Auf Seite 873 des vorläufigen Abschlussberichts vom 22. August 2013 heißt es: Die Mitglieder des Ausschusses sind über viele Fragen, die sich im Zusammenhang mit dem Untersuchungsauftrag stellen, unterschiedlicher Auffassung, so etwa beim Verfassungsschutz oder dem Einsatz von V-Personen. Was anschließend als Empfehlungen für den Bereich der Polizei, der Justiz, der Verfassungsschutzbehörden und der Vertrauensleute der Sicherheitsbehörden formuliert wird, sind oft Kleinstkorrekturen, die für sich zum Teil von Bedeutung sind, aber keine Konsequenzen aus der Analyse des Versagens des Bundesamts in Personal, Struktur und Mentalität sein können. Es wäre deswegen verantwortungslos, wenn man so täte, als ergäben sich die fälligen Konsequenzen und als sei das, was das Bundesamt angeblich an Reformschritten getan habe, auch nur annährend zureichend.
Es ist vielmehr die Problematik eines Geheimdienstes, das sich zu einem Paralleluniversum entwickelt hat und von sich annimmt, dies geschehe im Namen des Staatswohls. An zentralen Orten der am meisten radikalen, am meisten gewalttätigen Gruppen und Organisationen waren V Leute platziert, die nicht nur die Mordserie nicht verhindert haben, sondern wie im Falle eines Thüringer V Manns, den Thüringer Heimatschutz und nachfolgend auch das Trio massiv unterstützt haben. Dies gilt auch für ähnliche Terrorakte im Umkreis von Sebastian S. in Nordrhein-Westfalen.
(4.)Es ist zu hoffen, dass dies öffentlich ernsthaft debattiert wird, die dazu nötigen Untersuchungen auch durch Untersuchungssauschüsse stattfinden und es eine politische Reformkonstellation gibt, die die Ursachen der schweren Beschädigung der Sicherheitspolitik in Deutschland im Sinne einer Reform, die diesen Namen verdient, angeht. Trotz der nun unvermeidlichen wahlkampfbedingten Polarisierung lohnt es sich, für eine parteiübergreifende Koalition einzutreten, die eine grundlegende Reform der Sicherheitsarchitektur will und dies auch durch entsprechende reformfähige Architekten beweist.
Hajo Funke und Lutz Bucklitsch