© Camino Filmverleih GmbH / “Cäsar muss sterben”-Regisseure Paolo & Vittorio Taviani
Über achtzig Jahre alt und noch kein bisschen müde vom Filme machen. Und offenbar sollten sie damit auch so schnell nicht aufhören. Auf der 2012er Berlinale erhielten die italienischen Regisseure Paolo und Vittorio Taviani den Goldenen Bären für ihren Film „Cäsar muss sterben“ („Cesare Deve Morire“). Die Besonderheit ist nicht nur, dass es um eine Gruppe von Häftlingen in dem Rebibbia Hochsicherheitsgefängnis geht, die sich an einer Aufführung von William Shakespeares Julius Cäsar probieren, sondern auch, dass es sich bei den Darstellern um wahrhaftige Sträflinge handelt.
Paolo und Vittorio Taviani werfen ihre Zuschauer direkt an das Ende ihrer Geschichte ohne die Pointe vorweg zu nehmen, die am wahren Ende als eine einzige Drehbuchzeile formuliert wird. Hier aber beginnt alles mit Brutus, wie er Reue zeigt, sich den Verrat an Cäsar nicht entschuldigen mag. Das ist natürlich nur ein Theaterstück, die Protagonisten stehen auf der Bühne und empfangen ihren Applaus nach der vollendeten Vorführung. Dann kommen die Wärter, nehmen sie in Gewahrsam und führen sie ab. Sie alle gehören in den Hochsicherheitstrakt eines Gefängnisses. Die Taten dieser Männer bleiben derweil recht irrelevant, vielmehr steht ihre Begeisterung für die bevorstehende Aufführung im Mittelpunkt. Denn nach dieser Eröffnung springt der Film sechs Monate zurück, zeigt wie aus den Sträflingen eine Theatergruppe wird. In den Castings müssen sie weinen und wütend sein – schon hier offenbart sich die immense Ambivalenz dieser Menschen, auf der einen Seite die vorurteilsbehafteten, stämmig groben Häftlinge, auf der anderen Seite passionierte Schauspieler, die sich in ihre Rollen verlieben. Vielleicht sind die von ihnen gespielten Rollen auch eine Fluchtmöglichkeit, durch das Theater müssen sie nicht länger sie selbst sein, wenig verwunderlich wenn der Cäsar-Darsteller dann in einer Robe gekleidet über den Gefängnishof schreitet.
Brutus (Salvatore Striano) & Cäsar (Giovanni Arcuri)
Doch bevor es soweit kommt, darf der Zuschauer dabei zusehen, wie diese Menschen alles dafür tun, die ersehnten Rollen zu bekommen. Offenbar hat niemand ein Problem damit, sich der möglichen Lächerlichkeit preis zu geben, sie alle wirken wie ausgekochte Profi-Schauspieler. Es folgt die Rollenverteilung und die erste Probe; der Film interessiert sich für die Umsetzung, weiterhin agieren die Schauspieler in den Rollen, nie wird innerhalb ihrer Welt über die Straftaten gesprochen, der Zuschauer erfährt nur über kurze Einblendungen am unteren Bildrand, weswegen sich diese Menschen hinter Gittern befinden. Die, die das Gesetz nicht beachtet haben, die sich durch Mord, Drogenhandel oder andere illegale Tätigkeiten in Verruf gebracht haben, spielen den Shakespeare-Klassiker Julius Cäsar, in dem der Verrat von Brutus an dem römischen Herrscher thematisiert wird. Verrat und Mord. Ein Kontrast von wahrem Leben und Theaterbühne auch auf der Ebene der Geschichte, vermutlich können sich die Sträflinge gerade deswegen so gut in ihre Rollen einfinden, weil es so viele Parallelen zu ihren eigenen Persönlichkeiten gibt.
Diese Verinnerlichung wirkt teilweise manisch, merkwürdig und verwirrend, weiß man als Zuschauer nicht immer genau, was dort gerade vor sich geht. Das ist nichts schlechtes, ganz im Gegenteil, ein Kammerspiel von einem Gefängnis-Drama ausgehend, bei dem die Inszenierung irgendwo zwischen realgetreuer Umsetzung und moderner Nacherzählung rangiert. In schwarz/weiß gehalten erwirkt die technische Umsetzung eine ebensolche Ambivalenz wie die Charaktere und die Handlung, erscheint düster trist, obgleich die Personen Spaß an ihrer Sache finden. Doch in dem Moment, als die Liebe zur darstellenden Kunst erkannt wird, ist es schon zu spät für einen jeden Darsteller, dann nämlich sind sie zu wahren Gefangenen geworden. Wo sie sich früher frei fühlten, sich unbewusst ein Zuhause geschaffen hatten, ist die Kenntnis über diese andere Welt die wirkliche Gefangenschaft im Geiste.
„Cäsar muss sterben“ zersplittert die Welt: der brutale Sträfling und der talentierte Darsteller, die grausame Realität und die Künstlichkeit des Spiels. Dabei ist der Zuschauer gefordert selbst zu entscheiden, wo er sich gerade befindet. Eines sollte jedoch klar sein. Hier wird eine Form der Beobachtung betrieben, die kein Happy End vorsieht. Wenn der Vorhang fällt, werden die Straftaten der Insassen nicht vergessen sein, hier gibt es keine vorzeitige Entlassung wegen guter Führung – nicht einmal wegen guten Schauspiels. Aber alles was zwischen dem Auf- und wieder Abschließen der Zellen spielt, ist dennoch ein faszinierend inszeniertes Stück Leinwand-Theater.
Denis Sasse
“Cäsar muss sterben“