Haftbefehl gegen Gaddafi

Am 27.06.11 wurde bekannt, dass der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag Haftbefehl gegen Muammar al-Gaddafi sowie dessen Sohn und Schwager erlassen hat. Den dreien werden Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen, darunter Morde an Zivilisten, Folter, die Verfolgung unschuldiger Menschen und die Organisierung von Massenvergewaltigungen zur Abschreckung der Bevölkerung.
Wahrscheinlich werden die meisten meiner Leser darin überstimmen, den Haftbefehl schnellstmöglich zu vollstrecken und Gaddafi und seine Bande vor ein ordentliches Gericht zu stellen, damit sie ihre gerechte Strafe erhalten. So muss in Zukunft immer mit Diktatoren umgegangen werden.
Ich bin anderer Meinung. Ich bin dafür, den Begriff Menschlichkeit viel weiter zu fassen. Dazu ist es notwendig, den Fokus zu erweitern. Rückblende ins Jahr 2004. Am 27.04. empfängt der britische Premierminister Tony Blair den libyschen Revolutionsführer. Später liefert der britische Rüstungskonzern General Dynamics Kommando- und Kontrollsysteme im Wert von 165 Millionen Dollar an das nordafrikanische Land, die Verträge wurden wahrscheinlich anlässlich dieses Besuches abgeschlossen. Sprung ins Jahr 2007. Am 10.12. empfängt der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy den Diktator zu einem fünftägigen Staatsbesuch. Gaddafi wohnt in dieser Zeit (zumindest vorübergehend) in einem Beduinenzelt in der Nähe des Elysée-Palastes. Sarkozy nutzt die Gelegenheit, um Verträge zur Lieferung von u.a. Kampfflugzeugen, Hubschraubern und einem Atomkraftwerk abzuschließen.
Jetzt stellt sich die Frage, warum Gaddafi wegen seiner Verbrechen verfolgt wird, nicht aber seine Unterstützer Blair und Sarkozy? Auch da ließe sich eine juristische Handhabe finden, beispielsweise Bildung und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung. Unhaltbar? Keineswegs. Gaddafi ist seit 1969 an der Macht. Während all dieser Zeit hat er Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen. Beispiel: 1996 sind bei der Niederschlagung einer Revolte im Gefängnis von Abu Salim vermutlich mehr als 1000 Häftlinge erschossen worden (Quelle: Isabelle Werenfels, Qaddafis Libyen, Stiftung Wissenschaft und Politik 2008). Blair und Sarkozy waren zwar gewiss nicht über alle Einzelheiten des Gaddafi-Regimes informiert, sie wussten aber, dass er sich als brutaler Diktator gebärdete. Auch wenn er zwischenzeitlich dem internationalen Terrorismus abschwor, so hat er den Terror gegen sein eigenes Volk stets aufrechterhalten.
Nun soll in diesem Blog keine Polemik verbreitet werden. Ich möchte nicht den Eindruck erwecken, Blair und Sarkozy hätten eine Teilschuld an dem, was in Libyen geschah und noch immer geschieht. Es gibt keine Schuld, niemand ist schuld an irgendetwas. Viel wichtiger ist mir, dass erkannt und verstanden wird, was die tieferen Ursachen dieses Verhaltens sind und wie man es abstellen kann. Dazu ist es sinnvoll, eine weitere Frage zu stellen: War das Verhalten von Blair und Sarkozy vernünftig? Die Antwort kann nur nein lauten, denn menschliches Verhalten basiert nicht auf Vernunft, sondern auf Gefühlen. Ich habe dieses Grundprinzip ausführlich in meinem Buch "Die Fischnetz-Theorie" erläutert (weitere Informationen unter www.elkvonlyck.de). Auch das Verhalten der beiden europäischen Staatsmänner untermauert meine These. Die meisten Menschen tragen eine Vielzahl von Ängsten mit sich herum. Man kann Blair und Sarkozy die Furcht unterstellen, nicht wiedergewählt zu werden. Dafür gab es Gründe, z.B. die Arbeitslosenquoten in ihren Ländern und das geringe Wirtschaftswachstum. Was tut man, um die Wirtschaft anzukurbeln? Man fördert die Exporte. Wie praktisch, wenn gerade ein Diktator im Land ist, der seine Armee aufrüsten möchte.
Welchen Ausweg kann man nun aus der Situation finden? Sicher nicht den, für den sich Sarkozy und Blairs Nachfolger Cameron entschieden haben, nämlich bei nächster Gelegenheit Krieg gegen das diktatorische Regime zu führen. Damit schafft man vielleicht das Problem Muammar al-Gaddafi aus der Welt - aber nur solange, bis irgendwo der nächste Gaddafi auftaucht. Wir müssen unser Verhalten grundlegend ändern. Und das ist gar nicht so kompliziert. Es reicht, wenn wir den einen Grundsatz befolgen, den ich in meiner Ethik beschrieben habe: Wir müssen immer allen Menschen Gutes tun. Das bedeutet im konkreten Fall: Keine Waffen und Munition an einen Diktator verkaufen. Stattdessen zivile Güter liefern. Auch mit Sonnenkollektoren und Meerwasserentsalzungsanlagen kann man viel Geld verdienen. Nicht den Diktator hofieren, stattdessen die Opposition stärken. Im Konfliktfall vermitteln, nicht gleich bombardieren. Dem Diktator Asyl in einem Drittland anbieten, auch wenn er dann seiner "gerechten" Strafe entgeht. Immerhin bleibt es dadurch Zehntausenden Menschen erspart, verletzt oder getötet zu werden.  
Das alte imperiale Motto lautete: Mal beliefern wir sie mit Bomben, und mal bewerfen wir sie mit Bomben!
Das neue universelle Motto muss lauten: Menschlichkeit für alle!

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