Das Nuklearsicherheitsinspektorat ENSI führt am 4. September ein «öffentliches Forum» durch. Vielleicht würden die Verantwortlichen vorher besser noch ein wenig Habermas lesen.
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Ich habe ihn gehasst, diesen Jürgen Habermas. «Strukturwandel der Öffentlichkeit» hiess der Schunken, den Professor Stark selig uns Erstsemester-Studis von der allerersten Stunde an zumutete, und die meisten von uns schlugen sich mehr schlecht als recht durch die Lektüre. Professor Stark erläuterte uns damals, wie nach Habermas’ Theorie alle gesellschaftlichen Gruppen am öffentlichen Diskurs teilnehmen können sollten. Wie es in diesem Diskurs keinen Zwang ausser das bessere Argument geben soll. Und er erklärte uns, wie ein öffentlicher Diskurs auch die Politik legitimiert.Wie gesagt: Ich fand das Ganze etwas mühsam.
Nun, Jahrzehnte später, bin ich versucht, das Buch noch einmal auszugraben. Denn auf geradezu wundersame Weise vermischen sich schon seit einiger Zeit meine längst hinter mir geglaubten studentischen Mühen mit meinem Brotberuf. Der Grund dafür sitzt – wieder einmal – an der Industriestrasse 19 in Brugg. Daselbst soll am 4. September ein «öffentliches Forum» stattfinden, organisiert vom Nuklearsicherheitsinspektorat ENSI. Thema: «Massnahmen aufgrund der Erkenntnisse aus Fukushima».
Ok, dachte der Journalist in mir, als er die Einladung erhielt. Darüber kann man tatsächlich diskutieren. Und wenn dies öffentlich geschieht, umso besser. Ein zweiter Blick auf die Einladung liess mich jedoch stutzen, denn von der Öffentlichkeit war dort keine Rede mehr. Das breite Publikum darf am «öffentlichen Forum» nur indirekt teilnehmen: Während zehn Wochen (von denen die meisten in die Sommerferien fielen) durften interessierte Bürgerinnen und Bürger Fragen auf einer eigens eingerichteten Plattform im Internet Fragen zu Fukushima und den Folgen für die Schweiz stellen. Zum Forum eingeladen werden die Fragesteller jedoch nicht, und auch ihre Anliegen sollen nicht diskutiert werden. Die Antworten erhalten sie schriftlich via ENSI-Website.
Immerhin: Wenn am 4. September Bundesrätin Doris Leuthard und ENSI-Direktor Hans Wanner ihre Eingangsvoten gehalten haben, soll tatsächlich noch diskutiert werden. Allein die Liste der Podiumsteilnehmer zeigt jedoch, dass die Diskussion doch nicht allzu kontrovers werden soll. Dabei sein werden CVP-Nationalrat Stefan Müller-Altermatt (der kürzlich in einem Vorstoss mehr Kompetenzen für das Ensi gefordert hat), der Däniker Gemeindepräsident und AKW-Befürworter Gery Meier, Swissnuclear-Präsident Stephan Döhler und Georg Schwarz, der Vizedirektor des Ensi. Als einziger Vertreter einer atomkritischen Organisation darf Greenpeace-Mann Kasper Schuler in der netten Plauderrunde mittun.
Quasi als Vertreter der ausgeschlossenen Öffentlichkeit sind Medienschaffende eingeladen. In einem Brief an die Teilnehmer stellt das ENSI jedoch auf für Journalistinnen und Journalisten Verhaltensregeln in Aussicht: Sie sind als «Beobachter» zugelassen, Fragen während der Podiumsdiskussion sind nicht vorgesehen. Einzig am anschliessenden Stehlunch kann man welche stellen.
Nicht wahr, Herr Habermas, so war das mit der Öffentlichkeit nicht gemeint?