Habemus Bundespräsidentem – mein Kommentar zur Wulff-Wahl

Ich twitterte nach der Bundespräsidentenwahl: “Ich wünsche dem neuen Bundespräsidenten Weisheit und Einsicht, und Lehrer, die ihm das vermitteln.” Man sieht, dass ich nicht zufrieden mit der Wahl von Christian Wulff bin. Das ist aber normal in einer Demokratie. Nicht normal ist jedoch, wie solche Entscheidungen, die alle Bürger betreffen, gefällt werden, wie Missbrauch mit den Zeremoniellen und Arbeitsweisen eines demokratischen Staates getrieben wird. Darum dieser Kommentar, der am 2. Juli 2010 auch auf ohrfunk.de veröffentlicht werden wird.Christian Wulff ist der neue Bundespräsident. Über diese Wahl gäbe es viel zu sagen, und irgendwie auch wieder gar nichts. Das ist die erschreckende Wahrheit über die Schmierenkomödie, die am Mittwoch den ganzen Tag über die Bildschirme flackerte. Sogar im public viewing konnte man die Bundesversammlung verfolgen: Wie peinlich, dass sowohl in Hamburg, als auch in Berlin höchstens 10 bis 15 Leute da waren und für eine Weile stehen blieben.

Trotzdem, und damit beginnt das eigentliche Drama, sprechen die Medien von Wahlkrimi. So sehr waren sie mal wieder auf Spannung, Unterhaltung und Action aus, dass sie einem von der Satirezeitschrift Titanik geschaffenen Twitteraccount auf den Leim gingen. Kurz vor Ende des ersten Wahlganges twitterte der Account mit dem Namen “MartinaGedeck” sinngemäß, Wulff werde es im ersten Wahlgang schaffen. Schon stürzten sich die sogenannten Qualitätsjournalisten auf diese Meldung, denn Martina Gedeck, die Schauspielerin, war für die Grünen Mitglied der Bundesversammlung. Eine einfache Überprüfung der Herkunft der Nachricht hätte genügt, um den Schwindel zu entlarven: Die Nachricht wurde, das kann man sehen, über das Webportal von Twitter veröffentlicht, aber in der Bundesversammlung waren Laptops verboten. Nur über ein Handy wäre es möglich gewesen. Aber die Qualitätsjournalisten vermieden gründliche Recherche zugunsten der schnellen Sensationsnachricht. Ein deutliches Zeichen für den Verfall der sogenannten vierten Gewalt im Staat.

So muss man auch die Aussage vom Wahlkrimi kritisch betrachten. Sicher: Die Tatsache, dass Christian Wulff weder im ersten, noch im zweiten Wahlgang die notwendige absolute Mehrheit erhielt, hat viele zunächst überrascht. Denn nach dem anfänglichen Bröckeln der Front in der mit einer komfortablen Mehrheit ausgestatteten Koalition hatte sich in den letzten Tagen die Situation doch wieder beruhigt, und alle, einschließlich der Köche und Servierer auf der Fraktionsebene des Reichstagsgebäudes, rechneten mit einer schnellen Bundesversammlung zum abhaken. Doch der Sieg Wullfs im dritten Wahlgang mit einer absoluten Mehrheit, die er zu diesem Zeitpunkt schon gar nicht mehr gebraucht hätte, und eine Aussage von Bundeskanzlerin Angela Merkel vor der Presse entlarvten auch diese scheinbar so spannungsgeladene Bundesversammlung als reines Polittheater. “Jetzt hatten wir das Serbienspiel”, erklärte Merkel, “nun kommt das Englandspiel”. Und genau so kam es. Plötzlich, als es darauf ankam, stand die Koalition mit der notwendigen Mehrheit, wenn auch nicht völlig geschlossen, zu Wulff. Und sollte noch irgendjemand geglaubt haben, Mitglieder der Bundesversammlung seien nur ihrem Gewissen verpflichtet, wie es im Grundgesetz steht, so sollte er sich vergegenwärtigen, was Roland Koch, noch Ministerpräsident in Hessen, zu den Unionsabgeordneten vor dem dritten Wahlgang sagte: Er respektiere abweichende Meinungen, aber die Wahlfrauen und Wahlmänner sollten sich nun ihrer immensen Verantwortung, die ihre jahrzehntelang gewachsene Existenz als Berufspolitiker mit sich bringe, bewusst werden. Deutlicher kann man Fraktionszwang nicht ausüben, Fraktionsdisziplin nicht einfordern. Die befürchtete Zitterpartie des Unionskandidaten Wulff hat denn auch dazu geführt, dass es viel weniger Prominente von außerhalb des Politzirkus in der Bundesversammlung gab. Diese könnten nämlich, so fürchtete die Koalition, wirklich ihrem Gewissen gehorchen und den im Volk beliebten Joachim Gauck wählen, sie wären nicht dem politischen Druck unterworfen, bei der nächsten Wahl von ihrer Partei nicht mehr aufgestellt zu werden. Darum wimmelte es im berliner Reichstag auch von alternder Politprominenz und kaum bekannten Provinzapparatschiks. Und schon vor dem dritten Wahlgang, als die Linken-Kandidatin Luc Jochimsen ihre Kandidatur zurückzog, wusste Jeder: Der Wulff machts. Warum also drei Wahlgänge?

Um dies zu verstehen, muss man tief in den Matsch politischer Diplomatie und öffentlicher Zeichen greifen und das Geschacher um einen Vorgang offenbaren, der eigentlich zu den feierlichsten Anlässen einer echten Demokratie gehören sollte. In der Union und der FDP gab es natürlich Abgeordnete und auch Landesverbände, die mit der Regierungspolitik und dem Führungsstil der Kanzlerin nicht einverstanden waren und sind. Die taktisch geschickte Nominierung des ehemaligen DDR-Bürgerrechtlers Gauck durch SPD und Grüne erlaubte es diesen Kritikern, Angela Merkel ihre Unzufriedenheit kund zu tun, ohne freilich die Machtbasis der Regierung tatsächlich in Frage zu stellen. Denn weil die Linke mit einer eigenen Kandidatin antrat, konnte Gauck selbst bei Zustimmung durch unzufriedene Koalitionäre im ersten Wahlgang auf keinen Fall die notwendige absolute Mehrheit erhalten. Als bekannt wurde, dass Jochimsen auch im zweiten Wahlgang antreten würde, wiederholten diese Unzufriedenen ihre leise, wenn auch deutliche Attacke auf die Koalitionsführung. Möglicherweise war diese Aktion, so munkeln einige FDP-Abgeordnete, von der CSU-Spitze gesteuert. Ich selbst könnte mir sogar vorstellen, dass sie mit Angela Merkel abgesprochen war. Denn als Luc Jochimsen im dritten Wahlgang ihre Kandidatur zurückzog und die Kanzlerin vom bevorstehenden Englandspiel sprach, kehrten genug Unzufriedene in die Koalitionsreihen zurück, um die Worte Merkels zu bestätigen und Wulff die Absolute Mehrheit zu bescheren.

Im besten Falle war das Wahltheater also eine Warnung an die Bundesregierung und Kanzlerin Merkel aus den eigenen Reihen. Ich halte es aber auch für denkbar, dass man sich bei der Bundesregierung entschied, dem im Volk beliebten Gauck einen Achtungserfolg zu gewähren, auch um die Gemüter zu beruhigen, die in Wulff völlig zurecht einen Parteikader sehen, der kaum in der Lage sein dürfte, auf die starke Spaltung in der Bevölkerung angemessen zu reagieren. Zu gut ist zum Beispiel den blinden Menschen in Niedersachsen noch die vorübergehende Streichung des Landesblindengeldes im Gedächtnis, die Wulff zu verantworten hatte. Sollte dieses drei-Gänge-Menü in der Bundesversammlung also tatsächlich ein abgekartetes Spiel gewesen sein, so darf es absolut niemanden mehr wundern, dass die Menschen sich enttäuscht, verdrossen und gelangweilt von der Politik abwenden oder Parteien ihre Stimme geben, die einen radikalen Wechsel versprechen.

Eine dieser Parteien allerdings hat bei den politisch realistischen Kräften links von der Mitte ihre Sympathien teilweise verspielt, bei mir jedenfalls vollkommen. Die Linkspartei. Dass diese Partei, die Christian Wulff als Bundespräsident verhindern wollte, nun durch ihre Enthaltung im dritten Wahlgang und die Verweigerung, Joachim Gauck zu unterstützen, Wulff ins Amt gebracht hat, ist nur ein Teil der Wahrheit. Schlimmer sind die Motive, weshalb man Gauck für nicht wählbar hielt: wegen seiner Tätigkeit als Leiter der Stasi-Unterlagenbehörde und wegen seines Friedens- und Menschenrechtsengagements zu DDR-Zeiten. Es ist enttäuschend, dass diese Partei nicht einmal im Ansatz ihre SED-Vergangenheit überwinden kann.

Deutschland hat nun also genau den Präsidenten, den es verdient. In einem Land, in dem sich das Volk durch eine selbstverliebte politische Klasse spalten und mit billigen Vergnügungen wie würdelosen Fernsehshows von Dieter Bolen oder Büchern von Eva Herman abspeisen lässt, in dem ein ungerechtes Sparpaket gegen die Armen der Bevölkerung nur müde 20 Menschen auf die Straße bringt, eine Fußballweltmeisterschaft aber 30 Millionen vor die Bildschirme, und in dem Demokratie in der lästigen Pflicht besteht, alle paar Jahre sein Kreuzchen zu machen, wo man doch viel lieber zuhause am Computer säße und Ballerspiele spielte, in einem solchen Land ist es auch kein Wunder, dass ein relativ junger, wirtschaftskonservativer Parteibürokrat zum Staatsoberhaupt gewählt wird. Gerade auch – oder weil – der Volksnahe Präsident mit Idealismus und dem Willen zum Neuanfang an seiner eigenen Dünnhäutigkeit und dem Gegenwind aus der politischen Klasse gescheitert ist.


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