Warum lasse ich mich auch stets von “Meinem” und dem Au-Pair derart beschwatzen? Eigentlich hatte ich ja im Stillen beschlossen, dass ich meinen grauen Haaransatz ignorieren würde, auch wenn Luise ihn ganz schrecklich findet und ich zudem heute an der Lesung und morgen bei meiner ersten Moderation in der Kirche eigentlich ganz gerne einigermassen passabel ausgesehen hätte. Mit diesem Entscheid konnten sowohl mein Zeit- als auch das Familienbudget sehr gut leben, aber “Meiner” und das Au-Pair wollten nichts davon wissen und klopften mich so lange weich, bis ich heute Morgen ratlos vor dem Regal mit den Haartönungen stand und mir überlegte, ob ich mir das wirklich antun sollte. Es ist Ewigkeiten her, seitdem ich mir meine Haare zum letzen Mal getönt habe und ich bin mir sicher, dass es irgend einen Grund dafür gab, dass ich damit aufgehört habe. Ich vermute, es hat etwas mit meiner Taufe im zarten Alter von siebzehn Jahren zu tun. Als ich damals aus dem Wasser stieg, rann mir die mahagonifarbene Haartönung, die ich nachmittags nicht gut ausgewaschen hatte, über das Gesicht und weiter über den sündhaft teuren Pullover, den ich mir von meiner Schwester geborgt hatte.
Das Angebot im Laden war nicht gerade überzeugend und so machte ich mich wieder aus dem Staube mit dem festen Entschluss, dass ich mir die Haare heute nur tönen würde, wenn ich irgendwo diese Tönung auf Hennabasis, die ich neulich gesehen habe, auftreiben könnte. Konnte ich aber bei uns im Dorf nicht und weil “Meiner” sich inzwischen so sehr auf das Projekt “passabler Haaransatz auf dem Kopf meiner Frau” versteift hatte, kehrten wir am Ende mit einer furchterregend aussehenden Packung leuchtend roter Haarfarbe nach Hause. “Meiner” hat ja versucht, mir etwas Dezenteres aufzuschwatzen, aber ich will nicht riskieren, dass mir meine kleinen Zuhörer wieder vorhalten, auf dem Einladungszettel hätte ich aber eine andere Haarfarbe gehabt.
Und jetzt sitze ich also da, eine Stunde bevor der Bus mich zum Veranstaltungsort bringen soll, auf dem Kopf eine karottenfarbene Schmiere, noch keine Idee, was ich denn überhaupt anziehen werde, mit noch nichts im Magen und mit einer riesigen Angst vor dem Resultat, das mich erwartet, wenn ich die Schmiere vom Kopf abgewaschen habe. Und wieder einmal habe ich eine lebensverändernde Erkenntnis mitzuteilen: Coiffeurbesuche sind schlimm. Sich die Haare selber tönen ist schlimmer. Und darum werde ich beim nächsten Mal, wenn “Meiner” und das Au-Pair mich bearbeiten, hart bleiben. Und jetzt gehe ich mal schauen, ob ich das Haus überhaupt noch verlassen darf, oder ob ich die Lesung in letzter Minute absagen muss.