Gutschein für einen Mann

Für ihren Urlaub in Paris bekommt Jana ein ganz besonderes Geschenk von ihren Freundinnen. Eine Überraschung, die sie wütend macht. Doch dann siegt ihre Neugier - und sie stürzt sich in ein Abenteuer, dessen Ausgang sie nicht kennt …
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Jana Heller drückte dem Hoteldiener ein Trinkgeld in die Hand, schloss die Tür hinter ihm und seufzte zufrieden. Eine Woche wohlverdienter Urlaub in Paris lag vor ihr. Sie holte den Umschlag aus ihrer Tasche, den ihre Freundinnen Carmen und Birgit ihr mit dem absoluten Verbot, ihn vor ihrer Ankunft zu öffnen, auf dem Flughafen überreicht hatten. Er enthielt eine Karte und eine Broschüre. Auf der Karte stand in grossen Buchstaben: “Gutschein für einen Mann.” Dann folgte in Birgits ordentlicher Lehrerinnenschrift: “Du hast richtig gelesen. Wir schenken dir einen Mann für sechs Stunden. Er heisst Mark, ist 32 Jahre alt und wartet am Sonntag um elf Uhr an der Bar des Hotel Ritz auf dich. Er sieht toll aus (siehe angekreuztes Foto) und interessiert sich wie du für Kunst. Und er spricht Deutsch. Bitte, geh sorgsam mit ihm um, er war nicht ganz billig. Und vor allem: Erzähl uns haargenau, wie es war!”
Aus der Broschüre entnahm Jana entgeistert, dass es sich um eine Pariser Agentur handelte, die Escort-Boys vermittelte. Ihre beiden besten Freundinnen hatten oft hirnverbrannte Ideen, aber diese hier schlug entschieden dem Fass den Boden aus. Stellten sie sich wirklich vor, dass sie mit einem Gigolo durch Paris ziehen würde? Das sollte wohl ein Witz sein! Empört stopfte sie alles zurück in den Umschlag. Carmen und Birgit würden etwas von ihr zu hören bekommen! Jetzt hatte sie aber erst einmal Hunger. Sie zog sich um und machte sich auf die Suche nach einem Restaurant.
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Am nächsten Tag war Sonntag. Bewundernd stand sie vor der prächtigen Opéra Garnier. Von dort aus wollte sie direkt zum Louvre gehen, verirrte sich aber in die vornehme Rue de la Paix. Und plötzlich lag der weite Platz Vendôme mit seinen schönen Häuserfronten, der Siegessäule - und dem Hotel Ritz vor ihr. Es war zehn nach elf. Wo sie schon mal hier war, sollte sie diesem gemieteten Mann wenigstens Bescheid sagen, dass sie seine Dienste nicht in Anspruch zu nehmen gedachte. Jetzt bedauerte sie, dass sie sich sein Foto nicht genauer angesehen hatte. Hoffentlich erkannte sie ihn.
Bewundernde Männerblicke folgten ihr, als sie in ihrem schicken Kostüm die Halle des Luxushotels durchquerte. In der Tür zur Bar blieb sie stehen. Ein gutgekleideter Mann an der Theke, der aufmerksam den Eingang beobachtete, stand auf und kam ihr lächelnd entgegen: “Guten Tag, Jana, ich bin Mark”, sagte er auf Deutsch.
Aufgerüttelt stellte sie fest, dass er geradezu umwerfen gut aussah mit seinem Grübchen im Kinn, den dunklen Haaren und den strahlend blauen Augen. Und mindestens zehn Zentimeter grösser als sie war er auch. Perplex stotterte sie: “Woher … woher wissen Sie …”
Er grinste nett: “Ich habe Ihre Beschreibung erhalten. Blonde, schulterlange Haare, grüne Augen, etwa 1.70 Meter gross, schlank, langbeinig und ausgesprochen hübsch. Stimmt alles.”
Ehe sie protestieren konnte - und wollte sie das überhaupt noch? - führte er sie zur Theke. Als er leicht unter ihren Ellenbogen griff, durchrieselte sie ein angenehmer Schauer.
“Was trinken Sie?” erkundigte er sich.
“Ein Glas Champagner, bitte.” Wenn schon, denn schon, fand sie.
Er gab sie Bestellung auf französisch an den Barkeeper weiter. Jana hatte fast vergessen, wie schön es war, wenn ein Mann diese Dinge übernahm. Als das Gewünschte vor ihnen stand, hob Mark sein Glas: “Ich freue mich, mit Ihnen hier zu sein, Jana. Sie sind doch einverstanden, wenn wir uns bei unseren Vornamen nennen?”
Sein Vorschlag war ihr recht. Und das Vergnügen, in Marks Gesellschaft zu sein, wuchs von Minute zu Minute. Dieser Mann war nett und gebildet, er hatte Charme, Humor und ausgezeichnete Manieren.
“Wo möchten Sie denn zu Mittag essen?” erkundigte er sich schliesslich.
“Das überlasse ich Ihnen, Mark.”
“Ich kenne ein ausgezeichnetes kleines Restaurant ganz in der Nähe. Wir können zu Fuss dorthin gehen.” Dann bat er sie, ihn einen Augenblick zu entschuldigen.
Als er zurückkam, fragte sie leise: “Könnten Sie bitte die Rechnung für mich verlangen?”
“Schon erledigt”, gab er ebenso leise zurück.
Sie konnte sich nicht vorstellen, dass diese Art Nebenkosten im Preis inbegriffen waren. Vielleicht bezahlte Mark jetzt, liess sich aber die Auslagen später zurückerstatten? Sie wollte ihn fragen, aber Mark lachte sie an und wollte, dass sie aufbrachen.
Das Essen war vorzüglich, und der gute Wein lockerte Janas Zunge. Sie gestand ihm, dass sie ihn eigentlich nicht hatte treffen wollen: “Sie wissen sicher, dass Sie ein Geschenk meiner beiden Freundinnen sind? Ich fand es reichlich seltsam.”
Er lachte. “Sie haben gedacht, ich sei ein Gigolo, stimmt’s? Trösten Sie sich, das tun viele.”
“Was ist denn ein Escort-Boy? Und wer nimmt seine Dienste in Anspruch?” Jana wollte es jetzt ganz genau wissen.
“Ein Escort-Boy ist ein Mann, der für einige Stunden die Rolle eines Begleiters übernimmt. Unsere Kundinnen sind meistens Karrierefrauen, die gewollt oder ungewollt keinen Mann in ihrem Leben haben, aus verschiedenen Gründen aber nicht allein zu einem mehr oder weniger offiziellen Anlass erscheinen wollen. Wir können aber auch wie in Ihrem Fall ein Geschenk sein. An eine Freundin, eine Mutter oder sogar eine Grossmutter.”
“Und wie kommt man zu solch einem Beruf?”
“Durch Zufall. Es gibt ihn auch noch gar nicht so lange. Die meisten von uns machen das nebenberuflich. Ich selbst bin Jurist und absolviere dieses Jahr hier in Paris eine Business-School, die mir den Aufstieg ins Management erleichtern soll. Ich finanziere die teure Ausbildung selbst. Wir verdienen gut und können uns unsere Arbeitszeiten aussuchen, denn für mich kommen zum Beispiel fast nur die Wochenenden in Frage, damit mir genügend Zeit für das Studium bleibt.”
“Macht Ihnen die Arbeit denn Spass?”
“Sehr”, versicherte er ernsthaft. “Sie glauben nicht, wieviel ich schon dazugelernt habe. Durch die Frauen und auch über sie.”
“Sind Sie nicht verheiratet?” Die Frage war ihr herausgerutscht, und sie wurde rot. Hastig fügte sie hinzu: “Verzeihen Sie, ich möchte nicht indiskret sein.”
Mark blieb völlig unbefangen: “Nein, ich bin nicht verheiratet. Ich hatte bis jetzt keine Zeit dazu.”
Eine andere Frage brannte ihr auf der Zunge: “Bekommen Sie nie - unmoralische Angebote?”
Er lachte wieder. “Solche Dienste kommen nicht in Frage. Wir sind Begleiter - in allen Ehren. Das ist vertraglich festgelegt.”
Sie erfuhr, dass er Deutscher war, aber, als er jung war, mit seinen Eltern einige Jahre in Paris gelebt hatte. Hier hatte er perfekt Französisch gelernt und auch sein Abitur gemacht. Nach seinem Studium in Deutschland hatte er bis zu seiner Fortbildung in Paris in einem Frankfurter Industrieunternehmen gearbeitet.
Jana ihrerseits erzählte von ihrem Studium, und dass sie sich vor drei Jahren in Hamburg mit einer Werbeagentur selbstständig gemacht hatte, die inzwischen ausgezeichnet lief. “Ich habe wohl auch zuviel gearbeitet. Eine langjährige Beziehung ist darüber in die Brüche gegangen. Bestürzt stellte sie fest, dass sie in diesem Augenblick unfähig war, sich an Hennings Gesicht zu erinnern.
Als die Rechnung kam, wollte Jana sie an sich nehmen, aber wieder kam Mark ihr zuvor. Draussen fragte er: “Was möchten Sie jetzt machen?”
Jana erwiderte, dass sie sich gern die Meister der italienischen Frührenaissance im Louvre ansehen würde. Als sie nachher langsam von Bild zu Bild gingen, staunte Jana über Marks Kunstkenntnisse. “Woher wissen Sie so gut Bescheid, Mark?”
“Ich habe Kunst sozusagen mit der Muttermilch aufgesogen, meine Mutter malt.”
Die Zeit verging wie im Flug. Als Jana endlich auf die Uhr sah, erschak sie: “Die sechs Stunden sind herum!”
“Schon?” Irrte sie sich, oder schwang Bedauern in seiner Stimme mit? “Ich bringe Sie gern bis zu Ihrem Hotel zurück”, bot er ihr an.
“Das ist nett, aber nicht nötig, Mark. Danke für die schönen Stunden.”
“Ich bin es, der Ihnen dankt.” Er nahm sie zum Abschied in die Arme, und sie spürte kurz seine Wange an der ihren. Er roch gut, und die Wange kratzte ein wenig. Tausend Schmetterlinge tanzten auf einmal in ihrem Bauch, aber schon liess er sie wieder los und räusperte sich: “Alles Gute, Jana. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Aufenthalt in Paris.”
“Ihnen ebenfalls alles Gute, und viel Erfolg beim Studium.” Die eigene Stimme kam ihr ganz fremd vor.
Als sie langsam zum Hotel zurück ging, fiel ihr ein, dass sie nicht über das Problem der Nebenkosten gesprochen hatten. Sie entschied, dass Mark wissen musste, was er tat. Denn etwas anderes beschäftigte sie noch viel mehr: Sie hatte sich verliebt. Wie noch nie in ihrem Leben. Nein, auch bei Henning hatte sie nie auch nur annähernd dieses Gefühl gehabt, einen halben Meter über dem Boden zu schweben. Die verwirrende Frage war nur: In wen hatte sie sich verliebt? In den Escort-Boy, der seinen Kundinnen (fast) jeden Wunsch von den Augen ablas und dessen Komplimente sicher im Preis inbegriffen waren, oder den wirklichen Mark? Kannte sie den überhaupt? Womöglich hatte er ihr lauter Lügen aufgetischt, war in Wirklichkeit verheiratet und hatte sechs Kinder. Schluss, befahl sie sich. Ehe ihr Kopf platzte, wollte sie diesen Mark lieber schleunigst vergessen …
Es gelang ihr nicht. Der Rest ihres Urlaubs war von dem Gedanken beherrscht, wieviel amüsanter und schöner alles mit Mark zusammen gewesen wäre! Fast war sie froh, als sie am nächsten Samstag nach Hamburg zurück flog.
Am Dienstag traf sie sich mit Carmen und Birgit in der Stadt. “Na, wie war’s?” fragten ihre Freundinnen einstimmig mit glänzenden Augen.
Jana erzählte und lachte mit ihnen, sorgfältig bemüht, sich nicht anmerken zu lassen, dass sie ihr Herz auf so dumme Art verloren hatte.
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In der nächsten Zeit betäubte sie sich mit Arbeit, aber nachts kehrten die Gedanken an Mark zurück. Mehr als einmal überlegte sie, noch einmal für ein Wochenende nach Paris zu fahren und Mark als Escort-Boy anzufordern, nur, um ihre Gefühle zu überprüfen. Die Furcht, sich lächerlich zu machen, hielt sie davon ab. Ausserdem hatte Mark sicher inzwischen sein Examen gemacht und arbeitete nicht mehr für die Agentur. Aber wo war er dann jetzt?
Fast hätte sie darüber Carmens Geburtstagsparty vergessen. Sie kam zwanzig Minuten zu spät. Die Party war in vollem Gang, die Gäste drängten sich im Wohnzimmer um ihre Freundin. Carmen bedankte sich gerührt über Janas Geschenk, eine lustige Zeichnung von Julio, Carmens kleinen Kater, dann sah sie die Freundin prüfend an: “Was ist denn, Jana? Du siehst aus, als hättest du Halluzinationen.”
“Dieser … dieser Mann da”, keuchte Jana und schaute entgeistert auf die andere Seite des Raums.
“Ach, du meinst Mark?” Carmen lachte über das ganze Gesicht und zog die Freundin rasch in die Küche, wo Birgit gerade Sekt in Gläser schenkte.
“Birgit und ich müssen dir etwas gestehen. Mark ist ein früherer Studienfreund von meinem Vetter Peter. Sie hatten sich aus den Augen verloren, aber über einen gemeinsamen Freund hörte Peter, dass Mark in Paris einen Lehrgang mitmachte und in einer renommierten Agentur als Escort-Boy jobbte. Birgit und ich fanden das wahnsinnig aufregend und haben uns sofort den Katalog kommen lassen.”
“Und dann habt ihr …” Jana konnte es nicht fassen.
“Es passte so gut, dass du gerade nach Paris fahren wolltest. Wir fanden das ganz witzig”, kicherte Birgit.
“Witzig!” Jana holte tief Luft.
“Ja, freust du dich denn nicht, deinen Escort-Boy wiederzusehen?” fragte Carmen. “Gib zu, er sieht toll aus!”
Freuen? Jana hatte weiche Knie und feuchte Hände, und ihr Herz klopfte wie verrückt! Damit ihre Freundinnen nichts von ihrem Zustand merkten, schlug sie einen energischen Ton an: “Wie kommt er denn heute hierher?”
“Er hat letzte Woche Peter angerufen, weil er eine Stelle in Hamburg gefunden hat und eine Wohnung sucht. Peter hat ihn daraufhin zu meiner Party eingeladen. Los, gehen wir rüber zu ihm? Ich möchte zu gern sein Gesicht sehen, wenn er dich erkennt.” Erwartungsvoll rieb Carmen sich die Hände.
Das waren also ihre Freundinnen. War Freundinnen überhaupt das richtige Wort? Jana warf ihnen einen eisigen Blick zu und entschied: “Das mache ich allein.” Worauf sie die beiden einfach stehen liess und mit zittrigen Beinen das Zimmer durchquerte.
“Guten Abend, Mark.” Ihre Stimme hörte sich genauso zittrig an.
Jetzt war es an ihm, sie anzustarren, als sei sie eine Erscheinung: “Jana!”
Es hörte sich an, als sei ihm der Kragen zu eng geworden. Immerhin erinnerte er sich an sie, dachte Jana erleichtert. Und dann kam Leben in ihn. Er schnappte sich zwei Gläser Sekt vom Tablett, das Birgit ihm diensteifrig hinstreckte, reichte eins davon Jana und wollte etwas sagen, aber sie kam ihm zuvor: “Nicht hier, Mark”, raunte sie ihm zu. “Kommen Sie mit in den Wintergarten.”
Hier waren sie wenigstens im Moment allein und ausser Hörweite der Intrigantinnen, sagte sich Jana. Dann dachte sie nicht mehr an Carmen und Birgit. Beide stellten fest, dass sie nicht aufhören konnten zu lächeln. Dann sagte Mark: “Wissen Sie, dass ich Ihretwegen nach Hamburg gekommen bin? Weil ich sie wiedersehen wollte. Und dann musste ich festellen, dass Sie nicht im Telefonbuch stehen. Und den Namen Ihrer Agentur wusste ich auch nicht. Und jetzt sind Sie da! Ich kann’s immer noch nicht fassen. Wenn das kein Schicksal ist …”
“Für meinen Privatanschluss habe ich eine Geheimnummer, und meine Agentur heisst Phönix. Sind Sie wirklich meinetwegen hierhergekommen?” Sie musste es einfach noch einmal hören.
“Wirklich”, erwiderte er ernst. Es hatte ein bisschen gedauert, bis bei ihm der Groschen fiel, denn er hatte nie an Liebe auf den ersten Blick geglaubt. “Ich konnte Sie nicht vergessen, Jana”, fügte er hinzu.
“Ich Sie auch nicht”, gestand sie überwältigt. Welche Rolle ihre Freundinnen in ihrer Geschichte spielten, würde sie ihm später einmal schonend beibringen. Mark hatte genug Humor, um darüber zu lachen. Jetzt wollte sie endlich richtig Bekanntschaft mit ihm machen.
Irgendwann an diesem Abend gingen sie zum ‘du’ über. “Warum siehst du mich so an?” fragte Mark, als sie wieder miteinander tanzten.
“Weil ich herausbekommen möchte, ob es einen Unterschied gibt zwischen dem Escort-Boy und dir.”
“Wie zwischen Doctor Jekyll und Mister Hyde?” fragte er amüsiert. Dann wurde er ernst: “Ich sehe nur einen, aber einen ganz entscheidenden.” Er führte sie wieder in den Wintergarten hinaus und sagte zärtlich nach einem langen Kuss: “Ich bin nicht mehr im Dienst, Liebste.”
ENDE


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