Gute Vorsätze für 2011

Sie sind verkatert. Sie fühlen sich, als hätten Sie die Nacht durchgesoffen und bares Geld in die Luft gejagt. Sie haben das gemacht, weil sich ein winziger Klumpen Dreck irgendwo am Ende der Milchstraße einmal im Kreis gedreht hat.

Man wünscht heute auch ein schönes neues Jahr, obwohl es schon so merkwürdig angefangen hat. Da mache ich sogar mit. Es wäre wirklich gut, wenn Sie nicht so frustriert wären. Das Problem ist, dass bestimmt ganz viele von Ihnen sich wieder mit guten Vorsätzen beladen haben, an die Sie sich eh nicht halten, und dann war es das wieder mit der guten Laune für das Jahr.

Mein Vorsatz: Ich werde nicht mit dem Rauchen aufhören. Mein Land braucht mich, und ich habe schon einen Rahmen angefertigt für die erste Schachtel Zigaretten, für die ich 6 Euro zahlen darf. Als ich anfing, hielt ich 3,85 DM schon für eine Menge Geld für ein Produkt, dass man verbrennt, damit es im Hals kratzt. Vielleicht soilte ich mich nicht ganz so erhaben aufführen gegenüber Leuten, die vielleicht ja auch nur für die friedliche Nutzung von Schwarzpulver demonstrieren. Auf der anderen Seite wäre das schon wieder so korrekt, dass Sie es hassen.

Wie Sie sehen, halte ich mich an einen bundespräsidialen Rat: Ich benutze eine Sprache fern der politischen Korrektheit. Ja, ich übe noch. Und stimmt - Joachim Gauck ist ja garnicht Bundespräsident, aber wenigstens sagt der mal was, dass meine grauen Zellen zumindest ansatzweise stimuliert:

"Er hat über ein Problem, das in der Gesellschaft besteht, offener gesprochen als die Politik“, sagte Gauck dem "Tagesspiegel“. Die politische Klasse könne aus dem Erfolg von Sarrazins Buch lernen, dass "ihre Sprache der politischen Korrektheit bei den Menschen das Gefühl weckt, dass die wirklichen Probleme verschleiert werden sollen“.

aus Welt Online

Soweit ist ihm der Beifall meiner geliebten Mitmenschen sicher - obwohl, Mitmenschen lieben, das ist vielleicht auch schon wieder ein bißchen zu korrekt. Also das zustimmende Grunzen der Säugetiere, die mir die Luft wegatmen und nicht mal niedlich sind? Ja, so kommen wir weiter. Ihnen, meine lieben Zellhaufen, weiß der Bundespräsident außerdem noch zu sagen:

„Es gibt in der Demokratie nicht nur eine Bringschuld der Politik, sondern auch eine Holschuld der Bürger. Wenn Wähler in einer Konsumentenhaltung verharren, anstatt sich für die objektiven Probleme der Allgemeinheit zu interessieren und sich mit den Vorschlägen und Maßnahmen der Politik wirklich auseinanderzusetzen, gerät die Demokratie auf Dauer in Gefahr“, sagte Gauck zum Jahreswechsel in einem Gespräch mit dem Tagesspiegel.

steht so auf tagesspiegel.de

Es ist erstaunlich, was man so alles in einem Interview unterbringen kann - also zum Beispiel zwei Äußerungen, die so gesehen vom Mars und von der Venus kommen. Letzteres würde ich ziemlich rückhaltlos unterschreiben, ich finde sogar, da wäre ein Vorsatz fürs neue Jahr, den Sie sich dringend mal aufschreiben sollten. Wobei ich nicht von einer "Holschuld" der Bürger schreiben würde, sondern ebenfalls von einer Bringschuld.

Wenn Sie Ihre Politiker in einer Demokratie scheiße finden, dann müssen Sie halt selber ran. Und wenn Sie auch nur fünf Tage in einer durchschnittlichen Partei zugebracht haben - und es ist wirklich völlig egal, welche das ist - dann wissen Sie auch, warum das nur Leute durchhalten, die eh in die Politik gegangen sind, weil sie keine Freunde haben. Ich hatte ja mal echt Hoffnung, dass die Piratenpartei diesen Teufelskreis durchbricht - also garnicht erst in Strukturen hineinwächst, in denen man nur mit einem gestörten Sozialverhalten und einem völlig deplatzierten Karrieredenken durchhält. Das hat sich mit dem letzten Jahr dann echt erledigt, aber vielleicht würde schon simple Masse Abhilfe schaffen.

Hier und da ist es zum Beispiel in der SPD in den letzten zwei Jahren so gewesen, dass so wenige der "alten" Mitglieder in der Partei geblieben sind, dass die wenigen neu hinzugekommenen bereits eine Palastrevolution starten konnten - und mich so zum Beispiel von Niels Annen befreiten. Der Nachfolger ist jetzt auch nicht so doll - streng genommen hebt sich der Typ nur dadurch hervor, dass ich ihn garnicht wahrnehme - aber das ist ein Schritt nach vorn. Wenn es Ihnen also nicht passt, dass wir Ihnen derzeit so wenig Profil anzubieten haben, dann treten Sie ein. Bringen Sie zwei Freunde mit. Das reicht mittlerweile für mindestens einen Listenplatz und alle Ämter im Vorstand, die Sie haben wollen. Naja, fast. Und dass Sie keinen Bock darauf haben, ist super: Dann werden Sie sich nicht in die Macht verlieben, eine rare und zugleich unverzichtbare Tugend in diesem Geschäft.

Worauf ich hinaus will: Wenn Sie nicht "die da oben" werden, werden es die, die dringend stattdessen ein Leben bräuchten. Sie müssen ran. Oder Sie müssen lernen, alles toll zu finden. Ansonsten werden Sie sehr unglücklich werden. Und Sie sind schon ziemlich unglücklich. Ich finde, Sie haben sich im letzten Jahr doch spürbar radikalisiert.

Erdrückende Mehrheiten wollen die Probleme, die wir "objektiv haben", nicht mehr lösen, sondern nur noch abschaffen oder zumindest wegschaffen.Sie merken garnicht, auf welchen Weg Sie sich damit begeben. Es werden nicht gröhlende Glatzköpfe sein, die hierzulande die Verhältnisse ändern, auch nicht, wenn sie CDs auf Schulhöfen verteilen. Es werden nicht Leute sein, die Ausländer jagen und Asylantenheime anzünden.

Sie werden es sein. Die sogenannten "Wutbürger". In den letzten Monaten habe ich das Gefühl, Sie warten eigentlich alle nur auf so eine Art Startsignal. Dass jemand "das sagt, was Sie denken", das reicht nicht, es muß auch diesen unangenehmen Geruch loswerden. Sie können sich zwar endlos selbst bescheißen, aber Ihre Nase nicht. So gesehen ist das Programm der NPD - fortan "die Volksunion" - längst für eine große Minderheit, wenn nicht gar eine knappe Mehrheit, durchaus wählbar. Aber dennoch warten Sie auf eine Erlaubnis, auf Absolution, auf jemanden wie "Richter Gnadenlos", erinnern Sie sich? Wenn Sie so jemanden finden, nichts wird Sie mehr davon abhalten, alles zu vergessen, was Sie angeblich in den letzten 70 Jahren gelernt haben, weil Sie eigentlich nur ein echtes politisches Anliegen haben: Sie wollen Ihre Ruhe. Dass Sie genau das Gegenteil kriegen werden, ist eine Pointe, über die ich dann lachen werde, aber von weit weg.

Lassen Sie mich Ihnen noch einen Buchtipp geben: Die "Geschichte eines Deutschen" von Sebastian Haffner. Da geht es zwar um seine zu Lebzeiten nie veröffentlichten Erinnerungen von 1914- 1933, geschrieben kurz vor Ausbruch des zweiten Weltkrieges und eigentlich ein Zeugnis der Hilflosigkeit, weit entfernt von den Qualitäten seiner späteren Bücher. Es ist eine Ansammlung von Pauschalurteilen, Eitelkeiten und befremdlichen Anekdoten, so wie sich meine Biografie in 50 Jahren lesen würde, schriebe ich sie vom heutigen Tage an. Aber Jahr für Jahr kann ich mich mehr mit diesem jungen Sebastian Haffner identifizieren, Jahr für Jahr verstehe ich besser, wie einem ein ganzes Land voller eigentlich vernünftiger Menschen vorkommen kann wie ein Haufen Barbaren, die gerade das Lagerfeuer um den Kochtopf entzünden, in dem ich sitze.

Als Voodoo gegen die "objektiven Probleme", versteht sich.

Reden wir also übers Wetter.

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