„… Selbstverständlich hat ein Sturz der Kanzlerin Nachrichtenwert, auch wenn es sich nicht um einen politischen Sturz handelt, sondern um einen Ausrutscher auf dem Schnee, der zu drei Wochen Schonung zwingt.
Vielleicht hat das „Hinfallen bei niedriger Geschwindigkeit“ (Regierungssprecher Seibert) bei allem Pech aber auch eine gute Seite.
Statt die Probleme auszusitzen kann die Kanzlerin bettlägerig sich endlich einmal von den ständigen Terminzwängen befreien und für eine geraume Zeit aus dem Hamsterrad des hektischen und kräftezehrenden Politikbetriebes aussteigen. Sie könnte zum Beispiel einmal die von ihrem Presseamt zusammengestellte „Regierungs“-Presseschau zur Seite legen und, statt die zahllosen Vermerke aus ihrem Amt zur Rechtfertigung ihres politischen Kurses zu studieren, einmal lesen, wie es z.B. in Griechenland tatsächlich zugeht.
Sie könnte sogar einmal Abstand von der Aktualität gewinnen und sich die historischen Parallelen vor Augen halten, wie damals 1914, dem Jahr des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs, nationaler Egoismus und hundert Jahre später ihre oberste Doktrin, nämlich die Steigerung der nationalen „Wettbewerbsfähigkeit“, wieder zu einem Gegeneinander, ja sogar Kampf der Nationen führt, die den Lösungsweg hin zu einer internationalen Zusammenarbeit verbauen.
Sie könnte sich etwa an ihr gelerntes Handwerk, die Physik, zurückbesinnen und dabei erkennen, dass die Überschüsse des einen eben immer gleich der Defizite der anderen sind und dass es schon logisch nicht aufgehen kann, wenn alle gleichzeitig mehr exportieren sollen und wollen.
Ein paar Wochen lang braucht sie nicht mehr öffentlich die eingeübten Worthülsen gedankenlos weiter aufeinanderstapeln, sie könnte stattdessen über ihre eigenen Sätze nachdenken. Wie etwa den, dass „wir“ über unsere Verhältnisse gelebt hätten. Sie brauchte sich, um diesen Satz als falsch zu erkennen, nur zu vergegenwärtigen, dass Deutschland seit Beginn der Währungsunion ausweislich des Leistungsbilanzsaldos fast eine Billion weniger ausgegeben hat, als es eingenommen hat. Und vielleicht könnte sie noch einen Schritt weitergehen und fragen, wer in dem von ihr regierten Land eingenommen hat und wer unter unseren Verhältnissen leben musste.
Sie könnte sich möglicherweise wieder einmal ihre Jugend in der DDR vor Augen führen, und sich die Frage stellen, ob die von ihr geforderte „marktkonforme Demokratie“, also eine Demokratie, die dem Diktat der Finanzmärkte unterworfen ist, wirklich das freiheitliche Gegenmodell zur Diktatur der Partei sein kann und darf, deren Jugendorganisation sie selbst angehört hat.
Es gäbe noch so viele Fragen, denen sie während der ärztlich verordneten Bettruhe nachgehen müsste und dabei vielleicht bessere Antworten finden könnte als in ihrem üblichen Termin- und Alltagsstress.
In diesem Sinne wünschen wir Angela Merkel nicht nur eine schmerzfreie Genesung sondern vor allem auch eine gute Besserung!
Quelle und gesamter Text: http://www.nachdenkseiten.de/?p=19848