Guru – die Natur des Geistes
Der „wahre Guru“ ist die Natur des Geistes oder man kann auch sagen, es ist der natürliche Zustand des Geistes in seiner offenen Präsenz. Und der Zustand des Guru-Yoga ist der ursprüngliche Zustand des Samantabhadra, von Vajrasattva und allen Linien-Gurus und anderen Lehrern in uns vereint. Ausnahmslos alle stellen in ihrer Einheit mit unserem Geist den Fokus für unser Guru-Yoga dar. Falls wir glauben, dass wir können da nur bestimmte Lehrer nehmen, dann halten wir an einer Begrenztheit fest, denn die wahre Natur aller Lehrer ist nicht verschieden, da eben der Dharmakaya auch nicht verschieden ist. Und Guru-Yoga praktizieren wir, damit wir Erkenntnis erlangen und nicht um den Ruf und das Ansehen unserer Lehrer zu fördern.
Guru-Yoga bedeutet mehr und mehr eins mit der wahren Natur des Geistes zu werden, in die wir vom Lehrer eingeführt worden sind. Daher ist Guru-Yoga für Dzogchen-Praktizierende unverzichtbar.
Guru-Yoga im Tantra
Allerdings sollte man auch verstehen, welche Ebenen es beim Guru-Yoga gibt. Im Sutrayana bestehend aus den drei Fahrzeugen der Hörer, Alleinverwirklicher und Bodhisattvas wird Guru-Yoga nicht erwähnt und hat somit auch keine Relevanz. Auf diesem Pfad spricht man vom „spirituellen Freund“. Natürlich bleiben Lehrer auch im Vajrayana und im Dzogchen weiter spirituelle Freunde, die den Pfad darlegen. Im Vajrayana, das den Pfad der Umwandlung darstellt, lehrt uns der Lehrer diesen Pfad der Verwandlung. Deshalb lehrt der Lehrer bei der tantrischen Ermächtigung auch die reine Sicht. Der Ort wird dann eben nicht als ein gewöhnlicher Ort aufgefasst, sondern ist ein Mandala aus fünffarbigem Licht und der eigene Körper ist kein gewöhnlicher Körper, sondern der Körper der Gottheit. Und indem wir so visualisieren und der Lehrer uns mit Mantra und Visualisation ermächtigt, empfangen wir die Einweihung. Daher wird auch dies zum Pfad und beim nachfolgenden Praktizieren führen wir dieselbe Verwandlung durch. Auf diese Weise gewöhnen wir den Geist daran, eine alternative Sichtweise zur gewöhnlichen einzunehmen und die dualistischen Ansichten aufzugeben. Als Resultat dieser Praxis erlangen wir dann eben die reine Sicht. Da wir die Ermächtigung für diesen Pfad der Verwandlung nicht aus dem Dharmakaya oder Sambhogakaya, sondern vom Lehrer empfangen, ist der Lehrer so wichtig und nicht die Gottheit.
Natur des Geistes bekanntmachen
Im Dzogchen ist Guru-Yoga von großer Bedeutung, da uns der Guru mittels einer dreifachen Einführung – mündlich, symbolisch und direkt – mit unserer eigenen natürlichen Zustand bekannt macht.
Garab Dorje’s erste Zeile der „Drei Worte“ (tib.; tshig gsum gnad brdegs) lauten: „Direkt eingeführt.“ Und diese direkte Einführung handelt vom Bekanntmachen mit der Basis – Leerheit, Klarheit und Glücksempfinden – und diese haben wiederum mit Körper, Rede und Geist zu tun. Aber dieser natürliche Zustand ist jenseits von Konzepten und kann daher nicht beschrieben werden. Liest man beispielsweise das Herz-Sutra der Prajnaparamita, dann sieht man, dass der wahre natürliche Zustand jenseits der Konzepte ist. Es ist ein Zustand uranfänglicher Weisheit bzw. ein Zustand direkten Erkennens, der erst entdeckt wird, wenn man durch die präsente Erfahrung jenseits der Konzepte gelangt.
Der Lehrer kann uns natürlich auch mündlich und durch Symbole mit der Natur des Geistes bekannt machen. Auch dies geschieht beispielsweise bei der vierten Einweihung – der „kostbaren Worteinweihung“ – im Vajrayana. Diese sind jedoch eine Vorbereitung auf die direkte Einführung in die Natur des Geistes.
Da der Lehrer uns direkt mit der Natur des Geistes bekannt macht und er ungetrennt von dieser Natur des Geistes erscheint, ist Guru-Yoga – die Vereinigung (Yoga) mit dem (Geist des) Guru – so wichtig.