Dr. Johanna Heuveling
BERLIN.(hpd) Im letzten Frühjahr gab es in Berlin das erste Mal einen Gulu Walk. Seit 2005 wird weltweit an die Kinder erinnert, die in Uganda als Soldaten missbraucht worden sind. Inzwischen gibt es diese Märsche in mehr als 100 Städten weltweit. Der hpd sprach mit Dr. Johanna Heuveling, der Mitinitiatorin des Berliner Gulu Walks.
hpd: In Uganda wurde in einem 21 Jahre andauernden Bürgerkrieg fast 2 Millionen Menschen vertrieben. Hat sich die (politische) Situation in Uganda inzwischen beruhigt?
Dr. Heuveling: Es findet auf ugandanischem Boden kein bewaffneter Konflikt mehr statt. Die LRA (Lord Resistance Army) hat sich in andere Länder zurückgezogen, wo sie weiter Terror verbreiten, auch weiterhin Kinder entführen. In Uganda selbst sind damit die direkten Gräuel verschwunden, kann man sagen, aber die Folgen des Krieges und auch die vorher schon vorhandenen Probleme sind noch da und werden nur sehr unzureichend angegangen. Dazu gehören ungeklärte Landbesitzverhältnisse: Menschen, die seit Jahrzehnten in Flüchtlingslagern lebten, kehren zurück und wissen nicht mehr genau, wo eigentlich ihr Land war, andere versuchen sich Land anzueignen und auch die Bestrebungen von Konzernen und ausländischen Investoren, sich mithilfe korrupter Politiker Land anzueignen, sind eine Bedrohung. Das alles behindert den Neuanfang.
Was die Kindersoldaten betrifft, so gibt es Zehntausende, die zurückgekommen sind aus dem Busch – oft erst nach Jahren, oft bereits erwachsen, manchmal sind sie sogar zu Kommandeuren in der LRA aufgestiegen, manche Frauen mit Kindern. Sie begegnen großen Problemen, in ziviler Gesellschaft wieder Fuß zu fassen. Sie sind stark Gewalt traumatisiert, sie haben keine Schulbildung, sie werden von vielen als Täter, nicht als Opfer gesehen, was die Reintegration schwierig macht. Man kann sagen, dass der Norden Ugandas, in welchem der Krieg stattgefunden hatte, der hauptsächlich ländlich-dörflich ist, durch die letzten Jahrzehnte furchtbare Dinge durchmachen musste, auf welche die Menschen mit ihren herkömmlichen Mitteln und Traditionen keine ausreichende Antwort haben. Der entwickeltere Süden des Landes mit seiner wachsenden Eigeninteresse-gesteuerten Eliteschicht, interessiert sich wenig, wirkliche Hilfe zu leisten. Es gibt viel Unmut zwischen Nord und Süd und Präsident Museveni, der selbst durch einen Buschkrieg an die Macht kam und seit 25 Jahren im Amt ist, unterdrückt massiv freie Meinungsäußerungen.
In meinen Augen ist es also nur ein scheinbarer Frieden, aber momentan herrscht in der Bevölkerung eine zu große Angst vor einem erneuten Bürgerkrieg, um offen zu protestieren.
Warum wurde der Namen der im Norden liegende Stadt Gulu zu einem Symbol und damit auch Namensgeber für den Marsch für Kinderrechte?
Gulu wurde bekannt durch einen Film, der dokumentierte, wie Tausende von Kindern – die sogenannten Night Commuters – jede Nacht aus den Dörfern kilometerweit in die Stadt wanderten, um dort in Sicherheit vor der LRA in den Straßen zu übernachten. Zwei Kanadier, die von dem Schicksal dieser Kinder sehr berührt waren, begannen mit einem Gulu Walk, bei welchem sie ebenfalls über mehrere Wochen jeden Tag viele Kilometer liefen, um auf das Schicksal dieser Kinder aufmerksam zu machen. Daraus entwickelte sich der GuluWalk, der nun als Protestmarsch oder Solidaritätsmarsch in vielen Städten und Ländern jährlich stattfindet. Wir haben uns dem angeschlossen, richten uns aber allgemeiner gegen Kindersoldatentum weltweit, nicht nur in Uganda. Nirgendwo sollen Kinder in Armeen dienen und töten. Kinder überall haben das Recht, in Frieden aufzuwachsen und auf besonderen Schutz und Sorge. Nirgendwo sollen Kinder lernen, dass es okay ist, sich sein Recht mit der Waffe in der Hand zu verschaffen. Daher ist auch eine unserer Forderungen, keine Werbung des Militärs an Schulen zu gestatten.
Uganda ist nach meinen Informationen ein Land, in dem sich ca. 85% der Bevölkerung zum Christentum bekennen. War der Bürgerkrieg religiös motiviert? Oder geht es – wie überall rund um den Victoriasee – um Zugriff auf Wasser und Weideland?
Ich kann nicht sagen, was wirklich die ursprünglichen Motivationen waren. Was die religiösen Motive angeht, sind sie wahrscheinlich eher oberflächlich. Kony (Anführer der Lord’s Resistance Army) verkündete, er wolle einen christlichen Gottesstaat nach den 10 Geboten errichten. Seine Anhänger und Gegner fürchten ihn, weil er behauptet, übernatürliche Kräfte zu besitzen und im Auftrag des heiligen Geistes zu handeln. Bei einer Bevölkerung, bei welcher sich eine starker christlicher Glaube mit Aberglaube freudig vermischt, kann er damit schon Verehrung und Schrecken verbreiten. Inwieweit er selbst daran glaubt, weiß ich nicht. Viele sagen, dass es ein Konflikt Nord- gegen Süduganda ist. Und auch Stammeszugehörigkeiten spielen eine Rolle. Die Ursache ist sicherlich auch schon in der kolonialen Vergangenheit zu suchen, da die Briten verschiedene Stämme und Regionen ungleich behandelt haben à la divide et impera.
Das Land Grabbing, das nun in vollem Umfang einsetzt, spielt sicherlich eine Rolle. Ein destabilisiertes Land ist eine leichte Beute. Museveni wird vorgeworfen, dass er mithilfe der Regierungsarmee massiv Menschen “zu ihrem Schutz” in die IDP Camps getrieben haben soll, um an ihr Land zu kommen. Dann kennen wir alle die Geschichte von Idi Amin. Irgendwie herrscht in vielen Köpfen der Traum, Präsident zu werden, vor allem, um dadurch reich zu werden. Um es zynisch zu sagen, ist das mitunter wahrscheinlicher, als einen halbwegs gut bezahlten Job in der Mittelschicht zu erringen. Zumindest kann man mit der Waffe schon einmal ein wenig bei der Landbevölkerung absahnen und vielleicht bekommt man eine Diamantenmine unter seine Kontrolle. Wie man illegitim Macht erringt, Menschen ausbeutet und damit ungeschoren und in den Augen der Weltöffentlichkeit moralisch sauber wegkommt, haben die Kolonialmächte in Afrika vorgemacht.
Zurück zum Gulu-Walk: Seit 2005 wird an jedem 24. April an die Kinder gedacht, die als Kindersoldaten missbraucht wurden – und werden. Daraus ergeben sich zwei Fragen: Weshalb wurde der 24. April ausgewählt und weshalb findet der Gulu-Walk in Berlin zu einem anderen (späteren) Zeitpunkt statt?
Ich selbst bin mir über diese Daten gar nicht so klar. Genauso wie der Ursprung des GuluWalkes mir eigentlich nicht so klar ist. Die Geschichte der Kanadier ist eine, aber es gab auch in der Stadt Gulu einen sogenannten Rescue Walk, bei welchem Angehörige entführter Kinder auf die Straße gingen, um für ihre Kinder zu beten. Das war im April 2005 und findet jährlich statt. Die anderen Aktionen findet wohl eher im Oktober statt. Wir haben uns in Berlin daher gesagt, wir machen uns einfach komplett unabhängig und überlegen uns selbst ein geeignetes Datum. Dabei spielten dann das Wetter, der Schulanfang und unsere Kapazitäten eine Rolle. Wir hoffen vor allem, dass viele Schüler an dem Marsch teilnehmen – Solidarität unter Jugendlichen weltweit sozusagen.
Dr. Heuveling legt großen Wert auf die Feststellung, dass es beim Gulu Walk Berlin nicht allein um Kindersoldaten in Uganda geht. Sondern um den Missbrauch von Kindern für diese Zwecke. Die UN spricht von etwa 250.000 Kindersoldaten weltweit. Der Einsatz von Kindern im Krieg ist völkerrechtlich verboten und wird vom Internationalen Strafgerichtshof als Kriegsverbrechen verfolgt. Allerdings gibt es so gut wie keine Strafverfolgung.
Gibt es Gründe, weshalb Joseph Kony (der Anführer der Lord’s Resistance Army), der die Verantwortung trägt für die Entführung und den Einsatz von ca. 25.000 Kindern als Soldaten, nach Ende des Bürgerkrieges nicht verhaftet und verurteilt wurde?
Kony ist, wie gesagt, immer noch im Busch, mittlerweile im Kongo. Er ist angeklagt beim ICC (Internationaler Strafgerichtshof), aber er kann nicht verhaftet werden. Und die Diskussion dreht sich auch immer um das übliche ICC Thema: Soll man jemand anklagen und ihm damit den Weg aus dem Busch heraus abschneiden, so dass ihm nur übrig bleibt weiter zu machen, oder soll man ihn mit attraktiven Angeboten aus dem Busch locken, um wenigstens das Gräuel zu beenden. Viele, auch in Nord-Uganda, sind der letzteren Meinung und waren nicht glücklich über die Anklage des ICC, weil sie einfach nur hier und jetzt Frieden wollen. Aber die internationale Forderung, dass Menschenrechtsverletzer großen Stils ihrer gerechten Strafe zugeführt werden müssen, ist eben auch als Abschreckung für Nachahmer wichtig.
Im Juli 2010 gab es Medienberichte, dass die Bundeswehr möglicherweise an der Ausbildung von Kindersoldaten in Somalia beteiligt war. Das Thema verschwand genauso schnell aus der medialen Öffentlichkeit wie es erschien. Hast Du dazu neue Erkenntnisse?
Ein großes Problem bei der Wahrung der Kinderrechte in Ländern wie Somalia ist, dass es keine Geburtenregistrierung gibt. Das heißt, man kann eigentlich keinen Nachweis führen, wie alt jemand ist. Auch haben Jugendliche, die Hunger leiden, ein starkes Interesse daran, in die Armee zu kommen. Die Bundeswehr muss natürlich diese Schwierigkeiten aktiv angehen, sicherstellen, dass keine unter 18 jährigen ausgebildet werden und kann sich nicht hinter der somalischen Armee verstecken. Mehr kann ich dazu nicht sagen.
Und zu guter Letzt eine persönliche Frage: Was hat dich dazu gebracht, als eine der OrganisatorInnen des Berliner Gulu-Walks mit zu arbeiten?
Sorry, wenn ich weit aushole! Mich beschäftigt schon immer die Frage, warum sich Menschen einander so schreckliche Dinge antun. Meine vorläufige Antwort darauf ist, dass es nicht die einzelnen Menschen sind, die “böse” und gewalttätig “von Natur aus” sind, sondern die Strukturen bringen sie dazu, so zu handeln. Gewalttätige Strukturen existieren, weil ein starker Glaube an die Gewalt als legitimes Mittel zur Durchsetzung von Interessen existiert. In unserer prähistorischen Vergangenheit mag das Prinzip der Gewalt zum Überleben auch ganz gut funktioniert haben. Aber in der heutigen Welt richtet die Gewalt in allen Bereichen menschlichen Handelns – das schließt auch die ökonomische, religiöse etc. Gewalt ein – dauerhafte und vielleicht unser Überleben unmöglich machende Schäden an. Obwohl das eigentlich deutlich ist, bauen wir dumm immer noch auf militärische Stärke und geben immer mehr Geld für Waffen aus, bilden junge Menschen aus, wie man andere um die Ecke bringt und finden das ganz normal.
Wir könnten diese ganze Energie und diese Ressourcen einsetzen, Aufbauprogramme zu ermöglichen, eine gerechte Wirtschaft aufzubauen… es gibt so viele gute Ideen, aber wir tun es nicht, weil wir mehr an die Effektivität von Gewalt glauben. Kinder zu Soldaten zu machen, ihnen das Töten beizubringen statt Lesen und Dichten, Disziplin statt Spielen, Gewalt statt Mitgefühl, das ist einfach das Abscheulichste in diesem Zusammenhang. Von daher war es für mich keine Frage, dass ich da mit organisiere, als ich von ugandanischen Freunden gefragt wurde. Darüber hinaus haben mich Projekte, die wir beim letzten GuluWalk unterstützten, fasziniert, in welchen alte Versöhnungsriten angewandt werden, um die ehemaligen Kindersoldaten, die sogenannten Returnees, wieder in die Gesellschaft zu integrieren. Dabei finden lange und oft mehrfache Palaver gemeinsam mit allen Beteiligten – Tätern, Opfern, Angehörigen – statt, alles und jeder soll zur Sprache kommen. Das Ganze ist wie eine therapeutische Behandlung für das gesamte Dorf. Dann folgt ein ausgedehntes Ritual, bei welchem der Returnee symbolisch wieder rein gewaschen wird von aller Schuld. Danach ist er wieder Mitglied der Gemeinschaft und keiner hat mehr das Recht, ihn auszugrenzen.
Es sind solche Rituale, die die Kette der Gewalt durchbrechen und die Zukunft für alle Beteiligten öffnen. Ich wünschte mir, dass wir mit solcher Weisheit an die verworrenen Konflikte in dieser Welt herangehen würden. Für mich sind das Beispiele, die Hoffnung machen.
Also Kurzfassung: Ich sehe bei diesem Protest gegen Kindersoldaten die Möglichkeit, allgemein sensibilisierend tätig zu sein gegen den Glauben an Gewalt.
[für den Humanistischen Pressedienst]