Grußwort zur Friedenswinter-Demonstration am 13.12.2014 in Berlin

Von Hartstein

Liebe Friedensfreunde, wir müssen nicht in allem einig sein, aber über einen Punkt gibt es wohl keinerlei Meinungsverschiedenheit: Der Frieden in Europa ist bedroht, wie seit einer Generation nicht mehr.

Mahnung und Protest finden zum Auftakt des dringend benötigten Friedenswinters erstmalig vor dem Schloss Bellevue statt. Der Amtssitz des Bundespräsidenten zieht berechtigt Unwillen auf sich. Sein derzeitiger Hausherr propagiert einen „wertebasierten Sicherheitsbegriff“, der militärisches „Eingreifen“ jenseits von Verteidigung einer moralischen Wertsteigerung unterzieht. Die zwei Dritteln der Bürger, die Auslandseinsätze ablehnen, werden des bequemen Wegsehens verdächtigt. Während das Staatsoberhaupt „leidet“, weil „nicht überall dort eingegriffen wird, wo es zum Schutz von Leib und Leben bedrohter Menschen geboten“ wäre.

Überall dort also – leider ist kein einziger Fall bekannt, in dem das militärische Eingreifen der Nato nicht tausendfach mehr Menschenleben gekostet hat, als zu schützen vorgegeben wurde. Kein einziger Fall, in dem Gewalt tatsächlich Sicherheit gebracht hat und nicht noch mehr Gewalt. Kein einziger Fall, in dem alle Voraussetzungen der UN-Charta erfüllt gewesen wären. Aber ein kritisches Wort zu den Nato-Kriegen erwartet man vom Politiker und Theologen Gauck vergeblich. Ebenso wie eine Kritik am internationalen Waffenhandel, dessen Profit höher ist, als das Einkommen der Hälfte der Weltbevölkerung.

Stattdessen beklagte er in seiner Münchner Rede, dass wir Deutschen uns der „finanziellen Auszehrung“ der Nato „nicht entgegenwerfen“. Wie bitte? Die Nato hat einen Jahresetat von rund einer Billion Dollar. Ein Zehntel davon würde reichen, um Armut, Hunger, Krankheiten und Klimakatastrophe zu bekämpfen. Also das, was die Auszehrung der Menschheit vorantreibt. Menschenrechtsverteidiger dürfen nicht abseits stehen, dieses Unrecht immer wieder bewusst zu machen. Unsere Freiheit wird am Humanen verteidigt. Nicht am Hingekuschten – diesem Machtkampf um Energie und Einfluss. Das durchschaut doch jeder – wir leiden nicht an geistiger Auszehrung.

Den Bundespräsidenten treibt dagegen die Angst um, Deutschland könne wegen seiner gelegentlichen militärischen Zurückhaltung als „Drückeberger der Weltgemeinschaft“ angesehen werden. Er sollte Thomas Mann verstehen lernen: „Krieg ist nichts als Drückebergerei vor den Aufgaben des Friedens.“

Zu den Aufgaben des Friedens gehört nicht der von außen beförderte Sturz demokratisch gewählter Präsidenten. Krieg ist die exzessivste Form von Terrorismus. Er ist seit 1929 für alle Zeiten völkerrechtlich geächtet. Krieg sollte kein Werkzeug der Politik mehr sein. Die wichtigsten Unterzeichnerstaaten haben sich nicht daran gehalten. Verantwortlich handeln heißt auch, nach dem Anteil des Westens an den Ursachen für Terrorismus und Bürgerkrieg zu fragen – nämlich nach Gewalt, Ausbeutung und unfairem Handel.

Verantwortung übernehmen heißt, die ständig wachsende soziale Kluft abbauen helfen. Ungleichheit leistet gesellschaftlichem Unfrieden und rechtem Gedankengut Vorschub.
Verantwortung übernehmen heißt, nicht zuzulassen, dass die derart entstandene Missstimmung auf Sündenböcke umgeleitet wird. Dämonisierung, Feindbilder, Kriegshetze – all das widerspricht der Aufklärung, auf die der Westen zu Recht stolz ist. Sie steht für das friedliche Zusammenleben der Völker und Religionen. Fanatismus mit Bomben zu bekämpfen, ist wie Feuer mit Benzin löschen.
Verantwortung übernehmen heißt, keine Konflikte zu schüren. Wer Terroristen wie eigene Söldner aufpäppelt, kann nicht davon ausgehen, die Kontrolle über sie behalten zu können. Teile und herrsche ist verantwortungslos.

Keine Freiheit ohne Frieden. Wir wollen frei sein von rhetorischer Mobilmachung. Frei von Lügen und einschüchternder Überwachung. Frei von unkritischen Bündnissen mit Folterstaaten. Frei von Existenzangst. Frei von Kriegsangst.

Übernehmen Sie Schutzverantwortung, Herr Bundespräsident! Es muss ja nicht so weit gehen, dass Sie in der Weihnachtszeit Ihr vom Steuerzahler geborgtes Schloss für die in unserem reichen Land lebensunwürdig zusammengepferchten Flüchtlinge öffnen. Doch in einem haben Sie ja Recht: Unser Parlament hat viel über Mandate für Auslandseinsätze geredet, aber wenig über grundsätzliche Strategien für Außen- und Sicherheitspolitik. Die Frage von Krieg und Frieden ist zu wichtig, um sie den Eliten zu überlassen. Die Debatte gehört ins Parlament und in die Gesellschaft, auch in die Friedensbewegung.

Frieden muss gestiftet werden.

von Daniela Dahn

Quelle: http://www.nachdenkseiten.de/?p=24298