Meine Wurzeln liegen zur Hälfte im hohen Norden Deutschlands. Meine Mutter war gebürtige Hamburgerin und so liegt es auf der Hand, dass sie uns Kindern so manche Bräuche der Norddeutschen mit auf den Weg gegeben hat. Sie organisierte zum Beispiel einmal im Jahr, meist wenn der erste Frost kam, ein Grünkohl-Essen mit Pinkel für alle Exil-Norddeutschen in Hessen. Als ich selber vor einigen Jahren dann noch weiter gen Süden zog, freute ich mich umso mehr, Freunde gefunden zu haben, die Grünkohl genauso liebten wie ich. Die Tradition wird fortgesetzt und weil Grünkohl kochen und essen immer ein geselliges Gemeinschaftswerk ist, kommt der Beitrag heute ausnahmsweise mal nicht von mir, sondern von der Grünkohlexpertin Lena! Ich freu mich!
Wir sind spät dran in diesem Jahr: Die Grünkohlsaison ist laut der reschen Dame vom Laden für Fränkische und Westfälische Wurstwaren im Münchner Rathaus längst vorbei. Pinkel gibt’s bei ihr erst im Oktober wieder. Dabei steht bei uns daheim doch ein großer Sack feinster, frischer Grünkohl! Ois bio! Aber sowas kennt die Wurstverkäuferin nicht. Sie sieht wohl vor lauter Würsten den Kohl nicht. Nun gut. Also ringen wir uns in diesem Jahr zu einer Ausnahme durch: Grünkohl ohne Pinkel, ohne diese herrliche geräucherte Grützwurst, dafür mit Mettenden. Auch die sind traditionell – und um Tradition geht’s beim Grünkohlessen schließlich. Zumindest wenn manche Mitesser Wurzeln in Nordwestdeutschland haben. Denn unseren Sack voller Grünkohl ganz hip und roh in einen grünen Smoothie zu verwandeln? Nein, das kommt nicht in Frage. Es muss schon sein wie immer: Der Kohl zu Brei gekocht, die Kartoffeln schön mild, die Wurst voller rauchigem Fett. Überhaupt, ja, fettig ist dieses Essen – dafür haben wir dann auch einen guten Grund unseren ganz hervorragenden, selbstgebrannten Mirabellenschnaps für besondere Anlässe aus dem Schrank zu holen. Ein Hoch auf den besten Brennmeister der Welt, auf den Onkel aus Wien!
Zutaten für 4 Grünkohl-Fans:
- 1,5 kg TK-Grünkohl oder 2 kg frischer Grünkohl
- 50 g Schweineschmalz
- 200 g Speck, gewürfelt
- 2 Zwiebeln
- ½ Liter Fleischbrühe
- Haferflocken
- 8 Mettenden bzw. Pinkel
- Kartoffeln je nach Bedarf
- 1 EL Kreuzkümmel
- Salz & Pfeffer
- Senf (mittelscharf)
- Schnaps
Wir putzen also den Kohl. (Übrigens: Bei frischem Grünkohl nicht vor der Menge erschrecken, nach Ausputzen, Blanchieren und Hacken fällt er zusammen und es passt nachher alles in den Topf.) Da er vorgekocht wird und am besten noch eine Nacht durchzieht, reißen wir an einem sonnigen Samstagnachmittag bei Kaffee und Kuchen die Blätter von den Stängeln. Und vor lauter Gequassel hätten wir fast die kleine grüne Raupe übersehen, die sehr zu Klein-Lottas Freude ihren Weg über den Tisch macht. Das ist mal bio. Schnell! Fangt sie ein und werft sie ins Raupennirvana, in den Biomüll! Geschafft und weiter geht’s. Sobald die Blätter des Grünkohls ihre Stiele los sind, werden sie portionsweise in kochendem Wasser blanchiert, direkt in eiskaltem Wasser abgeschreckt, fest ausgedrückt und fein gehackt. Dann nehmen wir einen großen Topf, von dem wir meinen, dass der Grünkohl ihn nur gut zur Hälfte füllen wird. Darin wird Schweineschmalz geschmolzen, die Zwiebeln und der Speck angebraten und schließlich der Grünkohl erwärmt. Einmal gut durchrühren. Mit Fleischbrühe ablöschen. Fertig. Nun bleibt der Topf mit Deckel und Kohl etwa eine Stunde auf kleiner Flamme auf dem Herd, bis wir allen Kaffee getrunken und allen Kuchen gegessen haben. Sobald der Grünkohl nicht mehr knallgrün sondern olivgrün ist, schalten wir den Herd aus und freuen uns auf morgen.
Am nächsten Tag holen wir die Mettenden – wo ist der Pinkel?! Ach so, da war ja was – aus dem Kühlschrank und lassen sie Zimmertemperatur annehmen. Währenddessen rühren wir den Kohl, der im Topf auf dem Herd abgekühlt ist, einmal kräftig durch, schmecken ihn mit Salz und Pfeffer ab und stellen ihn zurück auf eine warme Herdplatte. Weil uns der Kohl insgesamt etwas zu flüssig ist, streuen wir noch ein paar Haferflocken hinein. Das bindet. Die Kartoffeln legen wir abgewaschen, aber ungeschält, in einen Topf mit ordentlich gesalzenem, mit einem Esslöffel Kreuzkümmel verfeinertem Wasser. In weiser Voraussicht – denn der Kümmel ist gut für die Verdauung. Während die Kartoffeln also vor sich hin köcheln, platzieren wir die Würste, so wie sie sind, oben auf den Grünkohl und verschließen den Topf ganz fest. Der Kohl wird warm, sein Dampf steigt auf und wärmt die Wurst. Dann, ganz langsam, sickert ihr flüssiges, rauchiges Fett in den Kohl. Geil.
Eine halbe Stunde später ist’s dann auch schon passiert: Sobald die Kartoffeln fertig sind und in einer Schüssel auf dem Tisch stehen, angeln wir uns Wurst für Wurst die Würste aus dem Topf, bis wir – anders als die Wurst-Frau – wieder unter der Wurst den Kohl entdecken. Haufenweise auf die Teller damit! Ordentlich Senf dabei. Das Glück ist perfekt. Und der Schnaps danach eine wahre Wonne. Lieber Grünkohl, wir sehen uns im Oktober! Die Mettenden waren zwar auch sehr lecker, aber die Pinkelsaison werden wir dieses Jahr sicherlich nicht verpassen. Ein zu guter Grund für ein zu gutes Essen.
Prep Time: 45 minutes
Cook Time: 45 minutes
Nutrition Information:- 440 calories