Faustdicke Überraschung im Vorwahlkampf um den Posten des grünen Kanzlerkandidaten! Beobachter im politischen Berlin hatten hier ein enges Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen den drei Parteigiganten Renate Künast, Cem Özdemir und Claudia Roth erwartet - doch in einer Vorabumfrage, die der Internetriese Google für das politische Analyseportal PPQ durchgeführt hat, setzte sich überraschend die eher unbekannte Ostdeutsche Steffi Lemke mit 46 Prozent Zustimmung an die Spitze der Kandidatenliste. Lemke dient der früher als "Bündnis 90/Die Grüne" auftretenden Partei seit Anfang des Jahrtausends als politische Bundesgeschäftsführerin, wirkt aber meist im Hintergrund. Bekannt geworden ist die 42-jährige Diplom-Agraringenieurin vor allem durch ihre kultige Kaltwelle-Frisur, mit der sie seit Jahrzehnten beharrlich gegen übertriebenen Modewahn protestiert.
Für die grüne Parteispitze ist das Stimmungsbild, das die nicht-repräsentative Umfrage vermittelt, eine schallende Ohrfeige. Einzig die volksnahe Claudia Roth konnte mit 31 Prozent der Stimmen nennenswert Unterstützung mobilisieren. Die drei Vorsitzenden Özdemir, Künast und Trittin schnitten mit 13, fünf und vier Prozent weit unter den von Buchmachern derzeit angebotenen Quoten ab. Das Ausmaß der Enttäuschung dürfte groß sein, hatte doch Renate Künast kürzlich erst mitgeteilt: „Kanzlerin kann ich auch" und damit als erste Vertreterin von Bündnis 90 öffentlich Ambitionen auf das Amt deutlich gemacht.
Im Wissen um die empfindliche Seele ihrer Partei aber hatte sich Künast selbst in die Pflicht genommen. Erstmal werde sie aber jetzt Regierende Bürgermeisterin in Berlin, verspach sie der Basis. Gelänge das, glaubte die gelernte Anwältin, würde ihr das Kanzlerkandidatinnenamt automatisch zufallen. Mit ihrer auch für langjährige Beobachter von Bündnis 90 recht unerwarteten Popularität könnte Steffi Lemke diesen Automatismus stoppen. Bisher aber hat die Geheimfavoritin zu ihren Absichten noch nicht Stellung genommen.