Einige Gedanken über den “Friedensbegriff” und Albert Schweitzers Erfurchtsethik (in mehreren Teilen)
Grundzüge der Ehrfurchtsethik Albert Schweitzers (A)
Das Bestreben, humane Lebensbedingungen zu schaffen und zwar durch eine Ethik, die die Kulturkrise (siehe Teil4) außer Kraft setzt, veranlaßt Schweitzer, das neue Leitmotiv weiter auszubauen. Er wußte, daß realistische Welterkenntnis zum Pessimismus führt. Ethisches Wollen aber muß optimistisch sein; es muß das Leben und die Welt bejahen.
Die Ehrfurchtsethik entwickelte Albert Schweitzer während seines Arrests im 1.Weltkrieg. Er war als Elsässer Deutscher und damit plötzlich Kriegsgegner im französischen Gabun.
Ethik kann daher nicht auf Welterkenntnis aufbauen. Im Gegensatz dazu setzt Schweitzer auf “Überzeugungen, die wir aus innerer Notwendigkeit denken” (1), denn “wir sind imstande, ihre Ursprünge und ihre Grundlagen zu begreifen, indem wir über die Welt und uns selber nachdenken.”(2) Schweitzer glaubt, daß der Mensch eine ihm angeborene Lebens- und Weltbejahung in sich trägt, die er gegen seine Erfahrungen und sein Erkennen durchsetzen muß.
Schweitzer geht den Weg nach innen, den Weg der Mystik. Im Inneren des Menschen sucht er das Fundament für Entscheidungen und Handeln. (3) Er ist sich über die Gefahr im klaren, die Mystik in sich birgt, nämlich, daß geistige Tiefe überproportional vor die praktische Komponente tritt, daß das praktische Tun vernachläßigt wird. Er führt als Beispiel die Mystik des indischen Denkens an, die als Konsequenz des “In-sich-selbst-Versenkens” eine Welt und Lebensverneinung ergibt. Ein aktives mitmenschliches Element fehlt ihm in diesem Denken. Schweitzer schreibt:
“Aus der Nebeneinanderstellung des europäischen und des indischen Denkens wird deutlich, daß das große Problem des Denkens überhaupt darin besteht, zu einer Mystik ethischer Welt- und Lebensbejahung zu kommen.” (4)
Die geistige Tiefe des Denkens will Schweitzer auch für die europäische Mystik. Allerdings will er als zweite Komponente das aktive, lebensbejahende Element, das sich in unserem Erbe befindet, integrieren. Diese Verbindung von geistiger Tiefe und tätiger Ethik will er mit der Ethik “Ehrfurcht vor dem Leben” leisten. So, wie der Mensch bereits in seinem Inneren auf eine tiefe Lebensbejahung gestoßen ist, so muß er, wenn er diese Lebensbejahung zuende denkt, an den Ausgangspunkt dieser Ethik gelangen:
“Die unmittlbare Gegebenheit unseres Bewußtseins, auf die wir jedesmal wieder zurückgeleitet werden, wenn wir zu einem Verständnis unserer selbst und unserer Situation in der Welt vordringen wollen, ist: Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will.” (5)
Genau diese elementarste Einsicht des Menschen, des eigenen Lebenswillens, muß ihn zwangsläufig zu der Erkenntnis bringen, daß anderes Leben außerhalb von ihm, das auch anders geartet sein kann als er, genau so leben will, wie er selbst. Der Weg des Denkens, als eine Einheit von Erkennen und Erleben in der Suche nach den eigenen Lebensgrundlagen erweitert die mystische Innenschau ins Kosmische. Das Forschen nach Grundlagen im eigenen Selbst führt zwangsläufig dazu, daß man den Lebenswillen aller Lebewesen anerkennt.
So heißt es bei Schweitzer zur Rolle des Denkens: “Es regt den Willen zum Leben an, in Analogie zur Lebensbejahung, die in ihm selber ist, die Lebensbejahung, die sich in dem vielgestaltigen Leben um ihn herum zeigt, anzuerkennen und mitzuerleben. Auf Grund dieser Weltbejahung stellt sich Lebensverneinung ein, als Mittel, diese Bejahung anderen Lebens durchzuführen. Nicht Lebensverneinung an sich, sondern nur die, die im Dienste der Weltbejahung steht und in ihr Zweckmäßig wird, ist ehtisch.” (6)
Denkt man die eigene Selbstbejahung zuende, ergibt sich die folgende Gedankenkette von selbst: Die eigene Lebensbejahung fordert in gleichem Maße die Bejahung fremden Lebenswillens. Wenn alle Lebenswillen sich durchsetzen wollen, kommt es automatisch zur Lebensverneinung, nämlich da, wo um des eigenen Lebensdranges willen, fremdes Leben geschädigt wird. Lebensverneinung ist hier keine Grundhaltung, kein Selbstzweck. Lebensverneinung versucht in diesem Denkmodell nichts anderes als die verschiedenen Lebensrechte auszugleichen.
Schweiters Grundprinzip des Sittlichen lautet: “Gut ist, Leben erhalten und Leben fördern; Böse ist, Leben vernichten und Leben hemmen”. (7)
Von der Mystik geht er in die Dimension der praktischen Forderung über. Schweitzer bestimmt “Ethik als Hingebung an Leben, die durch Ehrfurcht vor dem Leben motiviert ist”. (8)
Diskutiert man diesen Satz, so erscheint eine erstaunliche Parallelität zum Vorhergesagten. Ethik enthält zwei Komponenten: Zum einen die Ehrfurcht als die mystische Dimension, die sich aus dem Denken, dem Erkennen und Erleben des eigenen Lebenswillens ergibt; zum anderen die Hingabe an Leben als die ethisch-praktische Dimension, die durch die Ehrfurcht erst in Gang kommt. An dieser Stelle kann man drei Begriffspaare parallel benutzen: Mystik und Ethik, geistige Tiefe und konkrete Praxis, Innen und Außen. Ein ethischer Mensch spürt eine grenzenlose Verantwortung gegenüber allem, das lebt.
Albert Schweitzer lebt uns vor, daß in der Frage nach Gut und Böse nicht zwischen wertvollem und weniger wertvollem Leben unterschieden wird, denn er findet in allem Leben das universale Schöpfungsprinzip wieder.
Albert Schweitzer: “Verantwortung gegenüber allem, das lebt”
Seine Ethik schließt kein Lebewesen aus. Die von ihm gedachte Ehrfurcht bezieht sich auf die gesamte Schöpfung. Von einem Menschen, der nach einer so gearteten Ehrfurcht lebt, fordert er: “Das Leben als solches ist ihm heilig. Er reißt kein Blatt vom Baume ab, bricht keine Blume und hat acht, daß er kein Insekt zertritt. Wenn er im Sommer nachts bei der Lampe arbeitet, hält er lieber das Fenster geschlossen und atmet dumpfe Luft, als daß er Insekt um Insekt mit versengten Flügeln auf seinen Tisch fallen sieht. Geht er nach dem Regen auf der Straße und erblickt den Regenwurm, der sich darauf verirrt hat, so bedenkt er, daß er in der Sonne vertrocknen muß, wenn er nicht rechtzeitig auf Erde kommt….” (9)
An anderer Stelle sagt er:
“Die Zeit, in der man Barmherzigkeit mit der Kreatur belächelte, ist vorbei – selbst wenn es sich noch nicht herumgesprochen hat.” (10)
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Lesen Sie die einführenden Artikel über Albert Schweitzer, “Friedensfähigkeit als Gesinnungsmerkmal” <Teil1> <Teil2> <Teil3>
Lesen Sie über Grundlagen und Grundzüge der Ehrfurchtsethik in:
<Teil4> <Teil5> und folgende
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Quellen – weiterführende Links
(1) Schweitzer, Albert: Gesammelte Werke in fünf Bänden Rudolf Grabs, (Hrsg.) München 1974, (1) Band 2, Seite 340
(2) Schweitzer, Albert, Die Ehrfurcht vor dem Leben, Grundtexte aus 5 Jahrzehnten, Hrsg. V. Hans Walter Bähr, 3. erw. Auflage2, München 1982
(3) vergl. ausführl.: Strege, Martin, Ehrfurcht vor dem Leben, eire kurze allgemeinverständliche Darstellung der Grundlehre Albert Schweitters,
im Selbstverlag, Speyer/Grünstadt 1982.
(4) siehe 2: Band 1, Seite 446
(5) siehe 2, S111
(6/7/8/9) siehe 1 – Band2, S.356/ S.378/S.380 /S.378
(10) Schweitzer, Albert in: Schultz, Hans Jürgen, Liebhaber des Lebens, Biographische Erzählugnen, Stuttgart, 3. Aufl. 1978
Foto1: Albert-Schweitzer-Briefmarke aus dem Jahr 2000, Diese Briefmarke wurde von der Deutschen Post AG im Auftrage des BMF verausgabt und ist nach § 5 Abs. 1 UrhG ein amtliches Werk. Nach dem deutschen Urheberrechtsgesetz ist sie somit “gemeinfrei”
Foto2: “Insekt” (c) politropolis.de
Die Grundlage für diese Artikelserie ist das Material des Herausgebers zur Wissenschaftlichen Hausarbeit zum Thema “Friedenserziehung in den Sek.II” an der Justus-Liebig-Universität Gießen, vorgelegt im Fachbereich Religionswissenschaften im Jahr 1986.