Gründungssitzung der “IG für eine familienfreundliche Schweiz”

Remo Largo, der Mann, den viele von uns Eltern wie einen Halbgott verehren, hat etwas gesagt, was ich in letzter Zeit auch immer wieder gedacht habe: Frauen sollten aktiv für eine familienfreundlichere Schweiz kämpfen, insbesondere jetzt, wo sie auf dem Arbeitsmarkt wieder gefragt seien. Genau dies habe ich mir in letzter Zeit auch immer wieder durch den Kopf gehen lassen. Na ja, fast genau dies, denn in meinem Gedankenspiel wären es nicht nur die Mütter, die sich für eine familienfreundlichere Schweiz stark machen sollten, sondern auch die Väter, denn die hängen da auch mit drin. “Was wir wohl alles bewegen könnten, wenn wir…”, dachte ich einen kurzen Moment lang, doch diesen Gedanken wischte ich sofort wieder beiseite, denn in meiner Fantasie stieg die Vorstellung auf, wie die erste Sitzung dieser neuen Elternbewegung ablaufen könnte:

Sitzungsleiterin (SL): “Herzlich willkommen zur ersten Sitzung unserer ‘Interessengemeinschaft für eine familienfreundliche Schweiz’ Wir sind zusammengekommen, weil es die Politik bis anhin nicht geschafft hat, die Lebensumstände von uns Familien nachhaltig zu verbessern. Nehmen wir zum Beispiel das Dauerthema Mutterschaftsurlaub…”

Ein junger Vater, Typ “Neuer Mann” unterbricht die SL: “Ich will doch hoffen, dass wir dabei auch gleich den Vaterschaftsurlaub thematisieren. Einfach lächerlich, was die Schweiz in diesem Bereich zu bieten hat. (Er kramt in seinen Unterlagen.) Ich habe da einen interessanten Bericht über die wirtschaftlichen Auswirkungen des Vatersch…”

SL, unterbricht ihn: “Entschuldigen Sie bitte, wenn ich Ihnen das Wort abschneide, aber soweit sind wir noch nicht. Natürlich muss das Thema Vaterschaftsurlaub ganz weit oben auf unserer Liste stehen, wenn Sie mich aber vielleicht erst einmal meine Begrüssungsworte zu Ende reden lassen. Also, wo war ich? Ja, genau…nehmen wir zum Beispiel das Dauerthema Mutterschaftsurlaub…”

Eine gestandene Mutter um die Vierzig fällt ihr ins Wort: “Möchten Sie damit sagen, dass Familienfreundlichkeit für Sie vor allem bedeutet, die Frauen so rasch als möglich wieder zurück ins Berufsleben zu schleusen? Ich möchte betonen, dass ich hier nur mitmache, wenn die Anliegen der Mütter, die freiwillig zu Hause bleiben, ebenso ernst genommen werden wie die Anliegen der berufstätigen Mütter.”

SL: “Nein, das möchte ich damit nicht sagen. Ich möchte eigentlich noch gar nichts weiter sagen, als dass das Thema Mutterschaftsurlaub eines der vielen Beispiele ist, das zeigt, wie schwierig es ist, in der Schweiz in Sachen Familienpolitik etwas zu bewegen…”

Junge Mutter mit Baby im Tragetuch, vermutlich leicht esoterisch angehaucht: “Wenn wir jetzt schon auf die Schwierigkeiten starren wie das Kaninchen auf die Kobra, werden wir es nicht weit bringen. Ich möchte uns allen Mut zusprechen. Die Geburt unserer Kinder hat Urkräfte in uns freigesetzt, die uns nun auch die Kraft verleihen, dieses geldgierige Land zu verwandeln in ein Land, in dem Kinderlachen den Lärm der Baumaschinen übertönt und in dem…”

Anzugträger mittleren Alters, Typ “Meine Frau hält mir den Rücken frei, damit ich mich auf die Karriere konzentrieren kann”: “Wir sind doch hier keine Selbsthilfegruppe. Wir wollen eine ernst zu nehmende Interessengemeinschaft bilden, die Hand in Hand mit den bürgerlichen Parteien eine wirtschaftsfreundliche Familienpolitik er…”

Ein entrüstetes Raunen geht durch die Runde, die SL stoppt den Redefluss des Anzugträgers: “Ich glaube, wir sind uns alle darin einig, dass diese Interessengemeinschaft nur darum ins Leben gerufen werden musste, weil sowohl Politik als auch Wirtschaft kläglich darin versagt haben, eine kinder- und elternfreundliche Schweiz zu gestalten. Wenn ich jetzt auf meine Eröffnungsworte zurückkommen dürfte… also…nehmen wir zum Beispiel das Dauerthema Mutterschaftsurlaub, den Kampf um bezahlbare Krippenplätze…”

Die gestandene Mutter um die Vierzig räuspert sich: “Wenn das hier darauf hinausläuft, dass Eltern dazu verdonnert werden sollen, ihre Kinder in die Krippe zu geben, bin ich sofort raus hier. Wir Mütter, die auf ein zweites Einkommen verzichten, die unsere berufliche Karriere in den Hintergrund stellen, die Tag und Nacht für unsere Kinder da sind…”

SL, inzwischen leicht gereizt:  “Da interpretieren Sie etwas in meine Worte hinein, was ich nicht gesagt habe…also, wo war ich schon wieder, ach ja, beim Kampf um bezahlbare Krippenplätze… nehmen wir auch das Beispiel der steuerlichen Benachteiligung von verheirateten Eltern…

Eine bis anhin stille Sitzungsteilnehmerin unterbricht die SL forsch: “Und was ist mit uns Alleinerziehenden? Wisst ihr eigentlich, wie hart das Leben ist, wenn man niemanden an seiner Seite hat, bei dem man sich ausheulen kann, wenn die Kinder mal wieder verrückt spielen? Wisst ihr, was es bedeutet, auf Alimente warten zu müssen? Wisst ihr, wie es schmerzt, wenn der Vater sich einen Dreck um seine eigenen Kinder schert? Wisst ihr…

Anzugsträger, entnervt: “Wieder mal die alte Leier der ach so armen alleinerziehenden Mütter. Wenn Sie wüssten, wie viele Väter ich als Anwalt vertrete, denen das Besuchsrecht vorenthalten wird und die jeden roten Rappen ihrer geldgierigen Ex abliefern müssen…”

SL: “Wenn wir jetzt bitte zum Thema zurückkommen könnten…”

Gestandene Mutter um die Vierzig, ignoriert den Einwand der SL: “Was sind wir denn eigentlich hier? Eine Kampfgemeinschaft für jene, die es nicht hingekriegt haben, ihrem Partner treu zu bleiben und den Kindern ein harmonisches Zuhause zu bieten. Also wenn das so ist, bin ich raus hier…”

Blasser junger Mann, knapp zwanzig, meldet sich zum ersten Mal zu Wort, wird aber von den anderen ignoriert: “Mich würde ja noch interessieren, wie wir hier den schwammigen Begriff ‘Familie’ überhaupt definieren. Ich als Single mit Goldhamster fühle mich trotz meiner Kinderlosigkeit sehr stark als Familie…”

Alleinerziehende Mutter: “Diese Vorurteile sind ja mal wieder typisch. Möchte wissen, wie viel Ihnen Ihre Ehe noch bedeuten würde, wenn der Kerl, der Sie dreimal geschwängert hat, drei Wochen nach der Geburt seines dritten Kindes etwas mit dem Babysitter anfängt…”

Gestandene Mutter um die Vierzig, gehässig: “Wenn man sich keine Zeit nimmt für sie, kommen Männer eben auf solche Gedanken. Vielleicht wenn Sie ihm mehr Bewunderung und Wertschätzung entgegengebracht hätten…”

Anzugträger: “Und vor allem, wenn Sie sich nicht so hätten gehen lassen. Gewisse Frauen sind doch einfach selber Schuld, dass sie sitzen gelassen werden…”

Mutter mit Tragetuch-Baby: “Hören wir doch auf, einander mit Vorwürfen einzudecken. Wir alle sind Mütter und Väter, wir alle haben diese unendliche Kraft in uns, die Schweiz zu verändern. Ich schlage vor, wir fassen uns jetzt alle bei den Händen und…”

SL, aufgebracht: “Nichts da, wir fassen uns nicht bei den Händen, wir tun überhaupt gar nichts mehr, die Sitzung ist aufgehoben. In meinen Eröffnungsworten hätte ich eigentlich darauf hinweisen wollen, dass es noch unglaublich viel zu tun gibt, um die Schweiz zu einem Land zu machen, in dem es allen Familien – egal ob traditionell, alleinerziehend, berufstätig oder was auch immer – besser geht. Doch wie ich sehe, schaffen wir es nicht einmal, diese Tatsache festzuhalten, ohne einander an die Gurgel zu gehen. Somit erkläre ich das Projekt ‘Interessengemeinschaft für eine familienfreundliche Schweiz’ für gescheitert.”

SL verlässt den Raum, ohne dass dies anderen Sitzungsteilnehmer bemerken. Man munkelt, die anderen hätten weiter gestritten, bis der Wirt – ein vierfacher Vater, der das Sitzungszimmer für den ehrenwerten Zweck gratis zur Verfügung gestellt hatte – die Polizei aufgeboten habe, um den Saal räumen zu lassen. 

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