Grumpy old me

Es ist eine ziemliche Weile her, seitdem ich das letzte Mal mit ihr alleine unterwegs war. Und dies, obschon wir uns eigentlich täglich begegnen. Aber dann sind meistens die Kinder dabei, oder „Meiner“ oder sonst jemand. Nun ja, hin und wieder trifft es sich schon, dass wir alleine unterwegs sind, aber dann meistens mit einem bestimmten Ziel, einer Aufgabe. Heute aber stand nichts auf dem Programm. Nichts, ausser den Tag zu geniessen und zu tun, wonach uns der Sinn stand. Zuerst dachte ich ja, wir sollten den Tag planen, doch dann beschloss ich, dass es wohl besser wäre, wenn ich sie einfach bestimmen liesse, wie der Tag aussehen sollte. Immerhin hat sie nicht allzu oft die Gelegenheit, einfach so zum Spass aus dem Haus zu gehen.

Wie ich bald einmal merkte, hat sie das mit dem Spasshaben auch ziemlich verlernt. Wie wir da so im Auto sassen, sie und ich, fiel mir auf, wie ernst und trübe sie vor sich hinstarrte. „Was möchtest du denn tun heute Nachmittag?“, fragte ich sie, doch sie antwortete mir eine ganze Weile lang nicht. „Ich muss noch zur Bank und dann sollte ich noch kurz in die Ikea, ein paar Gläser und Schüsseln einkaufen, wo wir doch schon in der Gegend sind…“, brummte sie irgendwann. Ich fand das ja eine ziemlich einfallslose Idee für einen freien Nachmittag, aber weil ich spürte, dass sie zuerst einmal etwas „Nützliches“ tun musste, bevor sie sich dazu durchringen konnte, Spass zu haben, liess ich mich schliesslich davon überzeugen, dass das für den Anfang gar nicht so schlecht war.

Wobei ich leider schnell einmal feststellen musste, dass weder der kurze Umweg in die Stadt zur Bank, noch der sehr kurze Ausflug in die Ikea nach ihrem Geschmack waren. In der Stadt gab sie zwar mal kurz vor, sie möchte sich einfach so, aus purer Freude, ein paar Schuhe kaufen, doch nachdem sie in jedem Laden motzte, sie hätte langsam genug von all den billigen Ramschschuhen und für richtig gute Schuhe würde ihr das nötige Kleingeld fehlen, wusste ich, dass nur noch die Delikatessenabteilung helfen würde, ihre Laune zu heben. Früher hatte das immer gewirkt: Ein paar nicht alltägliche Backzutaten, ein paar Spezialitäten, die man sich gewöhnlich nur in den Ferien gönnt, ein paar Vollkornprodukte, die es im gewöhnlichen Supermarkt nicht zu kaufen gibt und schon war sie wieder glücklich. Heute aber schlich sie nur lustlos durch den Laden, legte ein Gläschen Kreuzkümmel in den Korb, ein paar Stücke Luxus-Schokolade und das war’s dann. Dabei schimpfte sie, die Delikatessenabteilungen seien auch nicht mehr das, was sie früher einmal gewesen seien. „Früher gab es hier all die speziellen Dinge und heute kannst du all das auch beim Wocheneinkauf in der Migros bekommen“, beklagte sie sich und hätte ich nicht sehr lange auf sie eingeschwatzt, sie hätte nicht einmal Burrata gekauft, die es in der Migros nun wirklich noch nicht gibt, zumindest nicht bei uns in der Region. 

Das war wohl der Tiefpunkt des Tages, dachte ich, als wir die Delikatessenabteilung verliessen, doch es sollte noch schlimmer kommen. Hatte sie früher die Ausflüge in die Ikea immer genossen, hetzte sie heute durch den Laden, als könne sie nicht schnell genug wieder draussen sein. Sie regte sich auf über all die Paare, die nur zum Vergnügen da waren und deshalb entsprechend gemütlich durch die Gänge schlenderten, sie ärgerte sich über den künstlichen Duft der Duftkerzen, sie liess sich aus über die vielen „Made in China“-Aufkleber und jedes Mal, wenn sie eine der unzähligen Schwangeren sah, wurde sie weinerlich. Nach dreiunddreissig Minuten waren wir wieder im Parkhaus und offen gestanden bin ich froh, dass der Einkauf keine Minute länger gedauert hat. Noch ein paar Momente länger und sie hätte damit angefangen, die anderen Kunden anzurempeln, weil sie ihr derart auf die Nerven fielen.

Wie weiter mit dem freien Tag? Nach einigem Hin und Her beschloss sie, dass wir uns auf den Heimweg machen sollten. Wir könnten dann immer noch unterwegs irgendwo anhalten und etwas unternehmen, falls wir Lust dazu hätten. Zuerst einmal herrschte eine angespannte Stille im Auto, die erst unterbrochen wurde, als sie damit anfing, laut zu denken. „Habe ich mich derart verändert, dass mir all das oberflächliche Zeug nur noch auf die Nerven fällt? Oder ist das alles einfach so öde geworden? Oder bin ich am Ende einfach eine pessimistische Tante geworden, die alles nur noch durch die dunkle Brille betrachtet?“ Ich wollte sie nicht verletzen, doch wenn ich ehrlich hätte sein wollen, hätte ich ihr gestehen müssen, dass wohl das Dritte der Fall sei. Aber weil ich sie irgendwie trotz ihres sehr sonderbaren Verhaltens noch mag, sagte ich nur: „Weisst du, was dir jetzt guttun würde? Ein langer Mittagsschlaf, ein paar Stunden lesen und ein Stück Schokolade.“ Zum ersten Mal an diesem Tag zeigte sich der Anflug eines Lächelns auf ihrem Gesicht und so befolgte sie, kaum waren wir zu Hause angekommen, meinen Rat und zog sich ins Bett zurück.

Das verkürzte zwar unsere Zeit zu zweit ganz erheblich, was mich aber nicht sonderlich störte. So ein Tag ganz mit mir alleine kann ganz schön anstrengend werden. Zumindest dann, wenn ich mal wieder verlernt habe, das Leben hin und wieder auf die leichte Schulter zu nehmen.

Grumpy old me



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