GROWTH HACKING, oder das Marketing der Zukunft!

Von Oliver Alois Ernst John

Eine immer größer werdende Gruppe Marketingtreibender – vor allem im Bereich der Startups – lehrt klassischen Marketingabteilungen das Fürchten. Sie nennen sich Growth Hacker und schieben die heiligen Kühe des Marketings achtlos beiseite: Für sie zählt der Markenaufbau nichts mehr und auch das Markenimage lässt sie kalt. Sie wollen nur eines und das möglichst schnell: Wachstum, Wachstum, Wachstum. Um das zu erreichen gehen sie andere Wege als klassische Marketingleiter bisher.

Noch immer ist der Standard in Unternehmen, dass die Produktentwicklung und das Marketing zwei getrennte Abteilungen sind: was die eine entwickelt, soll die andere vermarkten. Strategischer Markenaufbau und Imageentwicklung stehen dabei im Zentrum der Marketingaktivitäten.

Growth Hacker gehen andere Wege: Was für sie zählt nicht das Image eines Produkts, das sich ohnehin schwer messen lässt – sie konzentrieren sich viel mehr auf messbare, testbare und skalierbare Parameter im Marketing.

Zahlen und Fakten stehen in ihrer Arbeit im Mittelpunkt:

Wie viele Mitglieder hat unsere Community?
Wie viele Nutzer sind in unserem Portal angemeldet?
Wie viele Newsletter-Abonnenten beziehen unsere Nachrichten und wie viele lesen davon welche Artikel in diesem Newsletter?

Solche Parameter sind es also, die die Growth Hacker als Ausgangspunkt ihrer Marketingbemühungen nehmen und so beschäftigen sie sich mehr mit E-Mails, pay-per-click-ads und Blogbeiträgen und damit, wie man messen kann, was Leser und User interessiert, als mit Image und Branding.

Denn was gemessen werden kann, kann ausgewertet und mit A/B-Tests oder anderen Strategien getestet und optimiert werden. Das Ziel ist ja schließlich: Wachstum dieser Abonnentenzahlen, Userzahlen etc.

Startups sind Vorreiter im Growth Hacking

Natürlich funktionieren diese Strategien besonders gut für Online-Services und so bauen vor allem Startups auf Growth Hacking: es schont den Marketingetat, nutzt optimal die Auswertungsmöglichkeiten des Online-Marketings und bietet eine ganz andere Messbarkeit als viele klassische Marketingstrategien.

Growth Hacker nutzen die Ansätze des Suchmaschinenmarketings, der Webseitenanalyse sowie des Besuchertrackings und bauen darauf ihre Social Media Strategien und viralen Marketingkampagnen auf.

Damit verschiebt sich auch der Fokus im Marketing: Das Produkt und dessen ständige Verbesserung rücken viel mehr in den Mittelpunkt, als Markenpräsenz, Image und Branding. Denn nur ein gutes Produkt stößt auf Interesse und nur ein Produkt, das ständig verbessert wird, hält die User bei der Stange!

Während also der klassische Marketeer über dem Mediaplan brütet, überwacht der Growth Hacker die Nutzerzahlen, macht A/B-Tests, wertet die Logfiles aus und optimiert beständig sein Produkt. Kundenbindung über Produktweiterentwicklung ist wichtiger als ständige Neukundengewinnung.

Inspiriert von Guerilla-Marketing und viralen Strategien

Dabei lassen sich die Growth Hacker durchaus auch von anderen Disziplinen inspirieren und übernehmen etwa Taktiken aus dem Guerilla-Marketing: Um Airbnb ganz zu Beginn ein möglichst rasches Wachstum zu ermöglichen, ließ der damalige Marketingchef Sean Ellis kurzerhand das Kleinanzeigenportal Craigslist hacken: Über die Programmierung und Nutzung einer API-Schnittstelle des Portals ermöglichte er die gleichzeitige massenhafte Präsentation der Wohnungsangebote auf der meistbesuchten amerikanischen Kleinanzeigenseite und sorgte somit für das schnelle Bekanntwerden der Airbnb-Plattform.

Aber auch Ideen aus dem Bereich des Viralen Marketings finden Eingang ins Growth Hacking: Ein großer Teil des Wachstums der Dropbox-Nutzerzahlen ging zu Beginn auf das Konto des ins Angebot eingebauten viralen Prämiensystems: Für jeden gewonnenen Neunutzer erhielt der Werber kostenlos 500MB mehr Speicherplatz. Das führte recht schnell zu einer virusartigen Verbreitung des Speicher-Services, weil jeder versuchte, Freunde und Bekannte zu werben um mehr Speicherplatz zu erhalten.

Wow-Effekt

Wichtig ist bei solchen Strategien, die auf Empfehlungsmarketing aufsetzen und auf virale Effekte bauen, dass das Produkt selbst bereits eine virale Komponente integriert hat. Es reicht nicht, die User zum Teilen aufzurufen – das Produkt selbst muss einen eingebauten Wow-Effekt oder einen Mechanismus besitzen, der dieses Teilen quasi automatisiert.

Ein frühes Beispiel hierfür ist der kostenlose E-Mail-Service Hotmail: am Ende jeder verschickten E-Mail war zu lesen P.S.: Ich liebe Dich. Hol Dir deinen kostenlosen E-Mail-Account bei Hotmail.com. Keine Werbeanzeigen, keine Plakate, keine TV-Spots wurden geschaltet, aber dieser kleine Zusatz am Fuß jeder Mail ließ die Userzahlen von 20.000 im ersten Monat innerhalb eines halben Jahres auf eine Million Nutzer hochschnellen.

Webanalysen

Bedeutet das also, dass künftig der Marketingleiter programmieren können muss? Nicht zwangsläufig, aber die Gewichtungen werden sich verschieben: Mediaplanung, Spots und Anzeigen werden an Bedeutung verlieren, Webanalysen rücken ins Zentrum.

Denn einen großen Vorteil bringt das Growth Hacking von Haus aus mit: Ein paar Codezeilen sind schneller und preiswerter umgeschrieben um eine nicht funktionierende Kampagne ins Laufen zu bringen, als ein TV-Spot neu gedreht oder 100.000 Plakate neu geklebt.

Growth Hacking ist schneller, messbarer, skalierbarer, preiswerter und variabler als klassisches Marketing und wird deshalb viele traditionelle Ansätze verdrängen. Insofern kann es ja nicht schaden, wenn der eine oder andere Marketingleiter sich mit dem Programmieren etwas näher auseinandersetzt – nur für den Fall, dass er weiterhin in der Branche beschäftigt bleiben will…