Großglockner Ultra-Trail: Härtetest zwischen Kals und Kaprun

Von Berghasen

Wie sich der erste Ultra-Trail für zwei Berghasen anfühlt. Ein Bericht über 50 km Schmerz, Frustration und verdientem Stolz.

Der Großglockner Ultratrail gehört zu den landschaftlich reizvollsten Ultras. Durch die technische Strecke stellt er nicht nur an die Ausdauer hohe Ansprüche. Über unseren Kampf zwischen Kals und Kaprun berichtet Vroni in Schwarz und Susi in Grün.

Verzweifelt versuche ich, Schlaf zu finden Ich drehe mich nach links, nur um mich kurz danach wieder nach rechts zu drehen. Mir ist zu warm, kurz drauf zu kalt. Dann döse ich weg, um gleich wieder wach zu sein. Aufregung kann echt anstrengend sein. Um 5 Uhr befreit mich der Wecker von meinen wilden Träumen. Ich fühle mich weder ausgeschlafen, noch fühle ich mich müde. Eher angespannt.

Ich werfe mich in meine Laufklamotten und starte zum Frühstück. Eine Portion Müsli mit selbstgemachtem Joghurt der Bäuerin vom Spöttlinghof soll mir die nötige Energie für die ersten Kilometer geben. Wirklichen Hunger habe ich nicht.

Zurück im Zimmer, möchte mein Frühstück wieder aus dem Magen. Ich versuche, es zurückzuhalten, aber die Übelkeit ist übermächtig. Ich stürze an Susi vorbei zur Toilette und muss hilflos zusehen, wie mein mühsam reingewürgtes Essen in der Toilette landet.

Heute ist der Tag. Der Tag, an dem wir vermutlich sterben werden. Der Tag unseres ersten Ultratrails. Heute ist der Tag des Großglockner Ultratrails. Wir starten auf der 50-Kilometer-Distanz und werden von Kals nach Kaprun laufen. Auf der Strecke sind zusätzlich noch 2.000 Höhenmeter zu bewältigen. Es geht ein wenig bergauf, lange geradeaus und viel bergab.

Nach einer schlaflosen Nacht in Kals stehe ich nach dem Frühstück im Spöttlinghof im Bad und schrubbe meine Zähne. Die Aufregung ist groß, mir ist übel und essen konnte ich auch fast nichts. Es ist jetzt sechs Uhr morgens. Start ist um sieben. Wuchtvoll schiebt Vroni die Schiebetür zum Badezimmer auf. Zwei weite Schritte und sie steht vor der Toilette, in die sie sich dreimal übergibt. Beim Blick aus dem Fenster wird auch mir übel. Es schüttet in Strömen. Die Stimmung ist gedrückt, wir reden wenig und machen uns auf den Weg zum Start. Beim Gedanken, auf den ersten Kilometern schon ganz durchnässt zu sein, bekomme ich Gänsehaut. Igitt. Die Gänsehaut wird stärker, als wir im Startbereich eintreffen. Die Anspannung hunderter Läufer ist elektrisierend.

Es regnet, als wir die Pension verlassen. Ich frage mich, was zum Teufel ich hier mache. Das Leben könnte jetzt so angenehm sein – daheim im Bett. Mitleidig denke ich an die vielen Läufer der 110 km langen Strecke, die schon die ganze Nacht unterwegs sind.

All diese Gedanken schiebe ich schnell zur Seite, denn jetzt ist Showtime. Wir machen uns auf den Weg zum Start und finden gleich die bekannten Gesichter von WeRun4Fun und den Trail Chaser. Es gibt ein kurzes Racebriefing. Noch mal schnell auf die Toilette. Dann fällt der Startschuss.

5 Minuten bis zum Start unseres ersten Ultratrails. Vroni hat schon dreimal gekotzt und unser Fotograf ist ausgefallen. Läuft! 😂💪👌 . . . #myosttirol #osttirol #gut #alpstationsalzburg #bestviewever #landscape #nature #naturelovers #natur #nature_perfection #landschaft #Wanderung #bergsteigen #bergtour #mountainlife #mountains #berge #lovemountains #outdoorwomen #salzburgerland #mountainadventures #alps #alpen #leki #visitaustria #adidasterrex #livewithoutlimits #bestmountainartists #berghasen

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Wenigen Minuten vor dem Start laufen Gerald Fister und Klaus Gösweiner durch den Startbogen. Sie führen die 110-Kilometer-Distanz an, haben hier in Kals bereits mehr als die Hälfte der Strecke zurückgelegt und sehen frischer aus, als ich nach dem Aufstehen. Die Stimmung kocht. Ich bin bereit. Ich will laufen. Ich will Schmerzen spüren. Ich will über mich selbst hinauswachsen. Kurz bevor es losgeht, entdecke ich die Jungs von We Run 4 Fun in der Menschenmasse. Wir wollen heute einen Teil der Strecke gemeinsam laufen. Dann setzt sich die Horde in Bewegung. Zuerst gehend, dann langsam joggend.

Die ersten Kilometer schlängeln sich flach ins Tal hinein. Ich versuche meinen Laufrhythmus zu finden. So wirklich will mir das heute nicht gelingen. Die erste Steilstelle bildet ein Nadelöhr, an dem sich alles staut. Ein bisschen bin ich froh, dass ich kurz die Möglichkeit habe, etwas zu verschnaufen. Meine Waden sind schon so hart, wie zwei Betonklötze. Ich bin froh über die kurze Wartezeit. Mein morgendliches Toilettenerlebnis hat meinen Elektrolythaushalt etwas durcheinander gebracht.

Die ersten 12 Kilometer verlaufen mäßig ansteigend durch das Dorfertal hinauf zum Kalser Törl. Mäßig ansteigend bedeutet für mich: schlechte Voraussetzungen für einen Platz im vorderen Mittelfeld. Ich bin eine miese Geradeausläuferin. Dafür gibt es eine Menge zu sehen. Die Daberklamm, den Dorfersee, und den Kalserbach, der sich durch die trübe Landschaft schlängelt. Die Gipfel sind nebelverhangen und es nieselt leicht. Ich setze meine Schritte auf taunasse Wiesen. An diesem Morgen leuchten sie besonders grün. Die knallig gekleideten Läufer sprenkeln ein wenig Farbe auf den Talboden. Am ersten Anstieg schiebt sich die Schlange aus bunten Trikots enger zusammen. Wir müssen kurz warten, bis sich die Masse etwas zerstreut hat.

Zu diesem Zeitpunkt kann ich mir überhaupt nicht vorstellen heute irgendwie 50 km durchzuhalten. Egal, ich schiebe diesen Gedanken weg und versuche im Hier und Jetzt zu bleiben. Weide meine Augen in der unbeschreiblichen Berglandschaft. Am Ende des Tals wird der Weg endlich technischer und schmaler. Hier kann ich viele Plätze gut machen, da viele der Läufer nicht so sicher im Gelände unterwegs sind.

Der Weg wird steiler und das ist der Moment, an dem ich mein fehlendes Frühstück spüre. Mit Mühe kann ich einen kleinen Teil meines Energieriegels in meinen Magen befördern und etwas trinken. Allerdings ist mir der ganze Prozess des Trinkens und Essens viel zu lästig und anstrengend. Während ich weiter mit zügigen und schweren Schritten nach oben steige denke ich darüber nach, wie toll es doch wäre, im Rucksack eine Glukose-Kochsalzlösung zu haben die mich intravenös kontinuierlich mit Energie versorgt.

Dann erreiche ich den Pass und werde aus meinen Gedanken gerissen. Es geht runter, jippie. Und von hier aus ist es nicht mehr weit bis zur Rudolfshütte.

Nach dem Anstieg wird der Trail etwas technischer. Meine Schuhsohlen bekommen große Felsplatten zu beißen. Wir laufen am Dorfersee vorbei und biegen dann rechts hinauf zum Kalser Törl ab. Das Tal lassen wir hinter uns. Der Berg ruft! 600 Höhenmeter quäle ich mich in vielen Serpentinen empor. An der Scharte taucht mit der Rudolfshütte endlich das erste Zwischenziel auf und damit die erste Verpflegungsstation.

Davor wartet der erste Downhill des Tages: Ich laufe über Schneefelder und Blockgelände hinab zum Weißsee. Ein kurzer Anstieg und ich habe die Futterstation erreicht. Meine Uhr zeigt 18 gelaufene Kilometer an. 18 Kilometer von 50. Ich habe mich zu wenig damit beschäftigt, was ich essen werde. Jetzt bin ich total überfordert. Ich entscheide mich für Red Bull Cola, eine Tasse Suppe und Kuchen. Nur nichts, das zu schwer im Magen liegt.

Während ich mich der Rudolfshütte nähere denke ich darüber nach, wie anders die Gegend doch im Sommer aussieht. Waren wir doch erst im Winter hier, um eine Skitour auf die Granatspitze und die Hohe Riffl zu unternehmen.

An der Rudolfshütte herrscht Gedränge. Mit Mühe kann ich mich zur Getränkestation durchschlagen. Cola und Elektrolytgetränk geben mir wieder Energie. Sogar ein Gel findet seinen Weg in meinen Magen und bleibt dort. Für mich am heutigen Tag schon ein Grund zur Freude. Ich entdeckte Susi im getümmel. Lange halten wir uns nicht an der Rudolfshütte auf. Zusammen machen wir uns weiter auf den Weg.

Was jetzt folgt ist ein sehr technischer Downhill über Felsblöcke hinab zum Tauernmoossee. Gelände, im dem sich die Berghasen super wohl fühlen. Wir können richtig Gas geben, überholen gleich mehrere Mitstreiter und kommen langsam in den Lauf-Flow, der sich bis jetzt nicht eingestellt hat.

Nach einem weiteren Flachstück steht uns der härteste Anstieg des Trails bevor: 600 Höhenmeter zum Kapruner Törl. Wenn wir dort angekommen sind, haben wir die Hälfte der Strecke hinter uns und es geht fast nur mehr bergab.

Ich werfe noch einen Riegel ein und schiebe mich mit den Stöcken kräftig nach oben. Vorbei an gezeichneten Männern, die neben dem Steig sitzen und verschnaufen. Stehenbleiben kommt für Vroni und mich nicht in Frage. „Stehenbleiben bringt uns nicht weiter. Jeder Schritt, auch wenn er noch so klein ist, bringt uns näher ans Ziel“, motiviert uns Vroni.

Eine Stunde später stehen wir am Kapruner Törl. Die Hälfte der Strecke ist geschafft. Ein Großteil der Höhenmeter ebenso. Ich fühle mich erleichtert und gleichzeitig demoralisiert. Nochmal genauso weit laufen. Und zwar fast nur bergab. Eine härtere Belastung für die Muskulatur gibt es nicht. Ich lege meine Schiene um den linken Fuß, um mein Sprunggelenk ein bisschen zu entlasten. Den ersten Teil der Strecke hat es super gehalten. Ich will im ermüdeten Zustand aber nicht riskieren, nochmals umzuknöcheln. Die Schiene gibt mir Vertrauen. Und so springe ich über Steinblöcke, rutsche über Schneefelder und jage flowige Trails hinab bis zum Stausee Mooserboden.

Erst am Mooserboden wird es langsam anstrengend. Erst will die Verpflegungsstation nicht kommen und dann wartet auch noch der 15 km lange Abstieg nach Kaprun auf uns. Aber das ist der Zeitpunkt an dem ich erstmals wirklich daran glaube, die 50 km schaffen zu können. Davor war das Ende in so weiter Ferne, dass es mir vollkommen unrealistisch erschien. Fehlendes Training und fehlender Mageninhalt machten mir erhebliche Sorgen.

An der Labstation Mooserboden fühlt sich sogar mein Magen wieder gut an. Cola und zwei Gels sollen mir die nötige Energie für die letzten Kilometer geben.

Bei Kilometer 30 kurz vor der zweiten Labestation kommt der erste Einbruch. Das Flachstück entlang des Sees, die nassen Schuhe und Blasen an den Fingern von den Stöcken machen mir ziemlich zu schaffen. Ich habe keine Ahnung, wie ich weitere 20 Kilometer überstehen soll. Nun gut. Zuerst etwas essen. An der Staumauer werden wir erneut verpflegt. Red Bull Cola, Wassermelone, Banane und Kuchen. Mehr kann ich nicht essen. Mir ist übel und eigentlich will ich das Ganze nur noch hinter mich bringen. Vroni kippt sich drei Becher Cola in den Hals. Dann joggen wir weiter.

Vorbei an arabischen Touristen, die uns ansehen, als wären wir Außerirdische. Ich spüre, dass Vroni nicht mehr an meinen Fersen hängt. Ich drehe mich um, um zu sehen, wo sie bleibt. Sehe, wie sie sich an den Rand des Weges rettet und in die Wiese speibt. Fast will ich ihr zurufen: „Warte kurz, das will ich in die Instagram-Story posten“. Entscheide mich aber für: „Geht’s weiter, oder willst du den Bus nehmen?“.Es geht weiter. Ich merke, wie es mir immer schwerer fällt, zu denken und mich auf den Weg zu konzentrieren. Meine Knie schmerzen. Mir ist heiß. Und eigentlich geht’s mir ganz allgemein schlecht. Der Blick reicht jetzt bis nach Kaprun hinaus. Es sieht weit aus. Verdammt.

Am liebsten würde ich mich hinsetzen und heulen. Aber dem gebe ich jetzt keinen Raum. Jetzt heißt es noch mal zusammenreißen und nach vorne schauen.

Der Trail ist anfangs noch recht anspruchsvoll. Er verläuft zunächst einige hundert Meter über dem Stausee Wasserfallboden und schlängelt sich dann in schön zu laufenden Serpentinen zum Kesselfall im Talschluss hinter der Talstation der Kapruner Seilbahnen.

Meine Beine sind schwer. Aber die Beine der anderen dürften schwerer sein. Vroni und ich rasen am letzten Downhill an einigen 40-Kilometer-Opfern vorbei. Eine Zeitlang trabe ich hinter einem Mädel her, das noch recht fit aussieht. Sie bremst plötzlich abrupt ab, beugt sich über ein Büschel Gras, pflückt etwas und hält ein Vierblättriges Kleeblatt in der Hand. Wow. Dieser Moment steht für mich sinnbildlich für den Trailrunning-Sport. Ja, es geht darum möglichst schnell viele Kilometer und Höhenmeter zu überwinden. Immer wieder muss man sich anhören, man hätte im Temporausch keinen Sinn mehr für die Natur, in der man sich bewegt. Dieses Mädchen mit dem Vierblättrigen Kleeblatt beweist – es ist nicht so. Nicht einmal in Ausnahmezuständen wie diesem.

Gott sei Dank muss ich mich auf den kleinen Single Trail konzentrieren. Der Weg schlängelt sich aufwärts und abwärts entlang des Tals stetig nach unten. So vergehen auch die nächsten Kilometer einigermaßen schnell.

Die letzten 10 Kilometer verlaufen mehr oder weniger flach hinaus in das Ortszentrum von Kaprun. Trail, Teer- und Schotterstraße wechseln sich ab und die härteste Stunde meines Lebens beginnt. Ich spüre im ganzen Körper nur noch Schmerz. Wünsche mir nichts sehnlicher, als mich hinzulegen und loszuheulen. Aber meine Füße laufen einfach weiter. Der Rest meines Körpers geht mit. Meinen Kopf habe ich längst ausgeschalten. Mein Blick ist starr und leer. Dann ruft mir ein Streckenposten zu „komm nur noch ein Kilometer!“ Ich blicke auf meine Uhr. Der Pace nach zu urteilen bin ich in sechs Minuten und dreißig Sekunden im Ziel. Das schaffe ich! Dann geht alles ganz schnell. Leute jubeln, ich schnaufe, der Zielbogen taucht auf. Gänsehaut. Schüttelfrost.

Dieser Lauf war kein Kampf gegen andere. Er war ein Kampf gegen mich selbst. Gegen meine Verletzung und gegen alle Zweifel, das nicht schaffen zu können. Ich habe es geschafft. Noch nie im Leben habe ich mich gleichzeitig so schwach und so stark gefühlt. Ich bekomme eine Medaille umgehängt. Eva von Osttirol Tourismus gratuliert mir und ist eindeutig etwas besorgt über meinen Zustand. Ich setze mich und warte auf Vroni. Sie muss knapp hinter mir sein.

Ich sehe die Talstation der Kitzsteinhornbahn, denke mir nur:  oh, mein Gott. Mit dem Auto kam es mir das letzte Mal ziemlich weit von Kaprun bis hier oben vor. Das alles laufen, ich kann nicht mehr. Ich mag mich einfach nur noch hinsetzen.

Ich versuche, immer nur an den nächsten Schritt zu denken, den nächsten Baum, die nächste Ecke. Von der Seite feuern mich Zuschauer an, aber mir fehlt jegliche Energie, mich darüber zu freuen. Ich will nur noch eines: ins Ziel kommen, mich hinsetzen und nie wieder aufstehen. Aber es sind immer noch 4 km zu laufen. Wenn ich in die Gesichter der anderen Läufer um mich herumschaue, geht es niemandem besser. Jeder plagt sich irgendwie über die letzten Kilometer. Es kommen immer wieder ermutigende Worte, der anderen Mitläufer. Ich glaube, ich muss echt fertig aussehen.

Ich bin so froh, als ich aus dem Tunnel biege, den Zielbogen vor mir sehe und das Ende endlich absehbar wird. Nur noch einmal kurz zusammenreißen. Im Ziel siegessicher die Arme nach oben reißen und dann in die nächste Ecke fallen.